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Viele Organisationen haben an der Spitze ein Präsidium. Vereine, Verbände, Verwaltungen. Das Wort leitet sich dort zunächst vom Lateinischen „praesidere“ ab und bedeutet „vorsitzen“ oder „vorstehen“. Da sitzt oder steht also jemand den anderen vor. Das Präsidium des Bundestages greift außerdem auf weitere Bedeutungen des lateinischen Ursprungs im Wort „praesidium“ zurück: Hier kommen die Begriffe „Mantel“, „Schutz“, „Stützpunkt“ ins Spiel. Die Mitglieder des Bundestagspräsidiums, allen voran der Bundestagspräsident, sind nicht nur regelmäßig sich abwechselnde Vorsitzende in den Plenardebatten des Bundestages. Sie achten darüber hinaus auf die Stellung und das Ansehen der Volksvertretung in Politik und Gesellschaft und kümmern sich gemeinsam mit dem Ältestenrat um die Funktionsfähigkeit des Parlaments und seiner Verwaltung. Wer sind die Menschen in diesem Amt? BLICKPUNKT BUNDESTAG stellt die Aufgaben des Präsidiums und seine Mitglieder vor.
Was die Zusammensetzung des Präsidiums anbelangt, gibt das Grundgesetz jedem neu gewählten Bundestag relativ freie Hand. Vorgeschrieben ist lediglich, dass der Bundestag „seinen Präsidenten“ und „dessen Stellvertreter“ zu wählen hat (Artikel 40). Weder über die Art der Wahl noch über die Zahl der Vizepräsidenten gibt es unumstößliche Vorgaben. Es ist aber in der parlamentarischen Praxis üblich, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für die Person des Präsidenten wahrnimmt. Das kann dazu führen, dass ein Vertreter der größten Oppositionsfraktion im Bundestag an die Spitze des Parlaments rückt, wenn sich etwa die Regierungsmehrheit aus einer Koalition der zweitstärksten mit einer kleineren Fraktion ergab. So kamen die Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel, Karl Carstens und Richard Stücklen aus der Union, obwohl die SPD damals den Kanzler stellte.
Aus der Zugehörigkeit zu dieser oder jener Fraktion folgt jedoch nicht, dass etwa ein Präsident der CDU/CSU auch unionsnah entscheidet oder ein SPD-Präsident SPD-nah. Vielmehr kommt schon in der Anordnung des Präsidentenstuhles im Bundestagsplenum zum Ausdruck, dass der jeweilige Präsident über dem Fraktionsstreit steht. Konsequenterweise ist eine Abwahl des einmal gewählten Präsidenten und seiner einmal gewählten Stellvertreter nicht vorgesehen. Der Amtsinhaber kann jedoch von sich aus seinen Rücktritt erklären.
Die Wahl für die ganze Legislaturperiode stärkt die Neutralität des Präsidiums
Nicht zuletzt wegen dieser besonderen Stellung muss sich die Fraktion, die einen aus ihren Reihen für einen Posten im Präsidium vorschlägt, im Vorfeld Gedanken um dessen Wählbarkeit machen. Denn Vorschlagsrecht heißt nicht „automatisch ernannt“. Im Gegenteil: In geheimer Wahl muss jedes Mitglied des Präsidiums mehr als die Hälfte der Stimmen aller Abgeordneten auf sich vereinigen können. Erst nach mehreren Wahlgängen reicht die einfache Mehrheit. Was die Bundestagspräsidenten betrifft, so sind bislang alle vorgeschlagenen Männer und Frauen auch ins Amt gekommen, allerdings war das Maß der Zustimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg durchaus unterschiedlich.
Jeder neu gewählte Bundestag ist frei darin, sich mit einer eigenen Geschäftsordnung auch eine eigene Regelung über die Zahl der Vizepräsidenten zu geben. Derzeit ist jede Fraktion mit mindestens einem Mitglied im Präsidium vertreten; aus den Reihen der stärksten Fraktion CDU/CSU ist neben dem Bundestagspräsidenten auch ein Stellvertreter ins Präsidium gewählt worden. Da im 16. Deutschen Bundestag die SPD nach Mandaten nur knapp hinter der CDU/CSU liegt, wurden ihr zwei Vizepräsidenten zugestanden.
In den Anfangsjahren hatte das Präsidium zunächst vor allem die Sitzungen des Bundestages im Plenarsaal zu leiten. Geändert hat sich das nicht zuletzt mit der Parlamentsreform im Jahr 1969: Seitdem hat das Präsidium nicht mehr nur die Aufgabe, den Präsidenten bei seiner Amtsführung im Plenum zu beraten; wichtige Entscheidungen bedürfen seither eines Rückhalts im Präsidium. Nur bei Stimmenpatt gibt das Votum des Präsidenten den Ausschlag.
Was gehört nun genau zum Aufgabenfeld des Präsidiums? Beginnen wir unsere Beschreibung dort, wo Präsident und Vizepräsidenten im sichtbarsten sind: im Plenum. Das jeweils als Sitzungspräsident amtierende Präsidiumsmitglied eröffnet und schließt jede Sitzung. Um die besondere Bedeutung des Parlamentspräsidenten zu unterstreichen, ist es üblich, dass sich die Bundestagsabgeordneten vor Beginn jeder Plenarsitzung aus Respekt vor dem Präsidenten von den Plätzen erheben.
Im Verlauf der Sitzung ist es dem amtierenden Bundestagspräsidenten vorbehalten, den Rednern das Wort zu erteilen. Die Fraktionen einigen sich zu Beginn jeder Wahlperiode darauf, wie viele Minuten Redezeit jede Fraktion entsprechend der Stärkeverhältnisse im Plenum pro Debattenstundeerhält. Die Fraktionen verteilen ihrerseits das ihnen zugeteilte Kontingent auf ihre Redner in der jeweiligen Debatte. Der Präsident und die Schriftführer behalten während der Sitzung die Uhr im Auge und weisen den Redner wenn nötig darauf hin, dass die zugeteilte Zeit zur Neige gegangen ist. Kommt der Redner nicht zum Schluss, muss er damit rechnen, vom amtierenden Präsidenten unterbrochen und zum Ende gedrängt zu werden. In schwerwiegenden Fällen kann der amtierende Präsident dem Redner auch das Wort entziehen.
Das Eingriffsrecht des Präsidiums bezieht sich auch auf die inhaltliche Dimension. So kann der amtierende Präsident den abschweifenden Redner dahin bringen, zur eigentlichen Sache zu reden. Greift ein Redner zu „unparlamentarischen“ Ausdrücken, geht er also weit über die Ausdrucksformen des parlamentarischen Streites hinaus und greift zu Verunglimpfungen oder üblen Beleidigungen, kann der amtierende Präsident den Redner mit einem Ordnungsruf belegen. Er kann das Verhalten eines Abgeordneten darüber hinaus mit Sitzungsausschluss belegen — was Auswirkungen nicht nur auf die Mitwirkungsmöglichkeit des von den Sanktionen Betroffenen im Plenum hat, sondern auch finanzielle Abzüge bewirken kann.
Während der Sitzungen kann der amtierende Präsident auch das Umfeld der Debatte beeinflussen und beispielsweise Störer von der Zuschauertribüne entfernen lassen. Ohnehin besitzt der Parlamentspräsident nicht nur das Hausrecht in sämtlichen Gebäuden des Bundestages, sondern sogar die Polizeigewalt. Das rührt her aus Zeiten, in denen Fürsten, Könige und Kaiser immer wieder versucht waren, den freien Willen der Abgeordneten einzudämmen, sie mit diversen staatlichen, also auch polizeilichen Maßnahmen einzuschüchtern. Damit es hier auch heute zu keinen Missverständnissen oder Fehleinschätzungen kommt, hat der Bundestag eine eigene Polizei, deren Vorgehen vom Bundestagspräsidenten vorgegeben wird.
Das Aufgabenfeld geht weit über die Leitung der Sitzungen hinaus
Sitzungstage dauern mitunter von neun Uhr am Morgen bis spät in die Nacht. Nonstop! Damit die Sitzungsführung stets „frisch“ dabei ist, wechseln sich die Mitglieder des Präsidiums alle zwei Stunden ab. Keine Sitzung wird geschlossen, bevor nicht der amtierende Präsident den Termin der nächsten Sitzung bekannt gegeben hat. Der Präsident kann jedoch jederzeit Sondersitzungen anberaumen, wenn der Bundestag es so beschließt. Er muss zu Sitzungen einladen, wenn es ein Drittel der Abgeordneten, der Bundeskanzler oder der Bundespräsident verlangen.
Der Bundestagspräsident ist die zentrale Adresse im Schriftverkehr des Parlaments. Gesetzentwürfe, Anträge, Vorschläge, Initiativen — fast alles geht erst einmal an den Bundestagspräsidenten, dessen Mitarbeiter die Schriftstücke dann an die entsprechenden Stellen weiterleiten. Das erleichtert die Übersicht und Orientierung. Dabei geht es um mehr als um die bloße Verteilung der Eingänge. So gibt der Bundestagspräsident über die Verwaltung etwa Hinweise und Formulierungshilfen für Kleine Anfragen von Abgeordneten, wenn darin unsachliche Feststellungen oder Wertungen enthalten sind.
Damit der Bundestag optimal funktioniert, arbeitet den Abgeordneten die Bundestagsverwaltung zu, an deren Spitze der Bundestagspräsident steht und die in seinem Auftrag vom Direktor beim Deutschen Bundestag geleitet wird. Der Bundestagspräsident ist also oberste Dienstbehörde, er ernennt die Beamten, stellt sie ein, befördert sie und versetzt sie in den Ruhestand — beim höheren Dienst teilweise nicht ohne Zustimmung des gesamten Präsidiums.
Auch bei den Finanzen des Parlaments hat der Präsident eine Schlüsselrolle inne. Zunächst beschließt der Ältestenrat jedes Jahr einen Entwurf des Bundestagshaushalts, der Auskunft darüber gibt, wie viel Geld der Bundestag für welche Aufgaben ausgeben darf. Der Finanzminister fügt diesen Vorschlag in den Entwurf des Gesamthaushalts des Bundes ein und letztlich beschließen die Mitglieder des Bundestages im Rahmen der Haushaltsberatungen — wie über den Haushalt des Bundes insgesamt — auch über den Etat des Bundestages. Die Anweisung der Mittel aber erfolgt dann durch den Bundestagspräsidenten. Wenn es um Verträge geht, die für die Bundestagsverwaltung von erheblicher Bedeutung sind, schließt sie ebenfalls der Präsident ab — nachdem er sich wiederum mit seinen Stellvertretern abgestimmt hat. Und auch wenn die Strafverfolgungsbehörden gegen einen Abgeordneten ermitteln wollen, müssen sie vorab den Präsidenten einschalten.
Das Aufgabenfeld des Präsidenten geht also weit über die Leitung der Sitzungen hinaus. Nach der Geschäftsordnung wahrt er die Würde und die Rechte des Bundestages, fördert seine Arbeiten, leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch und wahrt die Ordnung im Hause. In jeder Sitzungswoche kommt der Präsident mit seinen Vertretern zu einer Präsidiumssitzung zusammen, um aktuelle, grundsätzliche und langfristige Angelegenheiten des Hauses zu besprechen und zu beraten. In einigen Fällen hat der Bundestagspräsident die alleinige Verantwortung. Dazu gehört etwa die Erfüllung des Parteiengesetzes. Danach hat der Bundestagspräsident jährlich festzusetzen, wie viele staatliche Mittel die einzelnen Parteien erhalten. Er kann darüber jedoch nicht beliebig entscheiden; die genaue Berechnung ist wiederum nach dem Parteiengesetz vorgeschrieben.
Während sich sämtliche Mitglieder des Präsidiums in der Leitung der Sitzung abwechseln und auch außerhalb des Plenarsaales repräsentative Aufgaben für den Bundestag als Ganzen wahrnehmen, ist bei Verhinderung des Präsidenten die offizielle Vertretung in seinen spezifischen Funktionen einem Präsidiumsmitglied aus der zweitstärksten Fraktion vorbehalten.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier, Picture-Alliance/dpa
Grafik: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 31. Januar 2007