Eine "Käseglocke" für den Bundestag in Berlin?
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Wer von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen will, wird es in Berlin leichter haben als in Bonn: Das Bannmeilengesetz von 1955, das Proteste vor Bundestag, Kanzleramt und Außenministerium verbietet, soll bis Ende März drastisch entschärft werden. Darauf einigten sich in Vorge sprächen die innenpolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen, Dieter Wiefelspütz (SPD) und Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Die Grünen sind nach den Worten Özdemirs gegen "eine demokratiefreie Zone und einen Protest-Sperrbezirk". Die SPD wolle allerdings, so Wiefelspütz, "durchaus ein vernünftiges Sicherheitskonzept". Beide Standpunkte sollen nun miteinander verbunden werden.
Grundlage für diesen Kompromiß ist ein Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion. Nach diesem "Gesetz zur Neuregelung des Schutzes parlamentarischer Beratungen" würde die Berliner Bannmeile im Vergleich zur Bonner schrumpfen. In Bonn erstreckt sie sich über den größten Teil des Regierungsviertels und schließt somit Kanzleramt und Auswärtiges Amt ein. Der Schutzbereich gilt das ganze Jahr über. In Berlin soll die Bannmeile nur zu den Sitzungswochen gelten und den Sitz des Bundeskanzlers nicht mehr integrieren. Wörtlich heißt es im Entwurf der F.D.P., der auf Vorarbeiten ihres früheren Bundestags-Vizepräsidenten Burkhard Hirsch in der 13. Wahlperiode zurückgeht: "Alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und alle Aufzüge in dem befriedeten Bezirk bedürfen der Zustimmung. Sie sollen zugelassen werden, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Bundestages, seiner Organe (...) nicht zu befürchten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Tag durchgeführt werden soll, an dem Sitzungen des Bundestages, seiner Organe oder seiner Gremien nicht stattfinden."
Plenum entscheidet
Auch sollen Verletzungen des Schutzbezirks flexibler bestraft werden und nur noch als Ordnungswidrigkeit gelten. Bisher drohen bei Verstößen gegen das Bannmeilengesetz Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. Wiefelspütz sieht in dem Gesetzentwurf der F.D.P. eine "gute Ausgangslage, die zügig zu einem neuen Gesetz führen wird". In Bonn habe sich zwar der großräumige Sperrbezirk bewährt, wegen der neuen geographischen Verhältnisse sei das alte Gesetz aber nicht auf Berlin übertragbar. "Dort sind wir für eine schlanke Bannmeile, weil das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit so wenig wie möglich eingeschränkt werden soll." Für den Schutz des Bundeskanzleramtes soll allein der Bundesgrenzschutz zuständig sein. Die Bundesregierung befürwortet grundsätzlich eine gesetzlich verankerte Bannmeilenregelung. Doch die Entscheidung über den Verlauf der Linie will Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Parlament überlassen. Sein Vorgänger Helmut Kohl (CDU/CSU) plädierte dagegen vehement dafür, den Schutzraum großräumig festzulegen.
Druck der Straße
Bei der Union herrscht noch immer diese Meinung vor. Peter Ramsauer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, lehnt die anvisierte Lösung als "völlig untauglich" ab. Der Bundestag müsse das ganze Jahr über geschützt werden, weil auch außerhalb der Sitzungswochen im Regierungsbezirk gearbeitet werde. Das Kanzleramt aus der Regelung auszuklammern, hält der CSU-Politiker Ramsauer für unverantwortlich. "Die neue Bundesregierung muß selbst wissen, ob sie sich bei ihrer täglichen Arbeit wirklich dem Druck der Straße aussetzen will."
Mit der gleichen Begründung, den "Druck der Straße" von den Abgeordneten fernzuhalten, hatte die Frankfurter Nationalversammlung 1848 die erste deutsche Bannmeile eingeführt. Damals waren Demonstrationen im Bannkreis allerdings nur "bei Gefahr" verboten. Selbst das autokratische Preußen hatte ein milderes Bannmeilengesetz als die Bundesrepublik in Bonn. Darin waren, wie auch in dem F.D.P.-Gesetzentwurf, Demonstrationen in den sitzungsfreien Wochen erlaubt. Die landesrechtlichen Vorschriften des preußischen Versammlungs- und Vereinigungsgesetzes aus dem Jahre 1850 wurden durch das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 abgelöst, das jedoch keine Bannmeilenregelung mehr vorsah und lediglich bestimmte, daß öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel der Genehmigung der Polizei bedurften. Die Bestimmungen des Reichsver einsgesetzes, die das Versammlungsrecht einschränkten, wurden am 12. November 1918 durch den Aufruf des Rats der Volksbeauftragten aufgehoben. Doch Kapp-Putsch und blutige Straßenkämpfe drängten die aus SPD, Zentrum und DDP zusammengesetzte Weimarer Koalition, die Versammlungsfreiheit im Regierungsviertel 1920 erneut einzuschränken.
Gegner einer Bannmeile, wie etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, verweisen dagegen auf andere Demokratien. In Washington gebe es kein De mon strations verbot am Kapitolshügel, argu mentiert Ströbele. Ebenso kämen Pariser Parlamentarier ohne Bannmeile aus. "Warum soll dann der Reichstag unter die Käseglocke?"