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Interview mit Christa Nickels
"Der Petitionsausschuß ist das Forum für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern"
Der Petitionsausschuß des Bundestages ist ein ganz besonderes Gremium: Hier können die Bürgerinnen und Bürger direkt die Gesetzgebung und das staatliche Handeln beeinflussen. "Blickpunkt Bundestag" sprach mit der Vorsitzenden des Ausschusses, Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen).Der Petitionsausschuß scheint die
Rolle eines Ombudsmannes übernommen zu haben. Wie bewerten Sie
Ihre Rolle? Sind Sie Schiedsrichter, Vermittler oder Anwalt des
Bürgers?
Unser Ausschuß ist der Ort des Parlamentes, in dem
Veränderungen und Verbesserungen unseres Gemeinwesens durch
direkte Impulse der Bürgerinnen und Bürger ausgelöst
werden. Die Eingaben spiegeln die Konflikte und Möglichkeiten
unserer Staates wider, wobei es unsere Aufgabe ist,
Lösungsmöglichkeiten für die gesellschaftlichen
Konflikte zu erarbeiten. Der Ausschuß erfüllt eine
einzigartige politische Kontrollfunktion und eröffnet
gleichzeitig den Menschen die aktive Teilnahme am politischen
Willensbildungsprozeß. Denn unser Ausschuß bemüht
sich ja nicht nur, im Einzelfall zu helfen, sondern macht dem
Parlament und der Bundesregierung Vorschläge, wie sie
demokratischer und bürgernäher nicht sein
könnten.
Die große Zahl von Petitionen zeigt,
daß sich der Ausschuß Vertrauen bei den Bürgern
erworben hat ...
Ja, für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern
ist der Petitionsausschuß das Forum des Bundestages.
Bemerkenswert ist für mich, daß die Menschen über
Unmuts- und Meinungsäußerungen hinaus die Diskussion mit
dem Petitionsausschuß suchen, in einen kritischen Dialog
eintreten und sachkundige und gründlich ausgearbeitete
Stellungnahmen fordern. Um diese Aufgaben zu erfüllen, hat der
Petitionsausschuß weitgehende Befugnisse, die anderen
Ausschüssen verwehrt sind. Wir haben Anspruch auf
Aktenvorlage, Zutritt zu Einrichtungen des Bundes, besondere
Auskunftsrechte und können Sachverständige und Mitglieder
der Bundesregierung vor den Ausschuß laden. Diese Befugnisse
machen den Petitionsausschuß zu einem herausragenden
Instrument der Regierungs- und Verwaltungskontrolle.
Nützen die Anregungen der
Bürger auch direkt dem Parlament und der
Gesetzgebung?
Durch die Briefe werden neuartige Probleme oft erstmals im
Bundestag bekannt. Und nicht selten wird durch die bildhaften
Schilderungen deutlich, daß sich die von Parlamentariern und
Fachleuten klug durchdachten, wohlformulierten Gesetze in der
Praxis und im Einzelfall nicht bewähren oder ungerecht sind.
Deshalb haben wir eine große Verantwortung, weil die
Bürgerinnen und Bürger nur über den
Petitionsausschuß direkt und unmittelbar am Verfahren des
Bundestages teilnehmen können.
Dabei übernehmen wir aber noch eine weitere Funktion: Wenn
sich ein Bürger einer "Schreibtischherrschaft" gegenüber
sieht, verliert er den Glauben an Recht und Politik. Oft kommen
diese Leute dann hilfesuchend zu uns und zeigen damit, daß sie
noch Vertrauen in demokratische Verfahren haben. Wir sind dazu da,
dieses Vertrauen in das Parlament zu bestätigen und zu
festigen.
Es hat fatale Folgen, wenn das nicht gelingt. Unsere Arbeit ist ein
steter Drahtseilakt zwischen den hohen Erwartungen auf der einen
Seite und der noch allzuoft erlebten Mißachtung dieser Arbeit
durch Parlament und Regierung.
Woran machen Sie dies fest?
Man hört viele wohlfeile Sonntagsreden über unseren
Ausschuß, aber wenn es darum geht, Tatsachen zu schaffen, sind
wir nicht wichtig. Wir haben schlechte Debattenzeiten, zu kurze
Beratungszeiten im Ausschuß, und ständig wird am
Stellenplan des Ausschußdienstes herummanipuliert. Ich mag gar
nicht mehr zählen, wie oft wir den
Geschäftsordnungsausschuß anrufen mußten, um
wenigstens unsere verbrieften Parlamentsrechte einzuklagen.
Kommen die Bürger nicht mit hohen
Erwartungen auf Sie zu, die Sie zwangsläufig mangels
Zuständigkeit oder Kompetenz enttäuschen
müssen?
Wir können es nicht allen recht machen. Aber der Ausschuß
kann sich mit seiner Arbeit der vergangenen vier Jahre sehen
lassen. Unser Einsatz ist ein innerparlamentarischer Marsch durch
die Institutionen. Aber wir stehen vor einer neuen Etappe. Mit den
Instrumenten der Bonner Republik wird der nächste Bundestag
nicht auskommen. Dies gilt auch für den
Petitionsausschuß. Angesichts wachsender Probleme und
schwindender Ressourcen wird das Leben für die Menschen in
unserem Land schwerer. Aber die Erfahrungen im
Petitionsausschuß zeigen, daß die Menschen trotzdem nicht
egoistisch geworden sind. Sie sind bereit, mit eigener Leistung in
einem gerechten, sozialen System auch für andere, für
Schwache einzutreten. Diese wertvolle Ressource haben wir zu
fördern. Unser Ausschuß ist ein Gradmesser für die
Bereitschaft der Bürger, sich zu engagieren, und des
Parlamentes, dies aufzunehmen und in bürgernahe Politik
umzusetzen. Das Engagement der Bürger ist da. Das Parlament
aber muß deutlich nachbessern.
Trügt der Eindruck, daß die
Fraktionszugehörigkeit im Ausschuß eine geringere Rolle
spielt und die Mitglieder eher parteiübergreifende
Lösungen anstreben?
Die allermeisten Eingaben werden im Ausschu