Staatssekretär Anzinger: "Keine Verschwörung zum Wahlbetrug"
Berlin: (hib/KHB) Der Untersuchungsausschuss des Bundestags über möglichen "Wahlbetrug" der Bundesregierung vor der Wahl im September 2002 hat am Donnerstag erneut die Finanzlage der Rentenkassen im Sommer 2002 erforscht und dabei einige offene Fragen geklärt. Am Vormittag vernahm der Ausschuss den damaligen Staatssekretär im Arbeitsministerium Rudolf Anzinger und den Abteilungsleiter Achim Wittrock. Beide Zeugen verwiesen auf die äußerst schwierige Lage im Sommer 2002, als die Einnahmen der Rentenkassen nicht mehr parallel mit der Steigerung der Lohnsummen liefen. Warum das so gewesen sei, könne bis heute niemand erklären. Aber diese Lage habe Vorhersagen über die Entwicklung der Rentenkassen erheblich erschwert. Anzinger widersprach nachdrücklich Auffassungen, das Ministerium habe irgendwelche Daten falsch oder unvollständig weitergegeben. Es habe im Hause unterschiedliche Auffassungen über die künftige Finanzlage der Rentenkassen gegeben. Das sei intensiv diskutiert worden. An der Diskussion habe sich auch der damalige Minister Walter Riester (SPD) beteiligt. Anzinger:"Mit einer Verschwörung hat das absolut nichts zu tun" und: "Das Zukünftige ist immer ungewiss".
Nach Darstellung Anzingers und Wittrocks hätten die Mathematiker im Ministerium die Einnahmen der Rentenkassen eher pessimistisch gesehen, während die Ökonomen des Hauses auch auf Grund der Tarifabschlüsse optimistischer waren. Deshalb habe man nach einem Gespräch der Staatssekretäre mit den Rentenversicherungsträgern, die ebenfalls einen erheblich höheren Beitragssatz erwarteten, den Sachverständigenrat der Konjunkturweisen als Schiedsrichter angerufen. Er habe einen Beitragssatz für 2003 von 19,3 Prozent (die Hälfte zahlt der Arbeitgeber) für realistisch gehalten und nicht die von den Pessimisten erwarteten 19,6 - 19,7 Prozent.
Geklärt wurde, dass sich das Arbeitsministerium mit dem Finanzministerium vor der Sitzung des so genannten Schätzerkreises über den zu erwartenden Rentenbeitrag für 2003 abgestimmt hat. Laut Wittrock hätten der Staatssekretär Klaus Achenbach im Arbeitsministerium und der Staatssekretär im Finanzministerium Manfred Overhaus miteinander telefoniert. Schließlich habe das Finanzministerium "grünes Licht" zu der abgestimmten, optimistischeren Prognose gegeben.
Die Frage der Opposition, warum man im Ministerium erwogen habe, nicht an der Juni-Sitzung des Schätzerkreises teilzunehmen, klärte Wittrock auch auf. "Das war keine neue Idee. Das hat das Ministerium auch 1998 in ähnlicher Situation [gemeint war offenbar: im Vorfeld einer Bundestagswahl] schon einmal erwogen." Man habe aber wie 1998 daran teilgenommen. Seriöse Prognosen ließen sich nun einmal erst im Herbst, im November/Dezember, treffen. Mit der Teilnahme habe man verhindern wollen, dass es zu unterschiedlichen Schätzungen zwischen Schätzerkreis und Ministerium komme. Jeder Minister sei an einem stabilen Rentenbeitrag interessiert. Anzinger räumte ein, dass er einen Satz aus einem Vermerk gestrichen habe, der die pessimistische Vorhersage enthielt, im Oktober werde man über erhebliche Beitragssteigerungen reden müssen. Als Grund dafür nannte er, die "Botschaft" des Absatzes sei dem Minister mitgeteilt worden. Darauf sei es auch ihm angekommen, erklärte Wittrock, der sich, wie er sagte, geärgert habe, dass ihm Anzinger diesen Absatz "abgehandelt" habe. Er habe darauf bestanden, dass eine Warnung aus dem Hause auch die Leitungsebene erreiche. Die Spitze des Hauses habe wegen relativ hoher Tarifabschlüsse im Frühjahr eine günstigere Entwicklung der Rentenkassen im zweiten Halbjahr 2002 erwartet. Die höheren Einnahmen der Rentenkassen im Juli hätten zunächst dieser Auffassung Recht gegeben.