Justizbeschleunigungs- und Justizmodernisierungsgesetz unter der Lupe
Berlin: (hib/KHB) Die Modernisierung der Justiz stand am Mittwochnachmittag im Mittelpunkt einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss. Die geladenen Sachverständigen nahmen dabei Stellung zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz - 15/1508), einem Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz (Justizbeschleunigungsgesetz - 15/999) sowie zu dem Unionsantrag "Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren" ( 15/1098).
Umstritten war der Vorschlag, mit dem Strafurteil die Beweisführung für Zivilansprüche - etwa Schadenersatz - den Opfern zu erleichtern und erneute Beweisaufnahmen zu ersparen. Der Richter am Amtsgericht Pinneberg, Werner Hinz, begrüßte diese Absicht aus justizökonomischen Gründen. Derzeit könnten wohlhabende Angeklagte erneute Beweisaufnahmen im Zivilrecht durchsetzen, mittellose dagegen kaum, weil es nach verlorenem Strafprozess keine zweite Prozesskostenhilfe gibt. Ein Strafurteil dürfe nicht Dritte wie Haftpflichtversicherer oder andere Tatbeteiligte binden. Das verstoße gegen den Grundsatz auf rechtliches Gehör. Der Richterbund nannte die Regelung "praktikabel". Mit "leichtsinnigen" Feststellungen im Strafurteil könnte die Darlegungs- und Beweislast umgedreht werden, fürchtete dagegen die Bundesrechtsanwaltskammer. Zudem könnten im Strafverfahren überflüssige Aufklärungen Verurteilungen verzögern. Der Strafrechtslehrer Werner Beulke (Universität Passau) sieht darin "eine dramatische Veränderung des Rechtssystems". "Unerträglich" sei die Vermischung von Untersuchungsgrundsatz des Strafverfahrens mit der Dispositions- und Verhandlungsmaxime im Zivilverfahren. Die Tatsachenbindung könne das Opfer im Zivilverfahren "schlechter stellen", werde der Angeklagte im Strafverfahren freigesprochen. Ein Angeklagter ohne Verteidiger wäre zudem "heillos überfordert", sollte er zivilrechtliche Konsequenzen im Strafverfahren ermessen. Auch der Richter am Bundesgerichtshof, Dietrich Beyer, beurteilte die Prinzipien beider Verfahren als zu unterschiedlich.
Uneins waren sich Sachverständigen auch hinsichtlich der vom Bundesrat angestrebten Pflicht von Zeugen zur polizeilichen Vernehmung. Beulke nannte es "eine weitere Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens". Zeugen sollten offenbar "in die Zange genommen werden" Die Staatsanwaltschaft verliere Macht. Ein Rechtsstaat dürfe nicht vermehrt Aussagen ohne juristisch geschulte Staatsanwälte und Verteidiger produzieren. Dagegen befürwortete der Leitende Oberstaatsanwalt in Wiesbaden, Hans-Josef Blumensatt, die Änderung nachdrücklich; sie erleichtere die Arbeit. Auf breite Ablehnung stieß der Vorschlag, den Vorsitzenden Richter im Strafprozess Protokoll führen zu lassen. "Wenig durchdacht" nannte es Beulke. Der Vorsitzende werde abgelenkt und verliere die Übersicht über die Verhandlung. Auf Protokolle ganz zu verzichten, wie der Bundesrat vorschlage, wäre "folgerichtig", würde aber Rechte Angeklagter "ganz massiv beschneiden". Allgemein begrüßt wurde, die Hauptverhandlung im Strafverfahren statt zehn Tage bis zu drei Wochen unterbrechen zu können. Beulke sah hier "wirklich Kosten- und Personalersparnis". Bundesanwaltskammer, Richterbund und Staatsanwaltschaft Wiesbaden hielten dies für "längst überfällig".