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Mit 80 Fragen

Global - durch die Welt der Parlamente

Das schönste von allen? Parlament in Ungarn.
Das schönste von allen? Parlament in Ungarn.

„Fundament? aus Deutschland: das griechische Parlament.
„Fundament? aus Deutschland: das griechische Parlament.

Der Präsident des polnischen Parlaments mit Marschallsstab.
Der Präsident des polnischen Parlaments mit Marschallsstab.

Premierminister Tony Blair redet vor dem britischen Unterhaus.
Premierminister Tony Blair redet vor dem britischen Unterhaus.

USA: Parlamentssprecher Dennis Hastert (rechts) mit USPräsident George W. Bush.
USA: Parlamentssprecher Dennis Hastert (rechts) mit USPräsident George W. Bush.

Die Nationalversammlung in Frankreich.
Die Nationalversammlung in Frankreich.

Wetten, dass eigentlich in den Parlamenten die Musik spielt?, sagten sich die GlasklarMitarbeiter und trugen alles zusammen, was sie über die Parlamente anderer Länder finden konnten. Doch schon nach kurzer Zeit stapelten sich die Fragen.

  • Warum hat der polnische Parlamentspräsident einen sicheren Job?
  • Wieso hat die griechische Demokratie ein deutsches Fundament – und nicht etwa andersherum?
  • Was passiert, wenn ungarische Abgeordnete die Sitzung schwänzen?
  • Und warum heißt einer Speaker, wenn er gar nichts sagt?

Es half nichts, jemand musste raus und sich die Sache ansehen: Mit 80 Fragen im Gepäck durch die Welt der Parlamente. Am Anfang stand natürlich die Frage: Wo soll’s überhaupt losgehen, bei über 190 souve ränen Staaten? Na klar, der Start ist ...

... da, wo es begann: in London. Da startete nicht nur Phileas Fogg in Jules Vernes Roman seine Weltreise – hier, im Vereinigten Königreich, liegt auch die Wiege des modernen Parlamentarismus. Im Parlament in London ist vieles entstanden, was heute zur parlamentarischen Demokratie gehört.

Die Menschen haben ihren Parlamenten viele Namen gegeben: Riksdagen, Assemblée nationale, Eduskunta, Folketinget, Sejm, Stortinget oder Tweede Kamer. Das der Briten heißt House of Commons (deutsch „Unterhaus“). Hier versammelten sich traditionell die Bürgerlichen, während im House of Lords (deutsch „Oberhaus“) Adel und Klerus saßen. Früher kämpften der König und die beiden Kammern um die Macht im Staat. So hat Karl I. 1629 wegen unversöhnlicher innenpolitischer Auseinandersetzungen das Parlament aufgelöst, musste es aber 1640 wieder einberufen. 1642 brach um die Macht ein Bürgerkrieg aus, an dessen Ende 1649 das noch verbliebene Rumpfparlament einer radikalen Minderheit den König zum Tode verurteilte und dieses Urteil auch vollstrecken ließ. Ein auch in dieser Zeit unerhörter Vorgang! Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das House of Commons endgültig zum politischen Zentrum. Ein Premierminister benötigte fortan den Rückhalt der Unterhausabgeordneten, um die Regierungsgeschäfte zu führen.

In Großbritannien und in einigen anderen Demokratien gibt es noch ein Königshaus (parlamentarische Monarchie). Allerdings haben die Monarchen als Staatsoberhäupter in der Regel nur repräsentative Funktionen. In Großbritannien als parlamentarischdemokratischer Erbmonarchie eröffnet die Königin jedes Jahr im November die neue Sitzungsperiode des Parlaments mit einer Thronrede. Diese schreibt aber der Premierminister, es ist seine Regierungserklärung. In manchen parlamentarischen Monarchien wirken Monarchen noch an der Gesetzgebung mit. Sie können wie in Dänemark oder Luxemburg Gesetze auf den Weg bringen.

Parlamentspräsidenten haben überall eine wichtige Funktion. Der Bundestagspräsident ist protokollarisch der zweite Mann im Staat. Der Parlamentspräsident des polnischen Parlaments wird Marschall genannt. Ein Marschallstab steht neben seinem Sitz im Sejm, dem polnischen Parlament. Durch dreimaliges Aufstoßen des Stabes auf den Boden eröffnet und schließt er jede Sitzung. Der Marschall hat einen wahrhaft „sicheren Job“, denn er hat eine eigene Leibgarde. Die Gardisten schützen heutzutage das Gebäude und setzen auch Ordnung im Plenarsaal durch, wenn es nötig sein sollte.

Bei den Briten nennt sich der Parlamentspräsident Speaker, also Sprecher, obwohl er gar keine Reden hält und nicht an Debatten teilnimmt. Speaker heißt er, weil er sich früher als Sprecher der Bürgerlichen an den Monarchen wandte. Heute fungiert er als Sprecher des Unterhauses gegenüber der Monarchin, dem Oberhaus und anderen Staatsorganen. Er leitet noch heute die Sitzungen in einer zeremoniellen schwarzen Robe. Früher trug er sogar eine Perücke – seit der ersten „Madame Speaker“ Betty Boothroyd (1992–2000) ist diese Kopfbedeckung aber unüblich geworden.

Einen Speaker hat auch das Repräsentantenhaus in den USA. Seine Funktion unterscheidet sich von anderen Parlamentschefs. Die USA haben eine präsidentielle Demokratie, der Präsident hat eine starke Position, er kann etwa Gesetze durch ein Veto blockieren. Kommt der Speaker aus der Gegenpartei des Präsidenten, dann ist er sein Gegenspieler auf der politischen Bühne. Nach Präsident und Vizepräsident, der dem Senat (der zweiten Kammer des USParlaments) vorsteht, ist er der dritte Mann im Staate. Wären die beiden anderen amtsunfähig, würde er Präsident werden – was allerdings noch nie vorgekommen ist.

iele Volksvertretungen richten Ausschüsse ein, oft spiegelbildlich zu den Ministerien, um die Regierung gut kontrollieren zu können. In Frankreich lässt die Verfassung nur sechs ständige Ausschüsse zu. Diese sind für große Bereiche der Politik zuständig, wie zum Beispiel der „Ausschuss für Finanzangelegenheiten, allgemeine Wirtschaft und Wirtschaftsplanung“, der derzeit 82 Mitglieder hat. Der Haushaltsausschuss als größter der 22 ständigen Bundestagsausschüsse kommt derzeit auf 41 Mitglieder.

In den meisten Parlamenten sitzen Berufspolitiker. Aber was ist mit Politikerinnen? Den Anfang in Europa machte Finnland. 1906 durften hier erstmals Frauen wählen und kandidieren. Mit 37,5 Prozent hat Finnland derzeit auch den höchsten Frauenanteil im Parlament. Im Bundestag sind es 31,8 Prozent. Dafür hatte Deutschland vielleicht die jüngste Abgeordnete. 2002 zog die damals 19-jährige Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen) in den Bundestag ein. Nicht überall kann man wie in Deutschland mit 18 gewählt werden. In Großbritannien erst ab 21, in Japan muss man 25 sein, wenn man ins Repräsentantenhaus gewählt werden will, und sogar 30, wenn man in die zweite Kammer gewählt werden will. Und was bei den einen ein Wahlrecht ist, ist bei den anderen eine Pflicht – auch in Demokratien wie in Griechenland, wo seit 1932 eine Wahlpflicht existiert.

Die griechische Demokratie hat übrigens ein deutsches Fundament – zumindest baugeschichtlich. Denn das heutige Parlamentsgebäude in Athen ließ Bayerns König Ludwig I. damals als Königspalast für seinen Sohn Otto errichten, der 1832 als Otto I. König von Griechenland wurde. Als das schönste Parlamentsgebäude der Welt gilt aber das ungarische von 1882. Ein weiterer Superlativ der Ungarn: Sie haben wohl die strengste Fraktionsdisziplin. Wer bei wichtigen Abstimmungen fehlt, kann nach der Geschäftsordnung mit einer Strafe von 5.000 Forint (etwa 200 Euro) belegt werden.

Wenn sich Abgeordnete zu einer Fraktion zusammentun, dann wollen sie ihr politisches Gewicht erhöhen. Häufig wird in den Fraktionen hart um einen gemeinsamen Standpunkt gerungen. Und so haben sich Ämter herausgebildet, die eine einheitliche Stimme der Fraktion herbeiführen sollen. In Großbritannien heißen diese Abgeordneten Whips, was so viel wie „Einpeitscher“ bedeutet. Der Begriff soll auf jene Leute zurückgehen, die bei einer Fuchsjagd die Hundemeute mit der Peitsche unter Kontrolle hielten. Wie haben sich die Whips im Parlament wohl beim Verbot der Fuchsjagd verhalten, das 2004 vom Unterhaus beschlossen wurde?

Fuchsjagd ist eine Beschäftigung, der die rund 12.000 Einwohner der Inselrepublik Nauru im Pazifik nicht nachgehen. Die 18 Abgeordneten ihres Parlaments dürfen als sehr engagiert gelten. In den letzten Jahren amtierte keine Regierung über die gesamte Wahlperiode von drei Jahren. Fast jährlich bedienten sich die naururischen Volksvertreter eines Instruments, das es in ähnlicher Form auch in anderen Demokratien gibt: Sie stürzten die Regierung mit einem Misstrauensvotum.

Text: Georgia Rauer | Fotos: Picture-Alliance
Erschienen am 10.04.2006

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