Logo Deutscher Bundestag Blickpunkt Bundestag online

> Debatte > Forum


zurück

Kein Anschluss unter dieser Nummer?

Quartett mit sechs: Außenminister Steinmeier (links) für die deutsche Ratspräsidentschaft, der Außenbeauftragte Solana und Kommissarin Ferrero-Waldner (rechts) vertreten die EU bei den Nahost-Gesprächen.
Quartett mit sechs: Außenminister Steinmeier (links) für die deutsche Ratspräsidentschaft, der Außenbeauftragte Solana und Kommissarin Ferrero-Waldner (rechts) vertreten die EU bei den Nahost-Gesprächen.

Schlüsselaufgabe „Zukunft des Kosovo”: serbische Proteste gegen eine Lösung des Kosovo von Serbien im Februar dieses Jahres.
Schlüsselaufgabe „Zukunft des Kosovo”: serbische Proteste gegen eine Lösung des Kosovo von Serbien im Februar dieses Jahres.

Schlüsselaufgabe „Energiepolitik”: russische Ölpipeline Druschba.
Schlüsselaufgabe „Energiepolitik”: russische Ölpipeline Druschba.

Künftig mehr Anrufe aus aller Welt? Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana könnte EU-Außenminister werden, wenn der Verfassungsvertrag in Kraft tritt.
Künftig mehr Anrufe aus aller Welt? Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana könnte EU-Außenminister werden, wenn der Verfassungsvertrag in Kraft tritt.

Forum: Außenpolitik der Europäischen Union

Wer nach einem Bild sucht, um all die Unzulänglichkeiten europäischer Außenpolitik zu beschreiben, der kam beim Treffen des Nahost-Quartetts Anfang Februar in Washington auf seine Kosten. Nicht vier Politiker traten da vor die Presse, wie es der Name der Veranstaltung nahelegen würde, sondern sechs. Neben dem UNGeneralsekretär und den Außenministern der USA und Russlands waren zwei Männer und eine Frau zu sehen. Alle drei vertreten die EU in dem Quartett — der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, die Kommissarin für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, Benita Ferrero-Waldner, und, als Vertreter der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft, Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Wenn ich Europa anrufen will, welche Nummer wähle ich dann?”, hatte der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger vor langer Zeit gefragt. Jahrzehnte später scheint dieser Ausspruch wenig von seiner Aktualität verloren zu haben.

Die Europäische Union hat über Jahrzehnte viel geschaffen: den Binnenmarkt, in dem Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmer ohne Grenzen verkehren, eine gemeinsame Währung, die den Geldtausch im Euroraum überflüssig macht. Geteilter Wohlstand sorgt dafür, dass Kriege zwischen EU-Mitgliedern heute so unwahrscheinlich sind wie nie zuvor. Und dennoch: Zu einer gemeinsamen Außenpolitik konnten sich die Europäer bislang nur in Ansätzen aufraffen. Mag Brüssel ruhig über Milchquoten entscheiden — gerade größeren Mitgliedsländern gilt die Außenpolitik weiter als die letzte Bastion eines souveränen Staates.

Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gedenken am 25. März 2007 die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten in Berlin feierlich der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 50 Jahren und damit der Geburtsstunde der EU. Versuche, in der Außenpolitik geschlossen aufzutreten, sind weit jüngeren Datums. So ernannte die Union erst 1999 einen Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik — seitdem bekleidet der Spanier Javier Solana dieses Amt.

Dabei zeigt ein Blick in die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003, dem Grundlagendokument europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, dass Europa die meisten internationalen Probleme nur vereint angehen kann. Keines der angesprochenen Risiken, von den scheiternden Staaten in Entwicklungsregionen bis zum globalen Terrorismus, von Regionalkonflikten in der europäischen Nachbarschaft bis zur langfristigen Sicherung des europäischen Energiebedarfs, können die Mitglieder allein bewältigen.

Drängende Aufgaben

Zudem sind europäische Interessen längst nicht mehr auf die unmittelbare Nachbarschaft beschränkt. Nicht nur der Balkan (hier steht während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Lösung der Kosovo-Frage an) oder die Ukraine mit ihrer verblassten orangenen Revolution, auch der Nahe Osten, Iran, Irak, Afghanistan gehen die EU direkt an. „Eine Eskalation des Konflikts mit Teheran, ein Zerfall des Irak, ein religiös aufgeladener Kulturkrieg, alles nicht undenkbar, werden unmittelbar zu europäischen Problemen, ob es sich heraushalten möchte oder nicht”, schreibt Gunter Hoffmann im Fachblatt Internationale Politik. Auch um bessere Beziehungen zu den Ländern Zentralasiens — Stichworte Menschenrechte und Energiesicherheit — will die EU sich kümmern. Schließlich steht in diesem Jahr die Erneuerung des bisherigen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens der EU mit Russland an.

Europa ist ein globaler Akteur. Mit rund 480 Millionen Einwohnern umfasst die Union mehr Menschen als die Vereinigten Staaten und Russland zusammen. Europa erwirtschaftet ein Viertel des weltweiten Wohlstandes, doch darauf angelegt, Weltmacht zu werden und mit einer Stimme im Konzert der Mächte aufzutreten, war der Staatenverbund nie.

Nur langsam setzte sich die Idee durch, dass Europa gemeinsam stärker ist. Einen entscheidenden Schub hatte die Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch die Nachfolgekriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien bekommen. 1992 legten die Mitglieder im Maastricht-Vertrag die Grundsätze für die GASP fest und sie wurde in der sogenannten „Zweiten Säule” in das rechtliche Rahmenwerk der Union eingeflochten. Hier hat die EU, vereinfacht gesagt, weit weniger Befugnisse als etwa bei der Schaffung des Binnenmarktes oder in der Handelspolitik, die zur „Ersten Säule” gehören. Während sich das Europäische Parlament dort zum Mitgesetzgeber neben dem Rat entwickelt hat, ist sein Einfluss auf die EU-Außenpolitik weiter begrenzt.

Den ersten Praxistest bestand das neue Regelwerk nicht. Vermittlungsversuche der EU während des Krieges in Jugoslawien blieben erfolglos, militärisch eingreifen konnten die Mitgliedsstaaten nur im Rahmen von UN und NATO-Missionen. Der Europäische Rat von Köln beschloss dann 1999 den Aufbau einer operativen und eigenständigen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als integralen Bestandteil der GASP. Im Zweifel sollte die EU auch ohne die NATO europäische Interessen vertreten können.

Grafik: Darstellung der »Drei Säulen« der EU gemäß der Gemeinschaftsverträge (Stand: Februar 2007)

Die ersten ESVP-Einsätze brachten europäische Soldaten dorthin, wo europäische Politik zuvor gescheitert war — auf den Balkan. Eine Polizeimission löste im Januar 2003 UN-Beamte in Bosnien-Herzegowina ab, drei Monate später übernahm eine EU-Militärtruppe die Aufgaben der NATO in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Vergangenes Jahr sicherten EU-Truppen die ersten freien Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo seit über 40 Jahren. Jetzt steht eine Eingreiftruppe, die rund 1.300 Mann starke sogenannte „EU-Battlegroup”, bereit, die weltweit schnell in Krisenregionen verlegt werden kann.

Sperriges Prozedere

Wie rasch diese Soldaten reagieren können, hängt freilich vom Willen der 27 Mitglieder ab. Größter Hemmschuh von ESVP und GASP ist das Prinzip der Einstimmigkeit. Das Vokabular, das die Entscheidungsfindung beschreibt, ist fast genauso sperrig wie das Prozedere selbst. Im Gegensatz etwa zum Binnenmarkt oder der Handelspolitik ist im Rahmen der GASP nicht die Kommission, also die integrationsfreundliche Brüssler Exekutive, das entscheidende Organ, sondern der Europäische Rat, also das Gremium, in dem sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten regelmäßig treffen. über gemeinsame Strategien entscheidet er einstimmig. Umgesetzt werden diese Vereinbarungen vom Rat der EU in der Zusammensetzung der EU-Außenminister in gemeinsamen Standpunkten und Aktionen. Letztere beinhalten zum Beispiel Details über das Verhängen von Sanktionen oder den Einsatz von Wahlbeobachtern.

Oft aber gelingt es den Europäern nicht, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Die tiefgreifenden Differenzen der EU-Mitglieder im Frühjahr 2003 in der Frage, ob der UN-Sicherheitsrat einen Krieg gegen Irak genehmigen sollte, sind das bekannteste Beispiel. Doch auch bei weniger gravierenden Fragen tut sich die Union schwer, die Interessen von mittlerweile 27 Staaten unter einen Hut zu bringen. Ulrike Guérot, Europaexpertin beim German Marshall Fund, einem Think Tank in Berlin, sieht weiter Handlungsbedarf: „Die beiden fundamentalsten Projekte für die europäische Zukunft sind einerseits die Energiepolitik und andererseits die europäische Verteidigungspolitik.”

Zumindest einen Teil dieser Probleme geht der Europäische Verfassungsvertrag an. So soll es in Zukunft einen europäischen Außenminister geben. Dieser wird vom Europäischen Rat mit Zustimmung des Präsidenten der Europäischen Kommission mit qualifizierter Mehrheit ernannt. Er ist sowohl Vizepräsident der Kommission als auch Beauftragter des Ministerrates. Durch diese „zwei Hüte” soll er die Stimmigkeit der GASP garantieren. Er vertritt den Standpunkt der EU in internationalen Organisationen. Kaum bekannt ist, dass der Vertrag erstmals auch eine Beistandsverpflichtung ähnlich dem Artikel 5 des NATOVertrages enthält. Demnach sind die Staaten verpflichtet, im Falle eines Angriffs den angegriffenen Staat zu unterstützen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Verfassungsvertrag und damit diese Bestimmungen wiederzubeleben. Daher blicken die EU-Mitglieder mit Spannung auf das erste Halbjahr 2007. „Deutschland ist ein großer EU-Staat, der aufgrund seiner materiellen und personellen Ressourcen besser als andere gerüstet ist, die vielfältigen Management-, Leitungs-, Koordinierungs- und Repräsentationsaufgaben einer Präsidentschaft zu erfüllen”, schreibt Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Würde der Verfassungsvertrag Wirklichkeit, wäre übrigens auch Henry Kissingers Frage nach der Telefonnummer für Europa beantwortet. Unter (00 32) 2 281 6167 könnte er sich zu Javier Solana durchstellen lassen — sollte der derzeitige Hohe Vertreter für die GASP erster europäischer Außenminister werden.

Nächster Artikel »

Text: Peter Müller
Fotos: Picture-Alliance, Reuters
Erschienen am 22. März 2007


Artikelanfang Leserbrief schreiben Druckansicht