ANHÖRUNG IM INNENAUSSCHUSS
Experten uneins über Entwurf zur Einführung von Volksinitiativen
(in) Plebiszitäre Verfahren schaffen die zunehmende Politikverdrossenheit nicht aus der Welt, im Gegenteil: Sie schwächen die parlamentarische Demokratie. Das sagte Professor Peter Badura am 19. April anlässlich einer Anhörung des Innenausschusses zu einem Gesetzentwurf der Koalitionsparteien ( 14/8503). Dem Entwurf zufolge sollen Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz eingeführt werden.
Badura betonte, plebiszitäre Abstimmungen seien weniger leistungsfähig. Komplexe Fragen wie die friedliche Nutzung von Atomenergie müssten hochgradig vereinfacht werden, um für eine Ja/Nein-Entscheidung geeignet zu sein. Die Folge: Populäre Einzelfragen würden aus dem für eine sachgerechte und planvolle Politik notwendigen Kontext herausgelöst. Auch kritisierte Badura, dass das "Volk" in Wahrheit aus politischen Parteien und Gruppen bestehe, denen die Klinke zur Volksgesetzgebung in die Hand gegeben würde.
Verstoß gegen Grundgesetz
Professor Christoph Degenhart von der Universität Leipzig wies darauf hin, dass Quoren die direktdemokratische Legitimation einer plebiszitären Gesetzgebung sicherten. Professor Peter Huber von der Universität Bayreuth kritisierte, dass der Entwurf gegen die Bundesratsklausel (Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes) verstoße. Dem Entwurf zufolge soll bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe einer Bundesratsstimme gelten. Das Grundgesetz dagegen schreibt in Artikel 79 Absatz 3 die Mitwirkung der Länder als Gebietskörperschaften vor, die durch ihre verfassungsmäßigen Organe handeln und von dieser Aufgabe nicht durch Regelungen des Bundes befreit werden können.
Professor Bernhard Kempen von der Universität Köln gab zu bedenken, dass finanzstarke gesellschaftliche Kräfte wie Gewerkschaften oder Medienkonzerne durch groß angelegte Kampagnen die politische Willensbildung der Gesellschaft manipulieren könnten. Populismus an Stelle von Rationalität könnte das Leitmotiv der Volksgesetzgebung werden, warnte Kempen.
Das sah der frühere Bundesjustizminister und SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel anders. Übermäßiger Einfluss der Medien könnte durch Unterrichtungspflichten sowie durch die Erstattung von Kosten für die Öffentlichkeitsarbeit der Bürgerinitiativen reguliert werden. Weiter legte Vogel dar, dass inzwischen alle 16 Bundesländer ihren Bürgerinnen und Bürgern unmittelbare Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt und durchweg positive Erfahrungen gemacht hätten.
Anzeichen einer Schwächung der repräsentativen Demokratie konnte Vogel nicht erkennen. Im Gegenteil: Die Beteiligung der Wählerschaft während der laufenden Legislaturperiode habe die Politik belebt, sagte Vogel und führte als Beispiel Bayern an, wo seit 1964 das Volksbegehren und der Volksentscheid praktiziert werden. Vogel sagte, es sei nicht angebracht, der demokratischen Grundgesinnung des Volks zu misstrauen.
Gegen Politikverdrossenheit
Nach einem halben Jahrhundert demokratischer Bewährung und nach der friedlichen Revolution des Jahres 1989 sei es nun an der Zeit, mit dem Kerngedanken des Grundgesetzes, nach dem alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, Ernst zu machen. Darin waren sich Vogel und Lore Maria Peschel-Gutzeit, frühere Senatorin in Hamburg, einig. Auch sie begrüßte den Gesetzentwurf, der ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit sei.