Bundestagspräsident Lammert legt Vorschlag zur Anpassung der Abgeordnetenentschädigung vor
Zur Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung in dieser Wahlperiode hat Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert – wie vom Gesetz vorgeschrieben – den Fraktionen einen Vorschlag unterbreitet. Im Folgenden der Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Wortlaut:
"Das Abgeordnetengesetz verpflichtet mich nach § 30, den Fraktionen einen Gesetzesvorschlag zur Anpassung der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und des fiktiven Bemessungsbetrages nach § 35a Abs. 2 zur Beschlussfassung innerhalb des ersten Halbjahres nach der konstituierenden Sitzung zuzuleiten. Nach Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführern, zuletzt am 27. März, komme ich dieser Verpflichtung mit diesem Schreiben nach.
Die Mitglieder des Deutschen Bundestages haben nach Artikel 48 Absatz 3 des Grundgesetzes den verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Der jeweilige Betrag der Entschädigung muss auch der Bedeutung dieses besonderen Amtes unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verantwortung und Belastung und außerdem auch des dem Mandat im Verfassungsgefüge zukommenden Ranges gerecht werden. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht seit dem für das geltende Recht grundlegenden „Diätenurteil“ von 1975 wiederholt ausdrücklich hingewiesen. Das Gericht hat zugleich unmissverständlich klargestellt, dass diese Entschädigung – wie in der Verfassung bestimmt – durch Gesetz und damit öffentlich und für alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar und zugleich auch zwingend von den Betroffenen selbst festgelegt werden muss.
Nicht erst auf Grund der jüngsten Presseberichterstattung wissen wir, dass sowohl die Pflicht zur Entscheidung des Parlaments über die finanzielle Ausstattung seiner eigenen Mitglieder als auch die Festlegung dessen, was unter der verfassungsrechtlich vorgegebenen Angemessenheit zu verstehen ist, viele Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht überzeugt. Wie auch bei anderen Gesetzesvorhaben sind aber auch in diesen Fällen Regelungsnotwendigkeit und Vermittelbarkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu berücksichtigen.
An der Beantwortung der Frage nach der Angemessenheit der Bezüge für die Mitglieder des Bundestages im Vergleich zu allen anderen Erwerbstätigen unseres Landes haben sich in den letzten Jahrzehnten die unterschiedlichsten Gremien, Kommissionen und Beiräte versucht. Schon bei der Vorbereitung des Abgeordnetengesetzes 1976 haben gleich zwei verschiedene Gremien aus Abgeordneten und Nichtparlamentariern als Bezugs- bzw. Orientierungsgröße für die angemessene Bezahlung der Abgeordneten die Bezüge vor allem kommunaler Wahlbeamter von Städten und Kreisen mit über 150.000 Einwohnern herangezogen. Diese Wahlbeamten wurden damals nach den Besoldungsgesetzen mindestens nach B 6 bezahlt. Auch spätere Kommissionen, z. B. die nach ihrem Vorsitzenden benannte Kissel-Kommission von 1992/93, haben für die Bewertung der Angemessenheit keinen anderen Maßstab gefunden. Mit der Gesetzesänderung 1995 wurde dieser Maßstab noch um die – im Übrigen betragsmäßig weitgehend gleiche – Bezugsgröße der Bezüge eines Richters an einem obersten Gerichtshof des Bundes mit R 6 ergänzt und ausdrücklich in das Abgeordnetengesetz aufgenommen. Ich habe auch heute keine Veranlassung, eine Ersetzung dieser Bezugsgröße durch einen anderen Maßstab vorzuschlagen.
Allerdings ist der mit diesen Bezugsgrößen umschriebene Betrag für die Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung, für das Mandatsgehalt, weder 1995 noch heute erreicht. Vielmehr hat gerade die Notwendigkeit, die eigenen Bezüge durch Gesetz selbst festzulegen und diese vor dem Wähler auch ständig zu rechtfertigen, dazu geführt, dass die Abgeordnetenentschädigung die vorgenannten Bezuggrößen weiterhin deutlich unterschreiten. Bezogen auf ein Zwölftel der Jahresbezüge eines nach R 6 besoldeten Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes liegt die Differenz bei derzeit über 12 Prozent. Dazu hat nicht zuletzt auch beigetragen, dass die letzte Anpassung der Abgeordnetenentschädigung zum 1. Januar 2003 erfolgte.
Ungeachtet des verpflichtenden Gebots, die verfassungsrechtliche Vorgabe zu erfüllen und die angemessene Bezahlung der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu sichern, halte ich eine Anpassung im gesetzlich vorgegebenen Rahmen derzeit nicht für möglich. Ebenso wenig vertretbar erscheint mir ein sich weiter vergrößernder Abstand. Eine weitergehende, das System der Entschädigung und Altersversorgung der Abgeordneten strukturell verändernde Reform kann erst zu Beginn der nächsten Wahlperiode in Kraft treten. Sollte sie vom Bundestag gewollt sein, sind die Entscheidungen hierzu bereits in dieser Wahlperiode zu treffen.
Unabhängig davon und ungeachtet aller anderen mit dem Status des Abgeordneten verbundenen Fragen wie Amtsausstattung und Absicherung für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag halte ich es zum derzeitigen Zeitpunkt für unverzichtbar, für die Dauer dieser Wahlperiode die Abgeordnetenentschädigung mindestens an der durchschnittlichen Entwicklung der Erwerbseinkommen aller Erwerbstätigen teilhaben zu lassen. Diese durchschnittliche Entwicklung ist statistisch eindeutig und klar zu erfassen. Das Statistische Bundesamt kann diese Entwicklung für jedes Jahr bis zum 31. März des Folgejahres ermitteln, sodass eine Anpassung des Entschädigungsbetrages jeweils zum 1. Mai eines Jahres auch vom Verfahren her möglich ist.
Angesichts der Tatsache, dass die Entschädigung seit 2003 nicht angehoben wurde, halte ich eine Anhebung des derzeitigen Betrages von 7.009 Euro zum 1. Mai dieses Jahres um den Steigerungssatz der durchschnittlichen Erwerbseinkommen im Jahr 2005 für angemessen. Der vom Statistischen Bundesamt festgestellte Anstieg der durchschnittlichen Verdienste für die Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft und die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der Beamten von 2004 auf 2005 beträgt 1,3 Prozent. Diese Maßzahl lege ich der Erstfestsetzung der Abgeordnetenentschädigung zum 1. Mai 2006 zugrunde. Daraus ergibt sich ein Betrag von 7.100 Euro. Weiter schlage ich vor, dass auch für die Folgejahre bis 2009 das Statistische Bundesamt dem Präsidenten des Deutschen Bundestages die jeweiligen Veränderungssätze für das jeweils abgelaufene Jahr mitteilt, der den mit diesem Prozentsatz geänderten und aufgerundeten Betrag im Bundesgesetzblatt bekanntgibt. Dieses Verfahren sollte im Wege der Änderung des § 11 Abgeordnetengesetz festgelegt werden.
Diese Regelung erfüllt auch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Verfahrensweise durch Gesetz vor den Augen der Öffentlichkeit zu beschließen ist. Die Veränderungssätze folgen ausschließlich feststehenden mathematischen Regeln und sind nicht mehr beliebig veränderbar, denn auf die durchschnittliche Einkommensentwicklung haben so viele gesellschaftliche Kräfte Einfluss, dass eine Beeinflussung durch bestimmte Personen oder Personengruppen innerhalb oder außerhalb des Parlaments ausgeschlossen ist. Insofern ist der Betrag „bestimmbar“. Da § 30 Abgeordnetengesetz weiterhin gilt, bleibt es dem nächsten Deutschen Bundestag vorbehalten, dann erneut über Maßstäbe, Beträge und Verfahrensweisen für die jeweils nächste Wahlperiode zu beschließen. Ähnliche Regelungen sind bereits in fünf Landtagen (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen) in Kraft.
Für den fiktiven Bemessungsbetrag für die Altersentschädigung nach § 35a Abs. 2 Abgeordnetengesetz schlage ich dasselbe Verfahren vor. Auch der der Berechnung der Altersversorgung nach den gesetzlichen Regelungen aus der Zeit vor dem In-Kraft-Treten des Neunzehnten Änderungsgesetzes zugrunde zu legende fiktive Bemessungsbetrag von derzeit 6.263 Euro wurde seit 2003 nicht mehr erhöht. Die Versorgungsempfänger haben deshalb seit dieser Zeit keine Anhebungen ihrer Versorgungsbezüge erhalten. Zudem sieht § 25b in Absatz 4 eine dem Beamtenversorgungsrecht nachgebildete Kürzung der Versorgung mit jeder der nächsten acht Anpassungen um den Faktor 0,5 vor.
Gemäß § 30 Abgeordnetengesetz leite ich den Fraktionen den folgenden Gesetzesvorschlag zu:
1. § 11 Abgeordnetenentschädigung wie folgt zu ändern:
(1) 1Ein Mitglied des Bundestages erhält eine monatliche Abgeordnetenentschädigung, die sich an einem Zwölftel der Jahresbezüge
eines Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes (Besoldungsgruppe R 6),
eines kommunalen Wahlbeamten auf Zeit (Besoldungsgruppe B 6)
orientiert. 2 Abweichend von Satz 1 beträgt die Abgeordneten-entschädigung mit Wirkung vom 1. Mai 2006 7.100 Euro.
(2)
unverändert
(3)
unverändert
(4) 1Der Betrag der Abgeordnetenentschädigung nach Absatz 1 Satz 2 wird zum 1. Mai 2007, 1. Mai 2008 und zum 1. Mai 2009 an die Einkommensentwicklung angepasst, die im jeweils abgelaufenen Jahr zwischen Januar und Dezember eingetreten ist. 2Maßstab ist die prozentuale Veränderung des Brutto-Erwerbseinkommens aller Erwerbstätigen. 3Die maßgebliche prozentuale Veränderung teilt das Statistische Bundesamt bis zum 31. März eines Jahres dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mit. Dieser veröffentlicht den neuen, um den ermittelten Prozentsatz angepassten und auf vollen Euro-Betrag aufgerundeten Entschädigungsbetrag im Bundesgesetzblatt.
2. § 35a Absatz 2 wie folgt zu ändern:
(2) 1Statt der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 gilt in den Fällen des Absatzes 1 ein fiktiver Bemessungsbetrag. 2Für das Übergangsgeld wird der Bemessungsbetrag auf 5.301 Euro festgesetzt. 3Der fiktive Bemessungsbetrag für die Altersentschädigung wird mit Wirkung vom 1. Mai 2006 auf 6.344 Euro festgesetzt. Für den 1. Mai der Jahre 2007, 2008 und 2009 wird der fiktive Bemessungsbetrag in gleicher Weise wie die Entschädigung nach § 11 Absatz 4 berechnet, festgesetzt und bekannt gegeben."
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