Blickpunkt
Juli 02/1998
Historische Wurzeln der DemokratieDie Behauptung, die Weimarer Republik habe sich kampflos dem Nationalsozialismus ergeben, ist auch heute noch in Forschung und Publizistik verbreitet. Von "Selbstmord" und "Selbstpreisgabe" ist häufiger die Rede als von "Selbstbehauptung" und "Selbstverteidigung". Mit ihrem historischen Lesebuch "Frühe Warnungen vor dem Nationalsozialismus" wollen die Herausgeber Klaus Schönhoven, Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim, und Hans-Jochen Vogel, früherer Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, mit diesem Vorurteil aufräumen. Auf der Basis aller verfügbaren Reichstags- und Landtagsprotokolle wird erstmals ausführlich - in zehn Kapiteln und rund 400 Seiten - dokumentiert, wie in den Parlamentsdebatten zwischen 1922 und 1933 die Ideologie des Nationalsozialismus diskutiert wurde. Zu Wort kommen über 40 Parlamentarier aus den Reihen der Sozialdemokratie, des Linksliberalismus und des politischen Katholizismus. Ein biographischer Anhang zum eigentlichen Lesebuch beleuchtet die Einzelschicksale der Abgeordneten: Einige von ihnen mußten nach 1933 ihre öffentlich vertretenen Standpunkte mit langen Gefängnis- oder KZ-Strafen bezahlen; andere zählten zu den Köpfen des Widerstandes gegen das Hitler-Regime.Das vom Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" angeregte Werk versteht es in eindrucksvoller Weise, einerseits für die Ehrenrettung des oft vergessenen und verdrängten demokratischen Deutschland der Zwischenkriegszeit einzutreten, andererseits prägnant und detailliert auf die historischen Vorgänge und Argumente zu verweisen, die auch in den aktuellen Diskussionen über die Gefahren des antidemokratischen Extremismus von großer Bedeutung sind. Dem von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth formulierten Geleitwort kann sich der Leser nur anschließen: "Aus der historischen Entwicklung der Weimarer Republik und den Parlamentsdebatten zwischen 1922 und 1933 können wir lernen, wie sehr wir gegenüber den immer wieder neu auftretenden freiheitsregenerierenden Anfeindungen eine lebendige Demokratie brauchen, die sich ihrer historischen Wurzeln und ihrer geistigen wie institutionellen Grundlagen bewußt ist." Klaus Schönhoven, Hans-Jochen Vogel (Hg.); Frühe Warnungen vor dem Nationalsozialismus - Ein historisches Lesebuch; Verlag J.H.W. Dietz Nachf., 399 Seiten; ISBN 3-8012-0262-3; DM 39,80. |
Quelle:
http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9802/9802096