hintergrund
Rhythmuswechsel
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Der Plenarsaal. |
Sommerpause und Debattentag. Nach der
sitzungsfreien Zeit und der arbeitsreichen Haushaltswoche stellt
Blickpunkt Bundestag die beiden so unterschiedlichen Zeiten im
Parlamentsleben vor.
Während der Sommerpause ist das
Reichstagsgebäude nicht leer – aber anders. In der
sitzungsfreien Zeit herrscht im Hohen Haus ein neuer Rhythmus, und
andere Menschen prägen das Bild auf den Gängen und in den
Räumen. Nur der Besucherandrang ist groß und stetig wie
eh und je.
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Ein Morgen in der Sommerpause. |
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Nach dem Sonnenaufgang erscheinen die
Handwerker. |
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Im Plenum wird eine Hebebühne
aufgebaut. |
Um sechs ist immer ein wenig zu früh am Morgen. Aber wer
rechtzeitig da ist, kann vielleicht einen Sonnenaufgang sehen. Vom
Reichstagsgebäude aus. Das ist fast so gut wie ein Hattrick
zum Auftakt der Bundesliga. Oder besser.
Ansonsten aber ist vieles anders an einem Bundestag-Tag in der
sitzungsfreien Zeit. Es riecht anders, schmeckt anders, klingt
anders. Das merkt man erst nach ein paar Stunden, aber dann ist es
auch ein kleiner Sinnestaumel, der mit der Feststellung beginnt,
dass man schlendert anstatt zu gehen, zu laufen, zu hasten. Man
schlendert durch das Gebäude, von einer Ebene zur anderen, und
hat – morgens um halb acht – doch wirklich
genügend Zeit und genügend Platz, sich die Bilder von
Polke anzuschauen.
Um die gleiche Zeit ist man ein paar Wochen später und zwei
Etagen höher, während des Haushaltsmarathons des
Bundestages, zum Beispiel schon beim Herrichten des Raumes für
den Ältestenrat. Gläser und Getränke werden
bereitgestellt. Unten auf der Parlamentsebene und vor dem
Plenarsaal kommen die Drucksachen auf die Tische. Die ersten
Kamerateams postieren sich vor den Osteingang. Beim
Sicherheitsdienst sind alle Aufgaben verteilt, im Restaurant alle
Tische gedeckt, im Fahrdienst alle fahrbereit. Die Tagesordnung
steht fest, im Parlamentssekretariat arbeitet man bereits an der
für den nächsten Tag. Die Putzkolonnen haben fast alle
Arbeit erledigt und verschwinden nach und nach aus den
Blickfeldern. Es riecht sauber und an manchen Ecken ein bisschen
nach Kaffee und an anderen auch mal nach Trussardi oder Boss, wenn
ein Sicherheitsbeamter zielstrebig und schnellen Schrittes an einem
vorbeigeht. Es ist fast alles vorbereitet für den Arbeitstag
– sie brauchen nur noch zu kommen, die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier, dann wird das Haus anfangen, einen schnellen
Takt zu schlagen.
Ein leerer Plenarsaal an einem sitzungsfreien Tag ist eine
komische Angelegenheit. Selbst auf der Besuchertribüne spricht
man sofort leiser, als seien sie doch alle da, die sonst im Plenum
sitzen und beraten. Also man weiß ja, wo sie wirklich sind.
Nicht hier im Plenarsaal. Einige machen Urlaub, andere arbeiten in
ihren Wahlkreisen, manche sitzen in ihren Berliner Büros und
bereiten auf und vor. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Abgeordneten sind zufrieden. Sie brauchen diese Zeit, um die
angesammelten Papierstapel abzuarbeiten und alles für die bald
wieder beginnende Sitzungsperiode vorzubereiten. Jetzt aber kann
man die Gelegenheit nutzen und sich auf einen der grau bezogenen
Stühle auf der Besuchertribüne setzen und anschauen, wem
an diesen Tagen die Macht im Saal und überhaupt im Haus
gehört: den Handwerkern. Die in der roten Montur
überprüfen alle Automatiktüren. "Unglaublich viele
Türen", sagt einer. "Vielleicht ein paar zu viel." Alles, was
sich dreht und bewegt, zum Beispiel Türen und Scharniere,
verschleißt schnell. Da reicht so eine Sitzungspause gerade
aus für die notwendigen Reparaturen und die Wartung.
"Logisch", sagt ein Monteur, "in der Sitzungszeit geht es ja hier
wie in einem Kaufhaus zu." Dann gibt es die, die die Mikrofonanlage
im Plenarsaal überprüfen. Jedes einzelne Mikrofon wird an
diesem Tag getestet. Der das tut, hat einen angenehmen Bass und
irgendwann fängt man an, darauf zu warten, dass er wieder
sagt: "Eins, zwei, drei, vier – Test, Test, Test." Es klingt,
als begänne gleich ein Konzert – Don Byron spielt Mickey
Katz, das könnte ein ziemlicher Renner sein bei dieser
Akustik. Ein großer Blonder mit leuchtend gelbem Pullover,
allerdings ohne schwarze Schuhe, kontrolliert Alarmanlagen. Mit
großer Gelassenheit arbeitet er sich vorwärts. Wenn es
hier wieder losgeht im September, kann nichts mehr schiefgehen. So
sieht's aus. Aber den Vogel schießen an diesem Tag die ab, die
um acht Uhr beginnen, eine Hebebühne im Saal aufzubauen. Die
Glaskuppel, die den Raum überdacht, muss von innen geputzt
werden. Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Diese
Hebebühne muss ja irgendwie nach oben kommen. Also bereitet
sich einer der tollkühnen Männer darauf vor, in das
Innere des in der Mitte der Überdachung hängenden Kegels
zu steigen, um von dort die Seile nach oben zu ziehen, die diese
"fliegende Kiste" später halten werden. Die Leute im Saal
nennen den Kegel respektlos "Möhre". Aber das trifft es auch
ein wenig.
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Die Kameras sind abgedeckt. |
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Die Cafeteria ist am Morgen noch leer, doch später
kommen die Gäste. |
Auch an Sitzungstagen ist der Saal um acht Uhr morgens noch
leer. Aber schon eine halbe Stunde später kommen die ersten
Parlamentarier, um ein paar Sachen auf ihren Tischen abzulegen. Sie
betreten das Haus durch den Eingang Ost, manche haben da schon ihr
erstes kurzes Interview hinter sich. Sie haben am Tag zuvor lange
gearbeitet und die Tagesordnung verspricht, dass es auch an diesem
Tag so sein würde. Sie telefonieren noch schnell, lesen noch
schnell, gehen noch schnell ihre Rede durch, schauen, ob neue
Drucksachen auf den Tischen gelandet sind, führen auf den
Gängen oder in der Lobby kurze Gespräche mit anderen,
rufen in ihren Büros an, ob alles läuft, wie es laufen
soll, überfliegen die wichtigsten Themen in der Tagespresse.
An solchen Tagen hört sich das Haus ganz anders an als in
jenen Stunden, da fast alle Geräusche von Handwerkern kommen.
Alle aber denn doch nicht, denn oben auf der Besuchertribüne
wird viel geredet. Oben auf der Besuchertribüne ist es immer
gleich voll – egal ob Sommerpause oder Sitzungszeit. Seit
acht Uhr ist der Eingang West geöffnet für die
Schaulustigen und Wissensdurstigen. Aber schon vorher hatte sich
eine Schlange gebildet. Besuchstag ist immer im Hohen Haus. Und
wenn die Volksvertreter außer Haus sind, kommen trotzdem nicht
weniger. Die Attraktion ist der Vortrag oben im Plenarsaal. Im
Angesicht der abgedeckten großen Kameras des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens und des Bundestages sitzen
die Besuchergruppen und hören zu, wie ihnen Geschichte
erzählt wird. Zum Beispiel die Geschichte von der in diesen
Sommertagen in einem der Innenhöfe installierten Inschrift
"DER BEVÖLKERUNG". "Einen Kontrapunkt zur Inschrift ,DEM
DEUTSCHEN VOLKE' im Architrav über dem Westeingang soll sie
setzen", sagt die Geschichtenerzählerin und wirft schwungvoll
ihren langen Seidenschal über die Schulter. Es gibt eine Menge
Fragen – zum Beispiel die, ob es stimme, dass die bayerischen
Abgeordneten nicht, wie gewünscht, etwas bayerische Erde
für den Platz um die Inschrift herum beisteuern wollen. "Ist
denn jemand aus Bayern unter Ihnen", fragt die Frau mit dem
Seidenschal und erntet fröhliches Gelächter.
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Blick in den noch leeren Plenarsaal. |
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Später beginnt ein Techniker den Aufstieg in den
Entlüftungskegel. |
Als das Parlament im 1200 Quadratmeter großen Plenarsaal
berät, sitzen die Besuchergruppen still oben auf der
Tribüne. Sie hören zu, und manchmal zeigt einer seinem
Nachbarn, wen er gerade unten entdeckt hat. Lauter
Berühmtheiten. Sie staunen, wie hoch es da hin und wieder
hergeht, wenn die Themen umstritten sind, geben ab und zu stille
Beifallsbekundungen, wenn ihnen eine Redepassage besonders gut
gefällt. Sie gehen leise auf der einen Seite hinein und nach
einiger Zeit auf der anderen wieder heraus, um weiterzuwandern im
Haus und später vielleicht mit ihrem Abgeordneten zu reden.
Sie schalten vor dem Betreten der Besuchertribüne ihre Handys
aus und danach manchmal wieder an, wenn sie es nicht vergessen. Sie
wirken aufgeregter, kann es doch immer sein, dass einem jemand
über den Weg läuft, den man sonst nur im Fernsehen sieht.
Fischer oder Trittin vielleicht. "Mensch, guck mal", sagt in einem
solchen historischen Moment eine Frau zu ihrem Ehemann, "der
Fischer hat das doch auch geschafft mit dem Abnehmen."
Jetzt im fast leeren Plenarsaal sehen die Besucher oben auf der
Tribüne, wie unten die Hebebühne langsam auf Schienen in
die Mitte des Raumes gleitet. Trommeln mit Drahtseilen werden
rangeschafft, und der tollkühne Mann beginnt seinen Aufstieg
in den Kegel. Die anderen legen vor dem Tisch des Präsidiums
einen großen bunten Teppich aus. "Ein fliegender Teppich",
sagt oben jemand. "Wat woll'n se denn damit?" "Damit wir die
Auslegware nicht schmutzig machen mit den Seilen", flüstert
ein Monteur. Der Teppich sieht aus wie eine Installation. Man
könnte "DEM PARLAMENT" in großen Lettern draufschreiben
und ihn da liegen lassen. Dann hätte das Feuilleton ein
Sommerthema. Die Seile werden hochgezogen und befestigt. Irgendwann
ist erst einmal Mittagspause und man stellt fest, dass im Hause
doch einige unterwegs sind. Die Cafeteria ist gut gefüllt und
sieht nicht mehr, wie noch am frühen Morgen, aus wie Daniels
Bar vor den Dreharbeiten für "Gute Zeiten Schlechte Zeiten".
Drei Mittagsgerichte werden angeboten, eins davon kombiniert mutig
Hackbraten mit Kapern und Wirsingkohl. An den Tischen wird viel
geredet. Ein Thema ist der Vogel, der am frühen Morgen in der
Kuppel gefunden wurde. Hatte sich verflogen, das Tier, und kannte
den Ausgang nicht. "Wenn es ihm gut geht", sagt jemand an einem
Vierertisch, "braucht man nichts zu unternehmen."
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Am Stand in der Kuppel ist Betrieb. |
Ein paar Herren vom Plenarassistenzdienst sind auch zu Tisch. Sie
tragen keine Dienstkleidung – ein ungewohntes Bild, aber
für ihre Aufräumarbeiten im Sommer brauchen sie den Frack
nicht. Währenddessen und solange das Tageslicht genügt
ist es oben in der Kuppel voll wie eh und je. An diesem Tag sind
die Fahnen auf Halbmast gesetzt und viele fragen, was dies zu
bedeuten habe. Manche wissen dann bereits zu sagen, dass ein
Abgeordneter des Deutschen Bundestages gestorben sei. Das
lässt die Leute für Momente schweigen. Unter der Kuppel
arbeitet man auf allen Etagen zielstrebig und nach Plan. Man wartet
die Anlagen, sortiert die Stimmkarten nach Farbe, repariert
Geräte, kontrolliert technische Systeme, putzt Räume,
Gänge, Teppichböden und Geländer,
überprüft die Möbel auf Schäden, checkt die
Computer, ordnet Akten und Papier, denkt nach, schreibt auf, plant,
nutzt die Zeit. All denen, die dies tun, gehört in diesen
Tagen das Haus. Und den Besuchern, die sich umschauen und alle
irgendwann hoch aufs Dach steigen in die Kuppel, um die Stadt zu
sehen und sich zu erzählen, wo sie schon überall waren.
Eis geht gut in der Kuppel, der "Käfer"-Stand, an dem man dies
und jenes kaufen kann, wird stark frequentiert. Vom Vogel ist weit
und breit nichts zu sehen. Hat wohl doch den Weg nach draußen
gefunden.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: Angelika und Bernd Kohlmeier