Im "Blickpunkt Bundestag"
äußern sich Mitglieder und Experten der Gemeinsamen
Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat über die
Arbeit der Verfassungskommission.
Rupert Scholz (CDU/CSU)
Vorsitzender der Gemeinsamen Verfassungskommission
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Die Erfolge der Verfassungskommission liegen vor allem in der
Erfüllung des Staatszieles Umweltschutz (Art. 20a GG), in den
Ergänzungen des Gleichheitssatzes (Gleichberechtigung der
Geschlechter und Behinderter), im Bereich des Föderalismus
(Stärkung der Länder im Bereich der
Gesetzgebungskompetenzen): Das gleiche gilt für die
Erarbeitung des neuen Art. 23 GG ("Artikel der Europäischen
Einheit"). Kein Konsens konnte vor allem bei der Frage weiterer
Staatsziele (Recht auf Arbeit etc.) sowie bei der Frage der
Einführung plebiszitärer Verfahren erzielt werden. Nach
m. A. ist hier zu Recht die zurückhaltende Position des GG in
seiner bisherigen Fassung bewahrt worden. Die Reformnotwendigkeiten
im Bereich der Finanzverfassung sowie m.E. auch im Bereich der
Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern haben sich
seinerzeit als leider noch nicht hinlänglich aufgearbeitet und
geklärt erwiesen, um bereits grundlegende Verfassungsreformen
vorbereiten zu können. Dies bleibt der weiteren Entwicklung
vorbehalten.
HansJochen Vogel
(SPD)
Als Erfolg bewerte ich v. a. die Einführung des
Europaartikels und die neuen Regelungen zum Umweltschutz, zur
Frauenförderung und gegen die Diskriminierung von Behinderten.
Als positiv betrachte ich es zudem, daß ungeachtet aller
Divergenzen bei der Einschätzung des konkreten Reformbedarfs
der Grundkonsens über die wesentlichen Elemente und Prinzipien
des Grundgesetzes bestätigt worden ist. So über die
Organisation und die Befugnisse der Verfassungsorgane, über
das Rechts und Sozialstaatsprinzip und das Demokratie
und Bundesstaatsprinzip sowie über das System der
Grundrechte.
Aber all das ändert nichts daran, daß eine große
Chance ungenutzt blieb – die Chance nämlich, die
Einigung der Deutschen auch im Bewußtsein zu verankern und das
Zueinanderfinden in der neuen Bundesrepublik durch die gemeinsame
Arbeit an der Erneuerung des Grundgesetzes zu fördern.
Wolfgang Ullmann
(Bündnis 90/Die Grünen)
Die gemeinsame Kommission war besonders erfolgreich bei der
Bekräftigung und Verstärkung des Föderalismus. Die
Mitwirkung der Länder und der Länderparlamente bei der
Übertragung von Souveränitätsrechten auf die
Europäische Union wurde ebenso geregelt wie eine Erweiterung
der Länderkompetenzen in der konkurrierenden Gesetzgebung.
Ebenso gab es eine Einigung über das Staatsziel Umweltschutz
sowie über die Präzisierung der Gleichstellung der Frau
und – erst nachträglich – der Behinderten. Alle
anderen Initiativen für Grundrechte, Parlamentsreform und mehr
Bürger und Bürgerinnenbeteiligung scheiterten.
Torsten Wolfgramm
(F.D.P.)
Gefördert hat die Gemeinsame Verfassungskommission die
Entwicklung des Grundgesetzes insbesondere auf wichtigen Gebieten
wie der europäischen Integration, der Verteilung der
Gesetzgebungs und Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und
Ländern, der Stärkung der Gleichberechtigung und der
Einführung des Staatszieles Umweltschutz. Keine Einigung
erzielte die Gemeinsame Verfassungskommission hingegen bei der
Einführung plebiszitärer, über die
Länderneugliederung hinausreichender Elemente auf Bundesebene,
im Bereich der Finanzverfassung und der sozialen Grundrechte, beim
staatlichen Minderheitenschutz sowie beim Selbstbefassungsrecht des
Bundestages. Des weiteren wurde auch bei der Festlegung der
Diäten der Bundestagsmitglieder durch eine unabhängige
Kommission, im Bereich der Rechtsstellung von Fraktionen und
Opposition sowie in der Frage eines Einsatzes der Bundeswehr "out
of area" kein Konsens erzielt.
UweJens Heuer
(PDS)
Positiv seien genannt die Forderung nach tatsächlicher
(nicht nur rechtlicher) Durchsetzung der Gleichberechtigung sowie
der endlich geregelte Umweltschutz. Die einfache (nicht
hinreichende) Mehrheit erhielt die Einführung der
Volksgesetzgebung sowie sozialer Staatsziele (Wohnung,
Arbeitsplätze). Beunruhigend ist, daß, während
damals die Gegner solcher Änderungen sich darauf beriefen,
daß das Grundgesetz nicht änderungsbedürftig sei und
sich rundweg bewährt habe, seit 1993 wichtige Grundsätze
wie das Asylrecht (Art. 16), das Rückwirkungsverbot (Art.
103), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) und soeben das
Verbot des Angriffkrieges (Art. 27) durch den Gesetzgeber bzw. das
Bundesverfassungsgericht ausgehöhlt oder verletzt worden
sind.