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Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters mit Jungendlichen bei der Eröffnung der Ausstellung "Der Traum von einem anderen Deutschland" |
Schlußstrich? Kommt nicht in Frage!
Der Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit und als Mahnung für die Zukunft dient der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Aus diesem Anlaß haben sich 180 Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland, Frankreich, Polen, Tschechien, den Niederlanden, Liechtenstein und den USA auf Einladung des Deutschen Bundestages in Bonn drei Tage mit den Schattenseiten deutscher Vergangenheit befaßt und dabei völkerverbindende Gemeinsamkeiten von Gegenwart und Zukunft entdeckt.
Eben noch haben sie an der Theke der Cafeteria lebhaft durcheinandergeschwatzt, ein bißchen herumgeblödelt und gedrängelt, doch dann wird es still. 180 Jugendliche sind von dem ernsten Thema gefesselt, hören still und diszipliniert zu.
Wenn Marcel Alburg aus dem brandenburgischen Lübbenau erzählt, was er und seine Freunde in Theresienstadt gesehen haben, da hört das Drängeln rasch auf. Die Schülergruppe hat es genau dokumentiert, das alltägliche Grauen im böhmischen "Vorzeige-KZ" der Nazis, haben aus dem Archiv der Gedenkstätte Material und Fotos zu einer Broschüre zusammengestellt, beschreiben, wie sich halbverhungerte Kinder vor SS-Offizieren um ein Stück Schokolade balg en. Denn die jungen Leute im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, die sich auf Einladung des Deutschen Bundestages zum Gedenk tag für die Opfer des National sozialismus getroffen haben, sind überwiegend aus eigener Überzeugung, mit persönlichem Engagement dabei.
Da ist Jan Kindleb aus Strausberg, der mit einer Schülergruppe das KZ Auschwitz besucht hat und die furchtbaren Eindrücke zusammen mit polnischen Schülern in einer Broschüre anderen Jugendlichen zugänglich machen will. "Wie konnte sowas bloß passieren", fragt sich der 15jährige sichtlich betroffen. Und genau diese Frage ist es, die auch seine Kameraden, ob Deutsche, Franzosen oder Polen, umtreibt.
Dahinter steht die Befürchtung, daß sich der Rückfall in die Barbarei wiederholen könnte. Nicht umsonst haben Marcel Alburg und seine Freunde in ihrer Heimat beinahe täglich neonazistische Jugendgruppen vor Augen, erzählen französische Schüler von wachsenden Ressentiments gegen Immigranten aus Nordafrika. Es ist überall zu spüren: Die Beschäftigung mit dem Grauen der NS-Diktatur ist für die Jugendlichen aus allen Teilen Europas keine tote Historie. Vielmehr kann jeder etwas über aktuelle Formen von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit erzählen.
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Bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus mahnte Bundespräsident Roman Herzog vor allem die jungen Menschen, die Erinnerung wach zu halten. |
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Ganz gleich, ob die jungen Leute bei ihrem dreitägigen Aufenthalt in Bonn ihre vielfältigen Aktivitäten, Projekte und Initiativen vorstellen, ob sie dem erschütternden Erfahrungsbericht von KZ-Insassen lauschen oder mit dem Präsidenten des Bundestages, Wolfgang Thierse, über den Umgang mit Ursachen und Folgen des Holocaust diskutieren - man merkt, daß sie das Thema persönlich berührt. Darin, so berichten mehrere Teilnehmer unabhängig voneinander, entdecken die Jugendlichen Gemeinsamkeiten, die die Fronten der Vergangenheit, ja auch Fragen nach Schuld und Sühne überbrücken.
In der Abschlußdiskussion sprachen sich die meisten Jugendlichen dagegen aus, daß der Bundestag dem Erinnern eine offizielle Gedenkstunde widmet und daß Deutschland nach der Entscheidung des Parlaments ein Holocaust-Mahnmal baut. Zumindest, wenn es auf Kosten der Erhaltung von authentischen Orten des Geschehens gehen soll. Sie hielten es für wichtiger, bestehende Gedenkstätten zu erhalten, Zeitzeugengespräche zu fördern und alle Opfer zu entschädigen, solange dies noch möglich ist. Aber es gab auch Stimmen für das Holocaust-Mahnmal: "Das zeigt doch, daß wir Verantwortung übernehmen", meint Nicky Schorten. Und sowenig es den ausländischen Gästen einfällt, ihre deutschen Altersgenossen für die Untaten ihrer Vorväter an den Pranger zu stellen, sowenig kommen die anwesenden deutschen Jugendlichen auf die Idee, sie hätten mit dem Geschehen von vor 50 Jahren nichts mehr zu tun.
So bestätigten die Teilnehmer der Jugendbegegnung, auch wenn es ihnen nicht immer bewußt ist, was Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in der Gedenkstunde des Parlaments als "Übernahme der politischen Haftung" zur Aufgabe heutiger Generationen erklärt hat. "Es gilt, den jungen Menschen historisches Wissen und emotionale Betroffenheit so zu vermitteln, daß sie eine Beziehung zur Gegenwart ermöglichen", erklärte Thierse.
Deshalb steht für die versammelten Jugendlichen ebenso fest wie für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages: Ein Schlußstrich, versichern alle, "kommt nicht in Frage".