Pressemitteilung
Datum: 25.06.2001
Pressemeldung des Deutschen Bundestages -
25.06.2001
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei der Schlusskundgebung des Christopher Street Day
Es gilt das gesprochene
Wort
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht bei der Abschlusskundgebung des diesjährigen Christopher Street Day am 23. Juni an der Berliner Siegessäule. Der Christopher Street Day steht unter dem Motto "Berlin stellt sich que(e)r gegen Rechts". Bundestagspräsident Thierse führt in seiner Rede u.a. aus:
"Seit gut einem Jahr diskutieren wir in Deutschland intensiv über rechtsextreme Gewalt. Es war durchaus eine sehr fruchtbare Debatte, in der immer wieder gefragt wurde, warum vor allem junge Menschen vor allem im Osten Deutschlands so gewalttätig auf andere Menschen einprügeln, ja sie sogar zu Tode treten. Intensiv haben wir darüber nachgedacht, wie wir gegen diese brutale, unmenschliche Gewalt und diesen blanken Rassismus vorgehen können. Es war eine schonungslose Debatte, die endlich aufgedeckt hat, was jahrelang verschwiegen und beschönigt wurde.
Aber, und diese Frage ist ungeheuer ernüchternd: Hat sie wirklich etwas bewegt? Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ist nicht zurückgegangen, nein sie ist gestiegen! Der Verfassungsschutzbericht zählt für das vergangene Jahr knapp 16. 000 rechtsextrem motivierter Straftaten - das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um fast 60 Prozent. Diese Entwicklung zeigt, dass die Gefahr des Rechtsextremismus nicht gebannt ist. Wir werden uns auch in den nächsten Jahren sehr intensiv damit auseinandersetzen müssen, wie wir Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt bekämpfen. Einen Schlusspunkt können und dürfen wir nicht setzen.
Diese Erfahrung habe ich auch in den zahlreichen Gesprächen mit Menschen gemacht, die sich in Initiativen gegen Rechtsextremismus engagieren, die sich wie Sie heute hier in Berlin querstellen gegen Rechts. Viele dieser jungen Leute sind oft selbst Opfer rechtsextremer Gewalt. Weil sie eine andere politische Einstellung haben oder weil sie anders aussehen, werden sie von Skins und Neonazis angepöbelt, gejagt und oft auch verprügelt. Wenn es auch in Berlin oder in anderen großen Städten zum Selbstverständlichen gehört, dass homosexuelle Paare händchenhaltend über die Straße gehen, ist das in vielen ländlichen Regionen immer noch gefährlich. Vor allem dort wo es die sogenannten national befreiten Zonen gibt, werden Homosexuelle angepöbelt und verjagt. Für viele Menschen ist es inzwischen Alltag, Angst vor Neonazis haben zu müssen. In vielen Gesprächen habe ich ihre Ohnmacht und ihre Wut gespürt, denn häufig werden sie auch von Politikern, von ihren Nachbarn, ihren Mitbürgern im Stich gelassen. Sie werden im schlimmsten Fall sogar als Nestbeschmutzer diffamiert, die der eigenen Stadt nur Schaden zufügen. Und nicht selten ist offenes oder heimliches Einverständnis mit denen, die da so gewalttätig und brutal vorgehen. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit kommen aus der Mitte der Gesellschaft, das ist eine Erkenntnis, vor der wir nicht mehr die Augen verschließen dürfen. Und das ist die zentrale Gefahr für unsere Demokratie, die von der Verschiedenheit, der Pluralität der Gesellschaft lebt.
Rechtsextreme Gewalttäter sind von der Ungleichwertigkeit der Menschen überzeugt, das ist das Kernstück rechter Ideologie, nur daraus erklärt sich die Gewalt gegen Farbige, Linke, Obdachlose oder auch Homosexuelle. Neonazis definieren die, die anders sind als sie selbst, als unwertes Leben, als nicht gleichberechtigtes Leben. Und wohin diese menschenverachtende Einstellung führen kann, das haben wir in Deutschland schon mal erlebt. Die furchtbare Erfahrung der Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen im Nationalsozialismus, darunter eben auch zahlreiche Homosexuelle, ist es, die uns heute zwingt, alles zu tun, damit dies nie wieder geschieht. Jeder Form von Ausgrenzung müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis definieren, wer zu uns gehört und wer nicht. Deshalb ist der Kampf gegen Rechtsextremismus so wichtig.
Wenn wir das heutige Motto ernst nehmen, dann müssen wir auch an die Menschen denken, die in Konzentrationslagern ermordet wurden, dann gedenken wir auch der Menschen, die den Rosa Winkel tragen mussten, der Schwulen und Lesben, die von den Nazis deportiert und gequält wurden. Über ein Mahnmal auch für diese Gruppe der Verfolgten sollten wir deshalb nachdenken.
Es ist meines Erachtens vor allem eine Frage der Toleranz und Akzeptanz, wie wir uns zur Homosexualität stellen. Es ist an der Zeit, die Vorurteile zu überwinden, Abwehr und Ausgrenzungsmechanismen gegen Männer, die mit Männern zusammenleben, gegen Frauen, die Frauen lieben. Dass hier immer noch Unsicherheiten und Ängste herrschen, das ist das Anstößige! Es ist die persönliche und ganz private Entscheidung jedes Einzelnen von uns, welche Lebensform er wählt und wie er damit umgeht. Ob er sie öffentlich macht oder nicht. So wenig es einen Bekenntniszwang gibt, so wenig darf es einen Verheimlichungszwang geben. Hier im preußischen Berlin hat Friedrich der Große einen sehr schönen Satz geprägt: "Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden!" Und das kann ich, auch als bekennender Katholik, nur voll und ganz unterschreiben! Nicht schon die gewählte Lebensform, die sexuelle Orientierung ist eine Frage der Moralität, sondern wie jemand damit umgeht. Ob Loyalität und Treue, Respekt und Solidarität, Gerechtigkeit und Liebe eine Partnerschaft bestimmen oder Illoyalität, Verrat, Erniedrigung - das ist die moralische Frage und zwar an alle, an alle! Und genauso gelten die gleichen zivilen und grundrechtlichen Standards für alle.
Wir sind in Berlin. Dass diese Stadt nun einen Regierenden Bürgermeister hat, der sich zu seiner Homosexualität bekennt, der sich dagegen wehrt, dass seine sexuelle Orientierung gegen ihn instrumentalisiert wird, das ist gut so! Wo, wenn nicht in dieser liberalen Stadt Berlin könnte diese Tatsache eine Selbstverständlichkeit sein und bleiben. Übrigens: Ich bin seit 28 Jahren mit derselben Frau verheiratet, und ich finde das auch gut so!
Was uns alle, so hoffe ich, miteinander verbindet über unterschiedliche Lebensformen und Lebenseinstellungen hinweg, das ist unser Einsatz, unser Engagement für eine Gesellschaft, in der wir Menschen ohne Angst verschieden sein können, in der wir unsere Verschiedenheiten frei und fröhlich, solidarisch und in Liebe leben können."
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht bei der Abschlusskundgebung des diesjährigen Christopher Street Day am 23. Juni an der Berliner Siegessäule. Der Christopher Street Day steht unter dem Motto "Berlin stellt sich que(e)r gegen Rechts". Bundestagspräsident Thierse führt in seiner Rede u.a. aus:
"Seit gut einem Jahr diskutieren wir in Deutschland intensiv über rechtsextreme Gewalt. Es war durchaus eine sehr fruchtbare Debatte, in der immer wieder gefragt wurde, warum vor allem junge Menschen vor allem im Osten Deutschlands so gewalttätig auf andere Menschen einprügeln, ja sie sogar zu Tode treten. Intensiv haben wir darüber nachgedacht, wie wir gegen diese brutale, unmenschliche Gewalt und diesen blanken Rassismus vorgehen können. Es war eine schonungslose Debatte, die endlich aufgedeckt hat, was jahrelang verschwiegen und beschönigt wurde.
Aber, und diese Frage ist ungeheuer ernüchternd: Hat sie wirklich etwas bewegt? Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ist nicht zurückgegangen, nein sie ist gestiegen! Der Verfassungsschutzbericht zählt für das vergangene Jahr knapp 16. 000 rechtsextrem motivierter Straftaten - das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um fast 60 Prozent. Diese Entwicklung zeigt, dass die Gefahr des Rechtsextremismus nicht gebannt ist. Wir werden uns auch in den nächsten Jahren sehr intensiv damit auseinandersetzen müssen, wie wir Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt bekämpfen. Einen Schlusspunkt können und dürfen wir nicht setzen.
Diese Erfahrung habe ich auch in den zahlreichen Gesprächen mit Menschen gemacht, die sich in Initiativen gegen Rechtsextremismus engagieren, die sich wie Sie heute hier in Berlin querstellen gegen Rechts. Viele dieser jungen Leute sind oft selbst Opfer rechtsextremer Gewalt. Weil sie eine andere politische Einstellung haben oder weil sie anders aussehen, werden sie von Skins und Neonazis angepöbelt, gejagt und oft auch verprügelt. Wenn es auch in Berlin oder in anderen großen Städten zum Selbstverständlichen gehört, dass homosexuelle Paare händchenhaltend über die Straße gehen, ist das in vielen ländlichen Regionen immer noch gefährlich. Vor allem dort wo es die sogenannten national befreiten Zonen gibt, werden Homosexuelle angepöbelt und verjagt. Für viele Menschen ist es inzwischen Alltag, Angst vor Neonazis haben zu müssen. In vielen Gesprächen habe ich ihre Ohnmacht und ihre Wut gespürt, denn häufig werden sie auch von Politikern, von ihren Nachbarn, ihren Mitbürgern im Stich gelassen. Sie werden im schlimmsten Fall sogar als Nestbeschmutzer diffamiert, die der eigenen Stadt nur Schaden zufügen. Und nicht selten ist offenes oder heimliches Einverständnis mit denen, die da so gewalttätig und brutal vorgehen. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit kommen aus der Mitte der Gesellschaft, das ist eine Erkenntnis, vor der wir nicht mehr die Augen verschließen dürfen. Und das ist die zentrale Gefahr für unsere Demokratie, die von der Verschiedenheit, der Pluralität der Gesellschaft lebt.
Rechtsextreme Gewalttäter sind von der Ungleichwertigkeit der Menschen überzeugt, das ist das Kernstück rechter Ideologie, nur daraus erklärt sich die Gewalt gegen Farbige, Linke, Obdachlose oder auch Homosexuelle. Neonazis definieren die, die anders sind als sie selbst, als unwertes Leben, als nicht gleichberechtigtes Leben. Und wohin diese menschenverachtende Einstellung führen kann, das haben wir in Deutschland schon mal erlebt. Die furchtbare Erfahrung der Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen im Nationalsozialismus, darunter eben auch zahlreiche Homosexuelle, ist es, die uns heute zwingt, alles zu tun, damit dies nie wieder geschieht. Jeder Form von Ausgrenzung müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis definieren, wer zu uns gehört und wer nicht. Deshalb ist der Kampf gegen Rechtsextremismus so wichtig.
Wenn wir das heutige Motto ernst nehmen, dann müssen wir auch an die Menschen denken, die in Konzentrationslagern ermordet wurden, dann gedenken wir auch der Menschen, die den Rosa Winkel tragen mussten, der Schwulen und Lesben, die von den Nazis deportiert und gequält wurden. Über ein Mahnmal auch für diese Gruppe der Verfolgten sollten wir deshalb nachdenken.
Es ist meines Erachtens vor allem eine Frage der Toleranz und Akzeptanz, wie wir uns zur Homosexualität stellen. Es ist an der Zeit, die Vorurteile zu überwinden, Abwehr und Ausgrenzungsmechanismen gegen Männer, die mit Männern zusammenleben, gegen Frauen, die Frauen lieben. Dass hier immer noch Unsicherheiten und Ängste herrschen, das ist das Anstößige! Es ist die persönliche und ganz private Entscheidung jedes Einzelnen von uns, welche Lebensform er wählt und wie er damit umgeht. Ob er sie öffentlich macht oder nicht. So wenig es einen Bekenntniszwang gibt, so wenig darf es einen Verheimlichungszwang geben. Hier im preußischen Berlin hat Friedrich der Große einen sehr schönen Satz geprägt: "Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden!" Und das kann ich, auch als bekennender Katholik, nur voll und ganz unterschreiben! Nicht schon die gewählte Lebensform, die sexuelle Orientierung ist eine Frage der Moralität, sondern wie jemand damit umgeht. Ob Loyalität und Treue, Respekt und Solidarität, Gerechtigkeit und Liebe eine Partnerschaft bestimmen oder Illoyalität, Verrat, Erniedrigung - das ist die moralische Frage und zwar an alle, an alle! Und genauso gelten die gleichen zivilen und grundrechtlichen Standards für alle.
Wir sind in Berlin. Dass diese Stadt nun einen Regierenden Bürgermeister hat, der sich zu seiner Homosexualität bekennt, der sich dagegen wehrt, dass seine sexuelle Orientierung gegen ihn instrumentalisiert wird, das ist gut so! Wo, wenn nicht in dieser liberalen Stadt Berlin könnte diese Tatsache eine Selbstverständlichkeit sein und bleiben. Übrigens: Ich bin seit 28 Jahren mit derselben Frau verheiratet, und ich finde das auch gut so!
Was uns alle, so hoffe ich, miteinander verbindet über unterschiedliche Lebensformen und Lebenseinstellungen hinweg, das ist unser Einsatz, unser Engagement für eine Gesellschaft, in der wir Menschen ohne Angst verschieden sein können, in der wir unsere Verschiedenheiten frei und fröhlich, solidarisch und in Liebe leben können."
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Quelle:
http://www.bundestag.de/aktuell/presse/2001/pz_0106251