Abschied mit Wehmut II
Bekannte Gesichter verlassen das Parlament
In rund zwölf Wochen wird der 14.
Deutsche Bundestag gewählt und so ist jetzt für eine
ganze Reihe Abgeordnete die Zeit des Abschiednehmens gekommen.
Für viele von ihnen, die nach oft langen Jahren der
Parlamentszugehörigkeit ihre letzte Rede vor dem Deutschen
Bundestag gehalten haben, ist es ein Abschied mit Wehmut.
"Blickpunkt Bundestag" erinnert auch in dieser Ausgabe an einige
von ihnen, die stellvertretend stehen für all die, die nun
neuen Gesichtern Platz machen.
Der erhebendste Moment war die Nachricht von der Öffnung
der Berliner Mauer, die uns 1989 - ich war zu der Zeit Vorsitzender
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - in den Abendstunden in Bonn
erreichte sowie die spontane Reaktion darauf im Parlament: Wir
haben uns alle erhoben und dann gemeinsam die deutsche
Nationalhymne 'Einigkeit und Recht und Freiheit' angestimmt." Das
antwortete Alfred Dregger auf die Frage von Blickpunkt Bundestag
nach dem spannendsten Moment in seiner seit 1972 andauernden
Zugehörigkeit zum Bundestag. Nach der Bundestagswahl am 27.
September heißt es auch für den ehemaligen
Bürgermeister von Fulda und promovierten Juristen Dregger
(77), vom Parlament Abschied zu nehmen. Er hat die parlamentarische
Arbeit in Bonn wie andere ausscheidende Politiker mitgeprägt,
zuletzt als Ehrenvorsitzender der CDU/CSU, der bei kaum einer
Debatte fehlte.
Was kann ein einzelner Abgeordneter im Bundestag politisch
erreichen? Alfred Dregger sagte zum Blickpunkt Bundestag: "Er kann
wichtige Zukunftsentscheidungen beeinflussen. Eine solche
Entscheidung, an der ich maßgeblich mitgewirkt habe, war die
Beseitigung der atomaren Rohrartillerie beider Seiten -
einschließlich der der französischen Hades. Diese
Waffensysteme waren für uns Deutsche deshalb so besonders
unangenehm, weil sie von Deutschland nach Deutschland gerichtet
waren und wegen der kurzen Reichweite zum großen Teil nur
Deutschland getroffen hätten." Dem geborenen Westfalen, der
seine Heimat in Hessen fand, war nie mit irgendwelchen
journalistischen Schablonen beizukommen, auch wenn es dazu
reichlich Versuche gab. Zu Beginn seines politischen Lebens waren
es Männer wie Ludwig Erhard und Konrad Adenauer, die ihn
beeindruckten. In seiner Erinnerung mag ihm als schönste
politische Zeit die in Fulda einfallen. Dort konnte er gestalten -
mit einer sicheren absoluten Mehrheit der CDU. Ob er in seiner Zeit
als Abgeordneter Freunde auch in den anderen Fraktionen gefunden
habe? Dregger: " Wirkliche Freunde hat man nur wenige. Wichtig war
und ist mir, daß ich auch mit Kolleginnen und Kollegen anderer
Fraktionen einen anständigen und respektvollen Umfang gepflegt
habe und pflege."
Markante Köpfe
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Auch aus den anderen Fraktionen verabschieden sich markante
politische Köpfe aus dem Parlament, in dem sie ebenso wie in
einer Bundesregierung ihre deutlichen Spuren hinterlassen werden.
Dazu gehören aus den Reihen der FDP natürlich
Hans-Dietrich Genscher (70) und Otto Graf Lamsdorff (70), beide
Ehrenvorsitzende ihrer Partei. Der ehemalige Innen- und
langjährige Außenminister und der frühere
Wirtschaftsminister, beide einst Parteivorsitzende, gehören
zusammen mit Alfred Dregger und dem früheren CDU-Minister
Gerhard Stoltenberg sicher zu den bekanntesten Abgeordneten, die
den Bundestag nach 33 beziehungsweise 26 Jahren verlassen. Dem Mann
mit dem gelben Pulli, Hans-Dietrich Genscher aus Halle, wurde
während seiner Amtszeit als Außenminister nachgesagt, er
fliege derart viel in der Welt herum, daß er sich in der Luft
schon einmal selbst begegnet sei. Genscher war dabei, als im
Kaukasus bei Michael Gorbatschow die deutsche Einheit festgeklopft
wurde. Zu den dramatischsten und bewegendsten Momenten in seinem
politischen Leben zählt er jene abendliche Stunde, in der er
am 30. September 1989 den DDR-Bürgern in der völlig
überfüllten deutschen Botschaft in Prag die Ausreise in
die Bundesrepublik mitteilte. Wie für Alfred Dregger und
sicher die meisten Abgeordneten des Bundestages zählt auch
Genscher der Fall der Mauer zu den spannendsten und schönsten
Augenblicken seines politischen Lebens.
Das gilt auch für Otto Graf Lambsdorff, der stets als
"Mark(t)graf" bezeichnet wurde. Er schrieb im September 1982 den
berühmt gewordenen Wendebrief an den damaligen Bundeskanzler
Helmut Schmidt, mit dem das Ende der sozial-liberalen Koalition
eingeläutet wurde. Lambsdorff gehört zu jenen Politikern,
denen in den Medien Ecken und Kanten zugebilligt werden. In seiner
Abschiedsrede vor dem Deutschen Bundestag meinte er lapidar: "Ich
weiß, ich habe in den Jahren bei manchen Mitgliedern des
Hauses heftigen Verdruß erregt. Das war meine Absicht."
Platz für Jüngere
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Ein weiterer ehemaliger Minister, der dem Bundestag Adieu sagt,
ist Gerhard Stoltenberg (69) von der CDU. Er hielt am 18. Juni in
der Debatte über den EU-Gipfel von Cardiff seine letzte Rede
im Plenum und hörte danach aus allen Fraktionen respektvolle
Dankesworte für sein politisches Lebenswerk. Auch der
ehemalige Forschungs-, Finanz- und Verteidigungsminister, der auch
Ministerpräsident in Schleswig-Holstein war, will
jüngeren Politikern Platz machen. Von den vielen
Eindrücken, die auf einen Politiker einstürzen, wird der
stets als der "kühle Klare aus dem Norden" charakterisierte
Stoltenberg einen sicher nicht vergessen. Im Mai 1991 besuchte er
als Verteidigungsminister im Lager Yakmal an der
türkisch-irakischen Grenze die damals dort lagernden
kurdischen Flüchtlinge. Als er aus dem Hubschrauber stieg,
empfingen ihn unzählige Kinder mit dem Stakkato-Ruf
"Jäss, jäss Schörmäni". Da war der angeblich so
Kühle erkennbar gerührt. Angesichts des Elends sagte
Stoltenberg danach: "Es war ein Schock."
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Minister für die CDU/CSU war Jürgen Warnke (66),
zuerst für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dann für
Verkehr. Er stammt aus Berlin, hat aber seinen Wahlkreis im
bayerischen Hof. Der promovierte Rechtsanwalt gilt als Politiker,
der immer hart arbeitet, nüchtern analysiert und sich schnell
in neue Aufgabengebiete einarbeitet. Als Verkehrsminister
verfügte der einstige Hauptgeschäftsführer des
Verbandes der Keramischen Industrie über den
viertgrößten Etat im Bundeshaushalt.
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Freimut Duve (61), Karsten D. Voigt (57) und Hermann Rappe (68)
gehören aus den Reihen der Sozialdemokraten beispielhaft zu
den Abgeordneten, die nicht mehr für den Bundestag
kandidieren. Duve wurde in Würzburg geboren, wuchs aber in
Hamburg auf. Er vertritt den Wahlkreis Hamburg-Mitte. Der Lektor
gehört zu den Abgeordneten, die sich neben der Politik der
Literatur widmen und selbst Bücher herausgegeben haben.
Herausgeber, aber in einem ganz anderen Sinn, war auch der
SPD-Abgeordnete Dietrich Sperling (65) aus Königstein in
Hessen. Auch er kandidiert nicht wieder. Sperling wird in die
Geschichte des Bundestages als einer jener Abgeordneter eingehen,
die den Phantom-Abgeordneten Jacob Mierscheid ins "Leben" gerufen
haben.
Karsten D. Voigt, ehemaliger Volkshochschuldirektor, war im Plenum
eine der bestimmenden außenpolitischen Stimmen seiner
Fraktion. Auf außenpolitischem Parkett machte er sich auch als
Präsident der Nordatlantischen Versammlung einen politischen
Namen. Voigt verfügt über exzellente politische Kontakte
nach Nordamerika. In Kopenhagen verblüffte er dereinst als
Skandinavistik-Student seine dänischen Freunde, als sie eines
Tages entdeckten, daß ihm auch deshalb so viel daran lag, sie
stets um Mitternacht zum Zug zu begleiten, weil er dann am Bahnhof
die frischen Zeitungen des nächsten Tages bekommen
konnte.
Hermann Rappe empfand es nie als Abstempelung, wenn er von den
Medien als eher konservativer Sozialdemokrat bezeichnet wurde.
Viele Jahre war er Vorsitzender der IG Chemie-Papier-Keramik, ein
überzeugter Gewerkschafter der alten Schule. Rappe gehört
dem Bundestag seit 1972 an.
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Zu den begabtesten Rednern in den Reihen von Bündnis 90/Die
Grünen gehört sicherlich der Bayer Gerald Häfner
(41), der seit 1994 und davor schon einmal von 1987 bis 1990 im
Bundestag sitzt. Der Waldorflehrer verabschiedete sich in der
Debatte über den Schlußbericht der Enquete-Kommission
SED-Unrecht am 17. Juni von seinen Kolleginnen und Kollegen.
Häfner gehört zu den Gründungsmitgliedern der
Grünen. Auch sein Fraktionskollege Gerd Poppe wird dem
nächsten Bundestag nicht mehr angehören. Nach acht Jahren
Mitgliedschaft im Parlament verläßt der frühere
DDR-Bürgerrechtler, der zuletzt außenpolitischer Sprecher
von Bündnis 90/Die Grünen war, die Bonner Bühne.
Ein besonderes Erlebnis
Ein besonderes Erlebnis am Rande des parlamentarischen
Geschehens im Plenum wird der PDS-Abgeordneten Dagmar Enkelmann
(42) aus Bernau bei Berlin im Gedächtnis bleiben. Gefragt, an
welcher Bonner Anekdote sie sich erinnert, erzählt sie eine
Begebenheit mit dem im Dezember 1996 verstorbenen
Vizepräsidenten des Bundestages, Hans-Klein (CDU/CSU). Als
eine Besuchergruppe aus Bernau auf der Tribüne saß, rief
Klein Dagmar Enkelmann zu sich. Als sie ihn fragte, welches Problem
es gäbe, sagte er ihr, ihre Besucher sollten einen Eindruck
davon bekommen, welch wichtige Rolle sie im Parlament spiele und
sogar der amtierende Präsident ihren Rat suche.
Bereicherung des parlamentarischen Lebens
Die wenigen hier genannten Abgeordneten stehen stellvertretend
für all jene, die ebenfalls aus dem Bundestag ausscheiden.
Darunter sind ebenfalls viele, die sich im Parlament bundesweit
einen Namen gemacht haben. Zu ihnen zählen, wiederum
stellvertretend genannt, der Vorsitzende des Rechtsausschusses
Horst Eylmann (CDU/CSU), der Architekt Peter Conradi (SPD), der
ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium,
Horst Waffenschmidt (CDU/CSU), und der haushaltspolitische Sprecher
der FDP-Fraktion Wolfgang Weng. Alle waren auf ihre Weise eine
besondere Bereicherung des parlamentarischen Lebens.