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Mehr Ausbildung durch Umlage?

Auszubildende des Bergwerks West in Kamp-Lintfort vor dem Eingang zur Ausbildungswerkstatt.
Auszubildende des Bergwerks West in Kamp-Lintfort vor dem Eingang zur Ausbildungswerkstatt.

Debatte: Ausbildungsplatzabgabe

Immer weniger Jugendliche finden einen Ausbildungsplatz. Daher sollen Betriebe, die nicht ausbilden, eine Umlage zahlen. BLICKPUNKT BUNDESTAG fragte die Bundestagsfraktionen, ob eine Ausbildungsplatzabgabe die Lehrstellenmisere beheben könnte und welche Alternativen es gäbe.

Das duale Ausbildungssystem in Deutschland wird weltweit mit Hochachtung betrachtet. Der erste nachhaltige Kontakt junger Menschen mit der Arbeitswelt sowohl in der Praxis der Betriebe als auch in der theoretischen Untermauerung der nötigen Fachkenntnisse durch die Berufsschule – daran haben sich viele Staaten ein Beispiel genommen.

Und doch ist die Besorgnis über Schwächen des deutschen Systems immer wieder groß. Denn der dualen Ausbildung steht eine duale Freiwilligkeit gegenüber: Auf der einen Seite bekommen junge Menschen keine Lehrstelle zugewiesen. Sie müssen selbst suchen und sich gegen große Konkurrenz in Modeberufen durchsetzen, für Traumberufe große Strecken zurücklegen oder zunächst davon Abstand nehmen. Auf der anderen Seite ist kein Betrieb gezwungen, sich personelle, materielle und finanzielle Ausbildungskapazitäten zuzulegen. Es kommt auf die Einsicht des individuellen Unternehmens an, zur eigenen Zukunftssicherung rechtzeitig selbst für geeignete Fachkräfte zu sorgen und qualifizierten Nachwuchs frühzeitig an sich zu binden.

Das bedeutet für das Funktionieren des dualen Ausbildungssystems auch eine doppelte Abhängigkeit von Umständen, die nichts mit der Situation des einzelnen Jugendlichen zu tun haben: Je größer der Ausbildungsjahrgang, desto knapper sind die Ausbildungsplätze. Und je schwächer die Konjunktur, desto zurückhaltender sind die Betriebe bei der Investition in Lehrstellen. Die Statistik bestätigt das. Seit 1998 hat sich die Zahl der neu abgeschlossenen betrieblichen Arbeitsverträge von 562.655 auf 497.243 im Jahr 2003 verringert. Das ist ein Minus von 11,6 Prozent. Augenfällig ist auch die Parallele zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. So sank zwischen 1999 und 2002 die Zahl der Arbeitsplätze in den neuen Ländern um 492.000, das war ein Rückgang von 8,5 Prozent. Gleichzeitig nahm die Zahl der Auszubildenden in den neuen Ländern um rund 37.000 ab – ein Rückgang von 8,9 Prozent.

Der jüngste Stichtag am 30. September 2003 erbrachte mit 557.612 betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen gegenüber dem Vorjahresstichtag ein Minus von 2,6 Prozent (14.711 Verträge). Der Vergleich fällt damit besser aus als das Verhältnis zwischen 2002 und 2001: Da war ein Rückgang von rund 42.000 Verträgen oder 6,8 Prozent zu verzeichnen. Allerdings ist die Zahl derjenigen, die keine Lehrstelle bekamen, zwischen 2002 und 2003 um 11.632 auf 35.015, also um 49,7 Prozent, gestiegen.

Um die Bedeutung dieser Zahlen von unvermittelten Bewerbern für die Entwicklung in Arbeitswelt und Gesellschaft besser beurteilen zu können, muss auch ein Blick auf das Verhalten des gesamten Geburtsjahrganges geworfen werden. Hier zeigt sich, dass der Anteil derjenigen, die sich für eine Ausbildung entscheiden, in den relevanten Jahrgängen im Zehnjahresvergleich von 70 auf 62 Prozent zurück-gegangen ist. Gleichzeitig stieg die Zahl derjenigen, die sich für eine vollzeitschulische Ausbildung entschieden. 2003 konnten 452.300 Schülerinnen und Schüler gezählt werden, von denen gut die Hälfte einen berufsqualifizierenden Abschluss anstrebt. Im Wintersemester 2003/2004 gab es gegenüber dem Vorjahr fast 87.000 Studierende mehr – ein Plus von 4,5 Prozent. Die Gesamtzahl der Studierenden erreichte mit 2,026 Millionen einen neuen Rekord. Die Studienanfängerquote hat sich mit inzwischen 39,6 Prozent dem internationalen Durchschnitt und prognostizierten Akademikerbedarf angenähert.

Doch auf der anderen Seite verzeichnen die Arbeitsämter etwa eine halbe Million Arbeitslose unter 25 Jahren – davon hat jeder Zweite keine Berufsausbildung. Nicht vermittelte junge Menschen vergrößern damit Jahr für Jahr das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. Beschrieben werden Familien, in denen die Eltern seit Jahren arbeitslos sind, die Kinder von der Schule unmittelbar in die Arbeitslosigkeit gehen und alle geringe Chancen haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Daher erscheint die Qualifizierung über Ausbildung als Instrument von erheblicher arbeitsmarktpolitischer und gesellschaftlicher Relevanz.

Die Grafik zeigt das Verhältnis von Lehrstellenangebot und Nachfrage seit 1993 im Bundesgebiet

Die Erfahrungen der Ausbildungsbetriebe mit der Ausbildung bekommen dabei mitentscheidende Bedeutung. Auf diesem Feld zeigt sich eine beträchtliche Frustration mit der Ausbildungsfähigkeit und der Ausbildungswilligkeit eines beachtlichen Prozentsatzes junger Leute. Je nach Branche ist die Neigung junger Auszubildender zum Durchhalten unterschiedlich entwickelt. Von Abbrecherquoten bis zu einem Viertel ist die Rede. Viele Personalverantwortliche beklagen auch mangelnde Kenntnisse der Bewerber beim Schreiben, Lesen und Rechnen – also den wichtigsten Voraussetzungen für eine Erfolg versprechende Ausbildung.

Die Klagen decken sich mit dem Ergebnis internationaler Studien wie der Schulleistungsstudie PISA, die einen unterdurchschnittlichen Kenntnisstand deutscher Schüler festgestellt haben. Dieser Befund erhält verstärkende Wirkung durch die unvermindert steigenden Qualifikationsanforderungen in der Berufswelt. Damit erhöhen sich auch die Mindestanforderungen an junge Menschen. Defizite schlagen somit stärker zu Buche als in zurückliegenden Jahrzehnten. Wie stark es jedoch auf den persönlichen Auftritt jedes Einzelnen bei den Einstellungsgesprächen ankommt, zeigt der Umstand, dass die Betriebe auch über 50.000 Jugendliche ausbilden, die keinen Hauptschulabschluss vorzuweisen haben. Auf der anderen Seite bemühen sich auch rund 80.000 junge Menschen mit Hochschulreife um einen Ausbildungsplatz und erhöhen somit den Druck auf Jugendliche mit geringeren Qualifikationsvoraussetzungen.

Die Grafik zeigt das Verhältnis von Beschäftigten und Auszubildenden nach Betriebsgrößen in den alten Bundesländern 2002

Daneben ist auch die Struktur der deutschen Wirtschaft im Umbruch. Traditionelle Branchen brechen weg – und mit ihnen auch die Ausbildungsplätze. Neue Branchen achten offenbar zuerst darauf, wirtschaftlich Fuß zu fassen. Die Beachtung des künftigen Nachwuchses erscheint vielen Firmen zweitrangig. Dadurch kann der Verlust von Ausbildungsplätzen in auslaufenden Angeboten nicht kompensiert werden durch die Beschäftigungschancen in neuen Segmenten.

Die aktuelle Ausbildungsbilanz zeigt denn auch unterschiedliche Entwicklungen in den sieben Hauptausbildungsbereichen. Prozentual war der Neuabschluss von Ausbildungsbetrieben im kleinsten Bereich am größten: minus 19,2 Prozent in der Seeschifffahrt. Minus 7,2 Prozent waren bei den Freien Berufen zu verzeichnen, minus 6,9 Prozent im öffentlichen Dienst, minus 4,7 Prozent im Handwerk und minus 0,9 Prozent bei Industrie und Handel. Ein Plus von 1,4 Prozent gab es in der Hauswirtschaft und ein Plus von 7,3 Prozent in der Landwirtschaft.

 Die Grafik zeigt das Verhältnis von Beschäftigten und Auszubildenden nach Betriebsgrößen in den neuen Bundesländern 2002

Die Entwicklung von Angebot und Nachfrage seit 1993 zeigt eine Wellenbewegung auf (siehe Schaubild). Wobei die Aussagekraft dieser Statistiken von Wirtschaft und Gewerkschaften unterschiedlich bewertet wird.

Die Arbeitgeberorganisationen verweisen am Beispiel des Jahres 2003 darauf, dass von den 35.015 am 30. September noch „unversorgten” Bewerbern im Rahmen einer Nachvermittlungsoffensive über 18.700 noch eine Lehrstelle bekommen konnten. Zum gleichen Zeitpunkt seien noch rund 4.280 Plätze unbesetzt gewesen, so dass die „Lehrstellenlücke” unter Einbeziehung der nachträglich gemeldeten Ausbildungsplätze auf 7.500 Lehrstellensuchende zusammengeschmolzen sei. Dagegen nehmen die Arbeitnehmer in den Blick, dass neben den offiziell unvermittelten Bewerbern noch weitere 46.700 Jugendliche als Teilnehmer von berufsvorbereitenden oder anderen Maßnahmen ihren Wunsch nach einem Ausbildungsplatz aufrechterhalten hätten. Hinzu kämen Altbewerber und Jugendliche, die sich wegen der schlechten Marktlage für Alternativen (ökologisches oder soziales Jahr, Wehr- und Zivildienst) entschieden hätten. Nach Berechnungen der Gewerkschaften ergibt sich daraus und aus den Jugendlichen in „schulischen Warteschleifen”, in außerbetrieblicher Berufsausbildung und aus den Unqualifizierten eine Summe von über 200.000 fehlenden betrieblichen Ausbildungsstellen im vergangenen Jahr.

Text: Gregor Mayntz
Foto: picture-alliance
Grafiken: Karl-Heinz Döring

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