Cullens Reichstag
Der amerikanische Historiker Michael S. Cullen, einer der besten Kenner der Geschichte des Reichstagsgebäudes, schreibt uns zu unserem letzten Suchbild:
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An der Stirnwand des alten Bonner Plenarsaals hing seit 1953 als Hoheitssymbol ein aus Gips geformter Bundesadler, der als "fette Henne" populär wurde. Er war von dem Bildhauer Ludwig Gies geschaffen worden, einem in den dreißiger Jahren von den Nationalsozialisten als "entartet" verfolgten Künstler. Die Erben des Bildhauers achteten darauf, dass auch die Gestaltung des Adlers für den neuen Plenarsaal von Günter Behnisch in Bonn weiterhin dem Entwurf von Ludwig Gies entsprach.
Der Architekt für den Umbau des Reichstagsgebäudes in Berlin, Norman Foster, legte für den Adler an der Stirnwand des Plenarsaals einen eigenen Entwurf vor. Ihm schwebte ein aggressiver, sportlicher, schlanker, schnittiger Vogel vor – zahlreich sind seine Entwürfe. Die Abgeordneten in der Baukommission beschlossen jedoch nach langer Diskussion und nachdem Foster eine Vielzahl von Entwürfen angefertigt hatte, doch die "fette Henne" von Ludwig Gies beizubehalten. Wiederum in Abstimmung mit den Erben von Ludwig Gies wurde daher schließlich von Foster ein Adler gestaltet, der zum Plenarsaal hin dem Entwurf von Ludwig Gies entspricht.
Da aber die Stirnwand des Plenarsaales aus Glas besteht, ist auch die Rückseite des Adlers zu sehen. Foster gestaltete daher die Rückseite des Adlers, der in seiner Gesamtkontur und in seiner grundsätzlichen Gestaltung dem ursprünglichen Bild des Adlers von Ludwig Gies entspricht. Als der doppelte Plenarsaal-Adler endlich fertig gestellt war, signierte Foster "seinen" Adler auf dessen rechten Flügel.
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Das Foto auf Seite 95 der Ausgabe 2/2002 zeigt ein Detail der Rückseite des Bundestagsadlers. Eine Reise nach Berlin hat Herr Günter Gaupp aus München gewonnen.