DAS PARLAMENT UND DIE MEDIEN –
Anatomie eines schwierigen Verhältnisses
VON ERNSTDIETER LUEG
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Immer wenn das grün leuchtende "F" im alten Plenarsaal des Deutschen Bundestages eingeschaltet wurde, ging ein disziplinierender Ruck (Nicht der und nicht inhaltsgleich mit dem von Roman Herzog!) durch die Reihen und Bänke aller Fraktionen. Das Fernsehen, das hoch geschätzte und zugleich verachtete MillionenMedium, war auf Sendung gegangen – die Kameramänner auf ihren angestammten Plätzen, am Regiepult (ganz hinten und natürlich verdeckt im Saal) der Mann mit der PlenarsaalChoreografie.
Würde er, der Regisseur, wieder leere Bänke zeigen oder den gähnenden Fraktionsvorsitzenden? Was von der zunächst munter dahinplätschernden Debatte würden wohl ARD und ZDF senden, abends in ihren Nachrichtensendungen, in "Tagesschau" oder "heute"? Oder war das Ganze ein Feldversuch, dessen Erträge im Archiv verschwinden würden?
Der Deutsche Bundestag und das Fernsehen, das Parlament und die Medien – auch eine Leidensgeschichte für beide Seiten, für Partner mit absolut gegensätzlichen Wünschen und Interessen. Die schöne, interessante, spannende, ergiebige Welt des Bundestages – das waren stets die über alle Wahlperioden hinweg mobilisierten Erwartungen der meisten Abgeordneten und vor allem des parlamentarischen Managements. Die vermeintlich intakte parlamentarische Welt hätte die Medien doch eigentlich aus ihrer langweiligen oder teilweise sogar bissigen NachrichtenerstattungsRoutine herausreißen müssen!
Völlig anders die Denkart aller Medien, ihre operativen Muster: Den Glanz, den er möchte und auch braucht – den muss der Deutsche Bundestag schon selbst produzieren! Dabei fiel das Urteil über die Attraktivität eines BundestagsAngebotes zwischen Medien und Parlamentariern meistens ganz unterschiedlich aus.
Das Fernsehen, die Medien allgemein können sich nicht auf eine dramaturgisch konzipierte Tagesordnung verlassen, die ihnen mit schöner Regelmäßigkeit einen Debatten"Hit" beschert. Es gibt eben keine ParlamentsRegie, die einen regelmäßigen, faszinierenden "TheaterPlan" des Deutschen Bundestages möglich machen würde, selbst wenn die Gestalter der Tagesordnungen im Parlament fest daran glauben. Die Medien – Fernsehen, Radio und Presse – nehmen es den Abgeordneten einfach nicht ab.
Es ist wahr: Gelegentlich bietet das Parlament seine Themen als eine Art Warenhauskatalog an, eine unübersehbare Folge von ganz unterschiedlichen Inhalten, hineingepresst in eine Sitzungswoche. Gegen Ende eines Parlamentsjahres, kurz vor der Sommerpause, kann dann die zusammengedrängte Themenreihe geradezu in einen grotesken Themenendspurt ausarten. Wer verrät endlich einmal das Geheimnis der Arbeitsökonomie des Deutschen Bundestages? Oder gibt es keine? Warum werden nicht vier oder fünf Sitzungswochen mehr angesetzt? Jährlich, natürlich! Dann, und nur dann, ließe sich vielleicht ein anderer, ein übersichtlicherer und an den parlamentarischen Höhepunkten orientierter InhaltsFahrplan aufstellen.
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Im Bonner Plenarsaal wurden die Bundestagssitzungen von 1994 an bis zum Umzug des Bundestages nach Berlin von insgesamt sieben Kameras live übertragen. In Berlin soll der Vollbetrieb bis zum Jahr 2001 aufgenommen werden. |
Nach wie vor sichert ausschließlich das Thema – das wirklich herausragende Thema – die Attraktivität einer Parlamentsdebatte, das Interesse des Publikums, und zwar dann auch auf breiter Front. Übrigens: Was die Abgeordneten ungeheuer spannend finden sollten, das muss nicht den Nerv der Bürger treffen, sie zum Zuschauen (via Fernsehen), zum Hören (via Radio) oder zum Lesen (via Presse) anlocken. Die wirklich wichtigen, das Publikum unmittelbar angehenden, konfliktreichen, auch polarisierenden Sitzungen im Deutschen Bundestag hat das Fernsehen in der Regel immer live übertragen und in angemessenem Umfang auch die abendlichen Zusammenfassungen in den Nachrichten – dokumentierend, analysierend und kommentierend. Eine der dramatischsten Sitzungen im Deutschen Bundestag, das konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt im April 1972, erreichte vormittags, während der Arbeitszeit von Millionen von Menschen, eine Einschaltquote von über 50 Prozent. Das war eine Rekordmarke, eine Fernsehsensation, die im Vormittagsprogramm bis jetzt nicht überboten wurde.
Bei parlamentarischen Selbstläufern wie diesen haben natürlich auch die professionellen Beobachter von Presse und Radio, ähnlich wie das Fernsehen, ziemlich aufgerüstet: mit Features, mit Personenbeschreibungen (Motto: Der Mann, die Frau des Tages im Parlament), mit Meinungsbeiträgen, mit einer DebattenChronik, mit Analyse und Kommentar – ein kompletter journalistischer Service. Nachzulesen am nächsten Tag, was war, wie es war, was fehlte und was wirklich neu war – immerhin ein Vergnügen, das die Abgeordneten mit dem geneigten Publikum und natürlich auch mit den Journalisten der elektronischen Zunft teilen.
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Fotografen auf der Presse-Tribüne im Berliner Reichstagsgebäude. |
In den 80er Jahren gab es dann einige honorige Altvordere im Parlament, die sich – neben den öffentlichrechtlichen oder privat organisierten Medien – viel von dem Versuch versprachen, Fernsehen in eigener Regie, also Selbstversorgung mit einem BundestagsTV, einzuführen. Der Versuch blieb in Gedankenspielen stecken – Gott sei Dank! Es sollte wohl ein schönes, journalistisch unverfälschtes Parlamentsfernsehen werden, zur großen Freude der Abgeordneten und der Bundestagsverwaltung aber auch zur Freude des Publikums, falls dieser Kanal überhaupt Kundschaft gehabt hätte? Schlimm wäre es geworden, wenn der Ältestenrat sich zur Programmkonferenz hätte mausern müssen und ein Programm hätte entwerfen müssen, das die Eitelkeiten des Bundestages mit den Regeln der professionellen TVBerichterstattung auf einen Nenner bringt – eine völlig unmögliche Unternehmung. Die unabhängige journalistische Begleitung der BundestagsÜbertragungen, die LiveKommentierung der Debatten – sie müssen bleiben. Sie sind eine unumgängliche ServiceLeistung für die Zuschauer und Zuhörer, und zwar völlig unabhängig vom Bundestagskalkül (Anm. d. Redaktion: Über das Parlamentsfernsehen wird auch in einer der nächsten Ausgaben des "Blickpunkt Bundestag" berichtet).
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Tatsache allerdings ist: die größere Faszination, die größere Wirkung auf Journalisten aller Medien geht jeweils von der Regierung aus, nicht von dem die Exekutive kontrollierenden Parlament. Das war immer so und ist den professionellen Beobachtern von Politik auch nicht auszutreiben! Die Regierung handelt und agiert, das Parlament reagiert, jedenfalls in den meisten Fällen. Nichts ist für Medien interessanter, als politische Themen, Entwicklungen und Entscheidungen zu personalisieren, an herausragenden Personen darzustellen und sie auch zu kritisieren. Eine Regierung ist, da sie ohnehin ganz vorn auf der Plattform agiert und ihre "Personalities", ihre Gesichter weithin und rundum in der Bundesrepublik bekannt sind, für eine personalisierende Berichterstattung hervorragend geeignet.
Der Deutsche Bundestag hat es da erheblich schwerer. Die personalisierte Beschreibung von Vorgängen, Konflikten und Beratungen beschränkt sich in vielen Fällen auf die "Häuptlinge" in den Fraktionen, auf das Spitzenmanagement des Parlaments. Mit weit über 600 Abgeordneten bei voller Besetzung im Plenarsaal fällt es den meisten von ihnen schwer, bei allem Respekt vor ihrer Kompetenz und ihrem Engagement, sich veröffentlicht einzubringen und zu behaupten.
Der Deutsche Bundestag im Reichstagsgebäude von Berlin – ein neuer Anfang kann gemacht werden, eine neue Chance bietet sich an. Würde das Parlament doch endlich die Berichterstattung über die bisher nichtöffentlichen Sitzungen der Ausschüsse freigeben, würden doch die Ausschüsse öffentlich tagen. Zu jeder Zeit kann der oder die AusschussVorsitzende im Einvernehmen mit den Mitgliedern die Türen wieder ganz fest schließen, nichtöffentlich und ohne Späher weiterarbeiten. In den Ausschüssen findet KärrnerArbeit statt. Dort werden die Gesetze durchleuchtet, die die Regierung eingebracht hat. Dort werden Texte umgepflügt, erweitert oder korrigiert. Dualität und Sachverstand kennzeichnen die intensiven, dabei hochinteressanten Debatten in den Ausschüssen. Die parlamentarische Werkstatt – ein attraktives Angebot für die Journalisten und damit auch für die breite Öffentlichkeit. Berlin könnte es möglich machen – ein Neubeginn zugunsten des Deutschen Bundestages. Die in der letzten Legislaturperiode bereits auf den Weg gebrachte Reform der parlamentarischen Arbeit sollte hier nachdrücklich vorangetrieben werden.
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Das Fernsehen des Deutschen Bundestages ist auf dem neuesten Stand der Technik. Mit der auch bei den Sendern üblichen MAZ-Technik werden die Aufzeichnungen im Regieraum bearbeitet. |