Steinmeier: Haltlose Vorwürfe im Fall Kurnaz
Berlin: (hib/KOS) Als haltlose Anschuldigungen wies Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss die gegen die rotgrüne Regierung und gegen ihn als damaligen Kanzleramtschef gerichtete Kritik im Fall Murat Kurnaz zurück. Wie zuvor schon Ex-Innenminister Otto Schily bezeichnete der SPD-Politiker in einer zum Auftakt seiner Vernehmung verlesenen längeren Erklärung die Entscheidung vom Oktober 2002 als richtig, im Rahmen der Abwehr terroristischer Bedrohungen den in Bremen aufgewachsenen Türken aufgrund der vorliegenden Verdachtsmomente als "Gefährder" einzustufen und deshalb gegen den Guantanamo-Häftling für den Fall seiner eventuellen Freilassung durch die USA eine Einreisesperre zu verhängen. Laut Steinmeier gab es gegenüber der deutschen Regierung bis Anfang 2006 weder ein offizielles noch ein inoffizielles US-Angebot, Kurnaz zu entlassen. Es hätten im Herbst 2002 jedoch "Gerüchte" über eine mögliche größere Gruppenfreilassung in Guantanamo im Raum gestanden. Niemand habe die zuständigen US-Stellen daran gehindert, Kurnaz zu entlassen und in die Türkei zu überstellen, dies habe allein in der Verantwortung der USA gelegen. Die US-Seite habe Kurnaz jedoch keineswegs für harmlos gehalten und ihn bis zuletzt als "feindlichen Kämpfer" eingeordnet. Der Bremer Türke, der nach seiner Festnahme Ende 2001 in Pakistan mehrere Jahre in Guantanamo inhaftiert war, kam im August 2006 frei und konnte in die Bundesrepublik zurückkehren.
Steinmeier bezeichnete den Vorwurf als falsch, Kurnaz habe wegen eines mangelnden Engagements seitens der früheren deutschen Regierung so lange in Guantanamo einsitzen müssen. Man habe sich seit 2002 gegenüber Washington wiederholt für den Bremer Türken eingesetzt, was allerdings erfolglos geblieben sei. Dessen unter der jetzigen Regierung erreichte Freilassung führte der Außenminister auf einen politischen Sinneswandel in den USA im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2005 zurück. Damals habe sich im Innern und weltweit die Kritik an Guantanamo verstärkt, weswegen Washington an einer spürbaren Reduzierung der Zahl der dortigen Gefangenen interessiert gewesen sei. Zu Beginn des Jahres 2006 habe Washington dann gegenüber Berlin die Bereitschaft zu Gesprächen über Kurnaz signalisiert, die sich dann aber noch Monate hingezogen hätten. Der SPD-Politiker wandte sich in seiner Auftaktstellungnahme gegen die Kritik, die alte Regierung und er selbst hätten im Fall Kurnaz "hartherzig" gehandelt. "Dieser Vorwurf geht mir nach", sagte Steinmeier, seinerzeit seien jedoch keine "seelenlosen Sicherheitsfanatiker" am Werk gewesen.
Vor den Abgeordneten betonte der Minister, bei der Verhängung der Einreisesperre gegen Kurnaz habe nicht die Feststellung einer Schuld des Betroffenen, sondern dessen Bewertung als ein mögliches Sicherheitsrisiko zu Debatte gestanden. Ähnlich wie Schily listete Steinmeier eine Reihe von Verdachtsmomenten auf: So seien bei dem Türken islamistische Radikalisierungstendenzen festgestellt worden, dessen Bremer Umfeld sei "nicht völlig harmlos" gewesen, auch seien die Umstände der Reise von Kurnaz nach Pakistan bis heute nicht restlos aufgeklärt. Es sei nicht die Aufgabe eines Kanzleramtschefs, so der SPD-Politiker, die Indizien im Detail zu überprüfen. Die damalige Einschätzung der von Kurnaz ausgehenden Gefährdung durch die Geheimdienstspitzen ist aus Sicht Steinmeiers "schlüssig". Deshalb sei es nicht nur vertretbar, sondern geboten gewesen, Kurnaz nicht einreisen zu lassen und im Falle einer Freilassung durch die USA dessen Überstellung in die Türkei zu befürworten. Der Minister äußerte in seiner Erklärung vor dem Ausschuss Zweifel an der Stichhaltigkeit des Urteils von Geheimdienstmitarbeitern, die Kurnaz im September 2002 in Guantanamo verhört und den Türken aufgrund dieser Vernehmung als ungefährlich eingestuft hatten. Entscheidend für die Bewertung eines von Kurnaz eventuell ausgehenden Sicherheitsrisikos sei die Einordnung durch die Geheimdienstspitzen gewesen. Steinmeier verteidigte die Weiterleitung der Erkenntnisse deutscher Behörden über Kurnaz an die US-Dienste. "Mit allem Nachdruck" wende er sich dagegen, dies zu "skandalisieren". Bei der Bekämpfung des Terrorismus sei man, so der SPD-Politiker, auf den Informationsaustausch mit US-Stellen angewiesen.