Abschied und Neubeginn
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Kanzlerwechsel bedeuten in Deutschland immer auch eine Epochenzäsur. Scheint dem nicht die "Normalität" des Wechsels von Kohl zu Schröder zu widersprechen, trotz der größten Wählerwanderung seit 1949? Werner Weidenfeld meint nein. Er sieht einen Zeitenwechsel, der sich weniger an der Oberfläche, sondern mehr in den Tiefendimensionen von Politik und Gesellschaft vollzieht. Denn nun tritt die Generation von Politikern ab, die ihre geistige Orientierung in den Nachkriegs und Aufbaujahren erhalten hatte. Die Wiedervereinigung, der Bau eines gemeinsamen Europa, die Freundschaft zu den USA, die Verankerung in der westlichen Wertegemeinschaft waren für sie unmittelbar einleuchtend. Doch alte Einsichten und Erfahrungshorizonte verlieren ihre Prägekraft. Die Demokratie muß die Begründungsaufgabe neu schultern. Aktueller Reformdruck, die neue Qualität der EU, technologische Revolutionen und die Globalisierung erfordern moderne Lösungen. Integration, Führung, Leitbilder, geistige Orientierung, Kompetenzen, Beteiligung, Transparenz der Verfahren das sind die Koordinaten künftiger politischer Gestaltung. Das lange Ende der Nachkriegszeit bedeutet nicht das Verschwinden der Politik. Vielmehr liegt es an der neuen Generation von Politikern/innen, der Erosion alter Selbstverständlichkeiten mit neuen Antworten auf die Problemlagen Demokratiebegründung, Konfliktregelung, Güterverteilung zu begegnen. Wird sie diese Herausforderung offensiv annehmen?
Werner Weidenfeld, Zeitenwechsel. Von Kohl zu Schröder. Die Lage.Stuttgart 1999, Deutsche VerlagsAnstalt, DM 29,80