Streitgespräch
Streitgespräch über die Wehrpflicht
Ist die Zeit reif für Berufssoldaten?
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Andrea Nahles
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Paul Breuer
Zwei Mal hat in den letzten Wochen das Bundesverfassungsgericht entschieden: Die Wehrpflicht ist rechtens. Doch die politische Debatte über das Für und Wider einer Wehrpflicht-Armee hält an. FDP, Grüne und PDS plädieren für eine Berufsarmee, auch in der SPD gewinnen die Gegner dieses Konzepts an Boden. Brauchen wir die Wehrpflicht noch? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Verteidigung der Unionsfraktion, Paul Breuer, und der SPD-Bundestagsabgeordneten und Sprecherin der Parteilinken, Andrea Nahles.
Blickpunkt Bundestag: Wie lange hält noch die Verteidigungsfront der Wehrpflichtbefürworter?
Paul Breuer: Ich bin davon überzeugt, dass in der Welt, in der wir leben und die in vielen Bereichen aus den Fugen gerät, alle Instrumente, die dazu geeignet sind, Ordnung und Sicherheit zu schaffen, einen besonderen Wert haben. Das gilt auch für die Wehrpflicht in Deutschland. Und deshalb denke ich, dass die Vernunft obsiegen und die Wehrpflicht halten wird.
Blickpunkt: Sehen Sie das auch so, Frau Nahles? Oder ist die Zeit reif für eine Umkehr?
Andrea Nahles: Ja. Wir haben durch das Ende des Kalten Krieges erhebliche Bedrohungspotenziale abbauen können. Sicher sind durch regionale Krisen und Terroranschläge neue Gefährdungen hinzugekommen. Aber darauf muss man anders reagieren, als wir es bisher gemacht haben. Wir müssen unsere Armee weiter verkleinern, internationalisieren und professionalisieren. Deshalb glaube ich, dass die Wehrpflicht in den nächsten Jahren nicht mehr haltbar ist.
Blickpunkt: Welches sind für Sie, Herr Breuer, die wichtigsten Gründe für die Beibehaltung der Wehrpflichtarmee?
Breuer: Wehrpflicht ist ein Instrument, mit dem man sich sehr flexibel auf sich ändernde sicherheitspolitische Umstände einstellen kann, weil sie in der Ausgestaltung, Zeitdauer und Organisation gut weiter zu entwickeln ist. Das ist der große Wert der Wehrpflicht. Außerdem hält sie den Verteidigungsgedanken in der Gesellschaft wach. Deshalb ist ja auch mit etwa 70 Prozent die Zustimmung in der Öffentlichkeit zur Wehrpflicht so groß. Sogar bei den jungen Leuten, die selbst von ihr betroffen sind, liegt der Anteil etwa bei der Hälfte. Dieses Potenzial muss man nutzen in einer Zeit, in der wir merken, dass Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist.
Blickpunkt: Die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft, ist das für Sie auch ein tragendes Argument, Frau Nahles?
Nahles: Natürlich wollen auch wir, dass die Bundeswehr Teil der Gesellschaft bleibt. Aber wir können uns doch nicht dem entscheidenden Wandel verschließen. So habe ich große Zweifel, inwieweit die Landesverteidigung noch als Begründung zur Wehrpflicht herhalten kann. Und wir müssen sehen, dass die stetige Verkleinerung der Bundeswehr - und die wird und muss weitergehen - die Wehrgerechtigkeit entscheidend aushöhlt. Das ist und bleibt ein erheblicher Eingriff in das Leben junger Männer.
Breuer: Ich sehe nicht, dass wir die Bundeswehr weiter verkleinern können. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne einsatzfähige Streitkräfte, die ja zunehmend in allen Regionen der Welt eingesetzt werden, mit einer weiteren Verkleinerung durchhaltefähig machen. Wir haben heute schon große Engpässe ...
Nahles: ... das liegt doch an der unzeitgemäßen Struktur!
Breuer: ... und wir haben neue Risiken. Der Anschlag in Djerba zeigt es. Die asymmetrische Kriegsführung zwingt uns zu mehr Vorsorge auch im eigenen Land mit spezifischen Fähigkeiten der Bundeswehr. Das kann man nur mit Wehrpflichtigen und Reservisten machen. Ich bin auch davon überzeugt, dass man Wehrpflichtige, wenn sie es freiwillig wollen, nach sechs Monaten als Sicherungssoldaten etwa auf den Balkan schicken kann. Ohnehin sind 50 Prozent der Aufwendungen bei Auslandseinsätzen Logistik. Junge Wehrpflichtige können und wollen da ihren Erfahrungshorizont einbringen. Mich überrascht, dass nun gerade die SPD-Linke, die früher auf die soziale Kontrolle der Streitkräfte so großen Wert legte, dies heute über Bord wirft.
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Im Gespräch: Andrea Nahles ...
Nahles: Erstens: Ich lehne eine Ausweitung von Einsätzen der Bundeswehr im Innern entschieden ab. Das darf bei uns nicht in Frage kommen. Zweitens: Ich denke, dass die Bundeswehr so fest verankert ist in unserer Demokratie, dass sie in jeder Form Vertrauen genießen wird. Außerdem wird sie immer mehr ein Teil internationaler Streitkräfte. Mir gibt dies das nötige Vertrauen und beruhigende Gefühl, dass aus dieser Armee keine nationalistische Selbstüberschätzung mehr kommen wird.
Breuer: Im Letzteren bin ich mit Ihnen einer Meinung.
Blickpunkt: Bedingen die veränderten Aufgaben der Bundeswehr nicht doch eine Berufsarmee von Spezialisten?
Nahles: Ja.
Breuer: Wir brauchen Spezialisten, aber man kann sie aus der Wehrpflicht viel besser gewinnen. Dazu gehört tägliche Überzeugungsarbeit, aber das ist auch gut so. Bei einer Berufsarmee haben Sie die Gefahr der negativen Sozialauswahl. Im Übrigen: Die Erfahrungen derjenigen Länder, die Berufsarmeen eingeführt haben, sind nicht so überzeugend.
Nahles: Auch ohne Wehrpflicht kann die Bundeswehr durchaus ihren Nachwuchs rekrutieren. Bei guten Ausbildungsangeboten wäre sie für junge Leute durchaus attraktiv, zum Beispiel bei einer besseren Vergütung und einer stärkeren Verknüpfung von ziviler und militärischer Ausbildung.
Blickpunkt: Es bleibt das Problem der Wehrgerechtigkeit. Ist die nicht Fiktion, wenn immer weniger Männer einberufen werden, ein Großteil eines Jahrgangs sich aber der Berufsausbildung widmen kann?
Breuer: Das ist ja nicht so. Wir müssen den Zivildienst, der ja die rechtliche Alternative zum Wehrdienst ist, hinzurechnen. Da kommen Sie auf eine Gesamtquote von 95 Prozent. Außerdem werden im kommenden Jahrzehnt die Jahrgangsstärken dramatisch einbrechen. Deshalb wäre eine allzu kurzsichtige Diskussion über Wehrgerechtigkeit fatal. In ein paar Jahren werden wir hinter den Leuten herlaufen, weil wir sie nicht mehr haben.
Nahles: Also: Man kann aus dem Zivildienst nicht die Wehrpflicht legitimieren. Das wäre absurd. Im Übrigen bleibe ich dabei: Derzeit machen 21,6 Prozent der jungen Männer weder Zivil- noch ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr. Das ist gegenüber den tatsächlich Gezogenen ungerecht. Die Frage der Wehrgerechtigkeit bleibt damit ein entscheidender Punkt für eine Freiwilligen- oder Berufsarmee. Zurzeit ist es in Deutschland bei weitem einfacher, eine Wehrrückstellung zu erhalten als eine Rückstellung vom Zivildienst.
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... und Paul Breuer.
Blickpunkt: Die Bundeswehr ist permanent unterfinanziert. Spricht der Kostendruck für eine Berufsarmee?
Nahles: Zunächst würde eine Umstellung von der Wehrpflicht- zur Berufsarmee eher weitere Kosten verursachen als einsparen. Aber langfristig würde eine Freiwilligenarmee sicher billiger. Insofern ist auch dies ein Argument.
Breuer: Einspruch. Berufsarmeen sind wesentlich teurer. Das sehen wir in der Realität. Alle Länder, die umgestellt haben, haben sich bei den Kosten verschätzt. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne mit einer Berufsarmee Geld sparen. Nicht die Wehrpflicht ist das Problem der Bundeswehr, sondern ihre dramatische Unterfinanzierung. Das sollte man nicht in einen Topf werfen.
Blickpunkt: Was halten Sie von der Idee einer allgemeinen Dienstpflicht von Frauen und Männern für den Staat?
Nahles: Ich denke, viele junge Menschen engagieren sich freiwillig für die Gemeinschaft, teilweise auch deshalb, weil diese Zeit eine wichtige Orientierungsphase für sie sein kann. Wenn man diese Freiwilligendienste weiter aufwerten würde, zum Beispiel durch bessere Zugangschancen für bestimmte Studienfächer, würden sehr hohe Prozentsätze der Jugendlichen einen solchen freiwilligen Dienst machen. Da brauchen wir keinen Zwang, den die Verfassung bislang auch gar nicht zulässt.
Breuer: Auf den ersten Blick erscheint eine allgemeine Dienstpflicht für alle als Ausdruck der Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung als gute Sache. Auf den zweiten Blick habe ich damit ziemliche Schwierigkeiten. Denn ich kann nicht erkennen, dass die Frauen in dieser Gesellschaft übervorteilt werden, das Gegenteil ist der Fall.
Nahles: Richtig.
Breuer: Deshalb sollten wir bei der Wehrpflicht für Männer bleiben; sie allerdings auch stets mit den genau überprüften Sicherheitsnotwendigkeiten unseres Landes begründen.