ÖFFENTLICHE ANHÖRUNG
Wirtschaft und DGB uneins über soziale Grundrechte in EU-Charta
(eu) Nach Ansicht der deutschen Wirtschaft sollten die klassischen wirtschaftlichen Grundrechte wie die Berufsfreiheit und der Schutz des Eigentums, nicht aber politische Ziele in Form von Grundrechten Eingang in eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union finden. Dies erklärten der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Deutsche Industrie- und Handelstag am 5. April in einer gemeinsamen Stellungnahme anlässlich einer öffentlichen Anhörung der EU-Ausschüsse des Bundestages und des Bundesrates.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund verdeutlichte demgegenüber, er setze sich mit Nachdruck dafür ein, dass vor allem soziale Grundrechte in der EU-Charta berücksichtigt werden. Als deren Kernbestand sollten deshalb das Recht auf Freizügigkeit, die Nichtdiskriminierung, die Gleichstellung von Mann und Frau, das Recht auf Koalitionsfreiheit (auch grenzüberschreitend), Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertretung sowie Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit garantiert werden.
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege begrüßt es, dass die geplante Charta soziale Grundrechte enthalten soll. Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft, der unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, das Diakonische Hilfswerk und das Deutsche Rote Kreuz angehören, muss jeder Mensch in der EU ein Recht auf gesellschaftliche Partizipation (Bürgerdialog) und auf Schutz vor Armut und Ausgrenzung (Grundsicherung) haben. Zu dieser Grundsicherung habe auch das Recht auf Inanspruchnahme sozialer Dienste zu zählen.
Recht auf Asyl garantieren
Das Forum Menschenrechte, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen wie etwa amnesty international, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Pro Aysl, sprach sich bei der Anhörung für ein grundrechtlich garantiertes Recht auf Asyl und eine Rechtsschutzgarantie im Rahmen der EU-Charta aus. Diese seien die beste Garantie dafür, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht werden. Der Text der Charta sollte zudem unbedingt einen expliziten Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention enthalten.
Das Kommissariat der deutschen Bischöfe und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland plädierten übereinstimmend dafür, der Grundrechte-Charta eine Präambel voranzustellen. Darin müsse nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes auch die Verantwortung vor Gott genannt werden. Zudem bedürfe es einer Formulierung, die jeder Person auch die Freiheit sichere, ihre Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat zu bekennen.
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Die Europaausschüsse von Bundestag und Bundesrat veranstalteten am 5. April im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses eine öffentliche Anhörung zur Charta der Grundrechte in der Europäischen Union. |
Die überwiegende Mehrheit von Sachverständigen sprach sich zudem dafür aus, eine Charta der Grundrechte der EU in die Europäischen Verträge aufzunehmen. Sollte der Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende des Jahres in Nizza als Alternative lediglich eine Art feierliche Erklärung verabschieden, wäre dies demgegenüber ein neuer Beweis der Entfremdung zwischen den Bürgern und ihren Regierungen in Europa, so Professor Ingolf Pernice, Verfassungsrechtler an der Humboldt-Universität Berlin. Die vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Jürgen Meyer (SPD), der auch Mitglied des Konvents zur Erarbeitung der Charta in Brüssel ist, formulierte Idee, in den EU-Mitgliedstaaten jeweils ein Referendum über die Grundrechtecharta abzuhalten, nahmen hingegen vor allem die Vertreter des Deutschen Anwaltvereins und des Richterbundes skeptisch auf. Sie begründeten dies mit dem Risiko des Scheiterns eines solchen Referendums bzw. einer zu geringen Beteiligung. Beides würde die Charta entwerten. Nahezu durchgehend befürworteten die Sachverständigen es hingegen, auch ein individuelles Klagerecht vorzusehen.
Nach Ansicht von Marc Fischbach, dem Vertreter des Europarates, sollte die Grundrechtecharta für den gesamten Tätigkeitsbereich der EU-Institutionen gelten. Er warnte gleichzeitig davor, durch eine Vielzahl paralleler Beschwerdemöglichkeiten in Europa den Bürger zu verunsichern. Angesichts der Tatsache, dass mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zwei Judikativen bestünden, regte Fischbach den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention an.