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Zum zweiten Mal bereits eröffnet Otto Schily als Alterspräsident einen neuen Bundestag. Das ehrenvolle Amt dauert nur kurz – lang hingegen ist die Liste der Persönlichkeiten, die es bekleideten. Und immer wieder gelingt es den Alterspräsidenten, bei ihrer Rede Akzente zu setzen.
Mein Geburtsdatum lautet: 20. Juli 1932. Ist jemand unter Ihnen, der mich an Lebensjahren übertrifft?“ Es ist ein festes Ritual am Beginn einer jeden Legislaturperiode. Vom Platz des Bundestagspräsidenten vergewissert sich der älteste Abgeordnete, mal mit mehr, mal mit weniger Ironie, ob jemand im Saal ihn an Jahren übertrifft. Otto Schily stellt diese Frage bereits zum zweiten Mal. Dann eröffnet er als Alterspräsident die erste Sitzung des 16. Deutschen Bundestages.
Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Allerdings haben bisher alle Alterspräsidenten des Bundestages ihr Amt zu einer programmatischen Rede genutzt.
Gewöhnlich sollen die Ansprachen dazu beitragen, die „Wunden“ des Wahlkampfes zu heilen und an die gemeinsamen Verfassungsgrundsätze und demokratischen Spielregeln zu erinnern. So hat Willy Brandt zur „Pflege der demokratischen politischen Kultur“ aufgerufen, „die nicht institutionell zu sichern ist, sondern die täglich erfahrbar gemacht werden muss.“
In der Bundesrepublik waren es häufig herausragende Politiker, denen das Amt des Alterspräsidenten zufiel. Den ersten Bundestag eröffnete der langjährige Reichstagspräsident Paul Löbe. Dann wäre eigentlich vier Mal in Folge Konrad Adenauer an der Reihe gewesen, aber solange er Kanzler war, verzichtete er auf dieses Recht. Statt seiner amtierte zwei Mal die Liberale Marie-Elisabeth Lüders, die bisher einzige Frau im Amt des Alterspräsidenten des Bundes-tages. 1965, als er nicht mehr Bundeskanzler war, nahm Adenauer die Würde des Alterspräsidenten an und war mit 89 Jahren der bisher älteste Alterspräsident.
Zwei Mal war Ludwig Erhard Alterspräsident. Herbert Wehner hatte 1980 die Ehre, dann folgte drei Mal Willy Brandt. Mit Stefan Heym amtierte 1994 zum ersten Mal ein Abgeordneter aus den neuen Bundesländern, nicht ohne dabei das erste Mal für Aufregung um das Amt zu sorgen. Denn viele Parlamentarier aus der CDU/CSU verfolgten nur widerwillig die Rede des für die PDS in den Bundestag eingezogenen Schriftstellers.
Die Tatsache, dass allein durch das Alter das Recht zur Parlamentseröffnung gegeben wird, war immer auch Anlass zur Diskussion. In Österreich etwa eröffnet der Präsident des früheren Nationalrats die Sitzung des neu gewählten Parlaments und leitet sie, bis ein neuer Nationalratspräsident gewählt ist. In der Schweiz leitet seit 2003 nicht mehr der älteste Abgeordnete die Sitzung, sondern jener mit der längsten Mandatszeit.
Fred Gebhardt, der Alterspräsident des 14. Bundestages, regte 1998 an, dass neben dem ältesten auch der jüngste Abgeordnete bei der Parlamentseröffnung sprechen solle. Allerdings findet das Wirken der jeweils jüngsten Abgeordneten in der Öffentlichkeit ohnehin großes Interesse. Für die älteren Abgeordneten, abgesehen von der kurzen Amtszeit des Alterspräsidenten, gilt das nicht unbedingt.
Otto Schily, der nun zum zweiten Mal der Alterspräsident ist, merkte in seiner Rede von 2002 an, dass er mit 70 Jahren ein vergleichsweise junger Alterspräsident ist und forderte angesichts der älter werdenden Bevölkerung, dass auch die über 70-Jährigen ein – selbstverständliches – Recht auf politische Mitwirkung hätten.
Text: Matthias Rumpf
Fotos: Deutscher Bundestag, Picture-Alliance
Erschienen am 12. Oktober 2005