Buchtips von Bernward Baule
Rückkehr zur politischen Mitte?
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Heiner Geißler: Zeit, das Visier zu
öffnen, Köln 1998,
Kiepenheuer & Witsch, 39,80 DM
Auf Tuchfühlung mit den Bundeskanzlern
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In unserem aufgeklärten 2o. Jahrhundert wissen wir, daß sich Politik auf Institutionen, Strukturen und Prozesse bezieht. Doch wie sehr sie zugleich in der politischen Willensbildung und Gestaltung abhängig ist von den großen Persönlichkeiten, daß wird an dem Buch von Kempski, dem Altmeister der politischen Reportage, deutlich. Darin schildert er auf spannende und farbige Weise die Begegnungen mit den sieben Bundeskanzlern der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl für ihn Bundeskanzler zu sein "der schrecklichste Beruf" ist, hat er doch alle begleitet, sei es auf Reisen, im Wahlkampf, auf Konferenzen, im Interview. Aus diesen Begegnungen, aus den präzisen Beobachtungen aus der Nähe wie der Distanz, gewinnt Kempski eine fast intime politische Kenntnis der handelnden Personen. Dabei kommen die politischen Weichenstellungen in den verschiedenen Phasen der Bundesrepublik – von der Westbindung bis zur deutschen Einheit – ebenso zur Sprache wie die zeitgeschichtlichen Ereignisse und politischen Kontroversen. Jedoch ist Kempskis Buch keine Darstellung der Bundesrepublik von ihren Anfängen bis zu Gegenwart, es ist vielmehr ein Geschichtsbuch der besonderen Art. Denn die bundesdeutsche Geschichte wird lebendig durch die Personen an ihrer Spitze: ihre Art der Wahrnehmung der Problemlagen, ihren Umgang mit Menschen, ihrer Denk und Lebensweise, ihren Rivalitäten und persönlichen Zuneigungen, ihren Höhen und Tiefen, Siegen und Niederlagen im Kampf um die politische Macht, ihren Zweifeln und Festigkeiten in der politischen Willenskraft angesichts der Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Es sind einfühlsahme, detailgetreue Nahaufnahmen, die sich zu differenzierten, in manchen Aspekten auch einseitigen Porträts der Bundeskanzler, aber auch ihrer jeweiligen Gegenspieler und Herausforderer um die Kanzlerschaft auf eindrucksvolle Art verdichten. Zugleich wird deutlich, wie sehr sich im Lauf der Zeit das Beziehungsgeflecht zwischen den Politikern und Journalisten, der Politik und den Medien zu einer inzwischen fast symbiotischen Form entwickelt hat. Daß Politiker auch Menschen sind, ist eine immer wieder strapazierte Binsenweisheit. Doch was personale Begegnungen in der Politik bedeuten und wie sehr es dabei auch "menschelt", zeigen die vielen Anekdoten, die Kempski in seinem Buch versammelt. Diese Art journalistischer Schilderung dessen, wie es in der Politik (auch) zugeht, eröffnet für viele vielleicht besser als manches Lehrbuch den Zugang zum Politischen. Eine baldige Taschenbuchausgabe würde die Verbreitung – gerade auch bei der jüngeren Generation – sicher fördern.
Hans Ulrich Kempski: Um die Macht.
Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern
1949 bis 1999, Berlin 1999
Alexander Fest Verlag, 48,– DM