Der Buchtipp
Weltstadtwahn? Nein, danke!
Für Michael Sontheimer ist die Hauptstadtplanung von Berlin, lange überaus kontrovers diskutiert, eine Erfolgsgeschichte. Mit Blick auf den Reichstag, lange die wichtigste Baustelle der Nation, und die neuen bzw. rekonstruierten Ministerien gelangt er zu dem Schluss: "Die Staatsarchitektur ist der Konzernarchitektur überlegen." Die Demokratie als Bauherr ist eben doch nicht das Schlusslicht der Architektur-ästhetik, trotz der Schwierigkeit der Aufgabe, aus der zernarbten Stadtlandschaft in der Mitte Berlins wieder einen begehbaren Ort für Parlament und Bürger zu machen. Sontheimer erinnert plastisch an die Voraussetzungen – die Berlin-Debatte im Bundestag, die Planungen für die Gebäude, die Mentalitäten der Parlamentarier und Verwaltungsangehörigen.
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Er beschreibt die Geschichte und Geschichten des Umzugs, schildert Verzögerungen und Beschleunigungen, Pannen und Provisorien und schließlich die Ankunft und schnelle Eingewöhnung. Dabei lässt er Politiker, Architekten und andere Akteure zu Wort kommen und erzählt von Alt- und Neu-Berlinern. So gelingt ihm ein ebenso spannendes wie lebendiges Porträt der neuen Hauptstadt. Der Umzug in die Hauptstadt und die architektonische Neugestaltung wurde, wie sich zeigte, zu einer politischen, künstlerischen und intellektuellen Herausforderung. Ohne den Abschied von lang gehegter Selbstüberschätzung, symbolisiert im "Mythos der Weltstadt Berlin", ist sie, so Sontheimer, nicht zu bestehen.
Der Autor nähert sich seinem Thema über farbige Reportagen, die eine Serie von Momentaufnahmen darstellen in einem Prozess, dessen Ende noch länger auf sich warten lässt. Aber das ist auch ein Vorteil. Schließlich wusste schon Bertolt Brecht, Berlin sei deswegen anderen Städten vorzuziehen, "weil es sich ständig verändert". B.B.
Michael Sontheimer: "Berlin, Berlin. Der Umzug in die
Hauptstadt",
Hamburg 1999, Spiegel Verlag,
28,- DM
Neue Stützen des Parlamentarismus?
Bundespräsident Johannes Rau sagte, die Spendenaffäre der CDU bedeute keine Krise der Demokratie. Wohl aber gebe sie Anlass, über Aufgaben, Bedeutung und Arbeitsweise der Parteien und ihres Verhältnisses zu den Wählern, über Repräsentation und Teilhabe neu nachzudenken. Zentrale Frage ist: Wie kann man mehr Bürgerbeteiligung schaffen? Hermann K. Heußner und Otmar Jung haben zu diesem aktuellen Thema einen Sammelband herausgegeben, der empfiehlt, mehr direkte Demokratie zu wagen. Die Autoren sind Juristen, Politologen, Historiker und mehrheitlich der Stiftung "Mehr Demokratie" zugehörig. Sie fragen nach historischen Vorbildern, direktdemokratischen Verfahren in der Schweiz, Italien, USA und der EU und untersuchen Formen unmittelbarer Demokratie in den deutschen Ländern und Kommunen.
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Es zeigt sich nicht zuletzt an den vielen Praxisbeispielen, dass man inzwischen von einem Siegeszug direktdemokratischer Formen und Verfahren sprechen kann: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Deutschland engagieren und beteiligen sich in Bürgerinitiativen und ähnlichen Gruppen. Dabei erreicht die Themenpalette inzwischen eine beachtliche Bandbreite.
Ein Vorteil des Sammelbandes ist – über den Anstoß zur neuerlichen Diskussion hinaus – zweifellos der, dass "direkte Demokratie" nicht mehr entgegengesetzt zur parlamentarischen Demokratie verstanden wird, sondern als deren Ergänzung. Damit kommt man endlich aus den gedanklichen Sackgassen heraus, in die die Diskussion in Deutschland geraten war. Aber die Konzentration auf Volksbegehren und Volksentscheid ist zu einseitig. Wirkliche "direkte Demokratie" muss auch die Vielfalt anderer Initiativen von Bürgern einbeziehen, vor allem das Ehrenamt und das Freiwilligenengagement.
Eine "Bürgergesellschaft" als "Verantwortungsgemeinschaft", die das Fundament einer repräsentativen Demokratie bildet, kann darauf nicht verzichten. Bernward Baule
Hermann K. Heußner; Otmar Jung: "Mehr direkte Demokratie wagen. Volksbegehren und Volksentscheid: Geschichte-Praxis-Vorschläge", mit einem Vorwort von Hans-Jochen Vogel, München 1999, Olzog Verlag, 24,80 DM