Rau: Volksaufstand am 17. Juni 1953 ist Teil der deutschen Freiheitsgeschichte
Berlin: (hib/POT) Der mutige, spontane und von Menschen aus allen Schichten und Generationen des Volkes getragene Aufstand am 17. Juni 1953 in der DDR ist eine der großen Wegmarken deutscher und europäischer Freiheitsgeschichte. Dies erklärte Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede anlässlich der Gedenkstunde von Bundestag und Bundesrat zur Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR vor 50 Jahren am Dienstagmittag im Reichstagsgebäude. Ausgelöst durch die Erhöhung der Arbeitsnormen der Bauarbeiter sei der Aufstand innerhalb weniger Stunden zu einer landesweiten Erhebung für Freiheit, Demokratie und Einheit geworden. Auch wenn der Aufstand vom 17. Juni 1953 in seinen wesentlichen Zielen gescheitert sei, ändere dies nichts an seiner überragenden Bedeutung für die deutsche Geschichte, so der Bundespräsident weiter. "In nur vier Jahrzehnten haben Frauen und Männer in der DDR zwei große Freiheitsbewegungen in Gang gesetzt. Das ist ohne Beispiel in der deutschen Geschichte", betonte Rau. Die Demonstrationen von 1989 hätten in der Tradition des 17. Juni 1953 gestanden, auch wenn das den meisten nicht bewusst gewesen sei. "1989 wurde vollendet, was 1953 scheiterte: freie und demokratische Verhältnisse in einem geeinten Land", sagte Rau. Lange Zeit habe es an einer gerechten Erinnerung an den Aufstand gefehlt, bemängelte das Staatsoberhaupt. Während noch immer über hundert Straßen nach Männern benannt seien, die damals Verantwortung trugen, als der Aufstand niedergeschlagen wurde, erinnerten nur wenige Orte und Städte an die Aufständischen. "Das sollte sich ändern", forderte Rau. Fünfzig Jahre nach dem Aufstand müssten sowohl die Opfer des 17. Juni 1953 als alle anderen, die in der DDR Unrecht erlitten hätten, Anerkennung erfahren, mahnte der Bundespräsident. "Manches geschieht dafür, dennoch begegne ich immer wieder Opfern des DDR-Regimes, die nicht bekommen haben, worauf sie auch nach meinem Eindruck billigerweise einen Anspruch haben sollten", erklärte das Staatsoberhaupt.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte zu Beginn der Gedenkstunde gefordert, dem 17. Juni 1953 endlich den Platz in der deutschen Geschichte einzuräumen, der seiner Bedeutung angemessen sei. Die Ereignisse des 17. Juni in die Gedenkkultur neu einzugliedern und lebendig zu halten, wäre ein Gewinn für die politische Kultur und die Demokratie in Deutschland, so Thierse weiter. Auch wenn der 17. Juni 1953 "in ostdeutscher Perspektive zunächst und vor allem ein Tag der Niederlage" gewesen sei, müsse der Aufstand in seiner Langzeitwirkung und in seiner europäischen Dimension verstanden werden. Schließlich seien die mutigen Demonstranten von 1953 die Ersten in Osteuropa gewesen, die sich massenhaft gegen den Kommunismus erhoben haben, betonte der Bundestagspräsident. Ähnliches habe sich 1956 in Polen und Ungarn sowie 1968 in der Tschechoslowakei wiederholt. Was diese Aufstände und Bewegungen miteinander verbinde, sei die Idee der Freiheit und der Kampf für Demokratie. Dieser lange und entbehrungsreiche Weg habe in der friedlichen Revolution von 1989 letztlich zum Ziel geführt, so Thierse weiter.
Bundesratspräsident Wolfgang Böhmer (CDU) rief dazu auf, die Erinnerung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR an künftige Generationen weiterzugeben. 50 Jahre danach gebe es die Chance, bisher verborgene Tatsachen aufzuarbeiten und die damaligen Ereignisse als einen "Gedenktag unserer gemeinsamen gesamtdeutschen Geschichte" zu begreifen, sagte Böhmer. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt bezeichnete die Ereignisse des 17. Juni 1953 als eine "emotional-sporadische, aber durchaus bewusst politische Protestbewegung gegen ein System staatlicher Volksbeglückung". Böhmer wies auch auf die Folgen des Aufstandes hin. In 167 der 217 Land- und Stadtkreise der ehemaligen DDR sei der Ausnahmezustand ausgerufen worden, 18 standrechtliche Erschießungen seien überliefert, zwischen 13 000 und 15 000 Personen seien festgenommen worden, von denen 1800 Personen durch DDR-Gerichte und 500 bis 750 durch sowjetische Militärgerichte verurteilt worden seien. In diesem Zusammenhang mahnte der Bundesratspräsident auch an, die Opfer von einst mit einer Ehrenpension zu würdigen.