Menschen im Bundestag
Der Plenarsekretär, das Protokoll und die Presse
Dirk Kunze bescherte der Bush-Besuch mediale Aufmerksamkeit. Die hätte er auch sonst verdient. Denn er macht seine Sache sehr gut.
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Die Frage, wann man heutzutage in die Schlagzeilen kommt, ist nicht so einfach zu beantworten. Schlagzeilen führen ein Eigenleben.
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Dirk Kunze zum Beispiel, Plenarsekretär beim Deutschen Bundestag, weiß davon zu berichten. Am Tag, als der US-amerikanische Präsident vor den Abgeordneten des Parlaments eine Rede hielt, hatte Dirk Kunze Dienst im Plenarsaal. Und just in dem Augenblick, da drei PDS-Abgeordnete ein Transparent entrollten, war er dem Ort des nicht alltäglichen Geschehens am nächsten. Er tat seine Pflicht, nahm den Parlamentariern das Transparent weg, packte es zusammen und brachte es aus dem Plenarsaal. So, wie es die Hausordnung vorschreibt, die besagt, dass die Ruhe einer Sitzung im Hohen Haus nicht gestört werden darf.
So ist Dirk Kunze in die Schlagzeilen gekommen.
Es gab Fotos, Überschriften in großen Lettern, ein Porträt wurde über ihn geschrieben, der Präsident der USA bedankte sich persönlich bei ihm. Die Boulevardpresse rahmte ihn auf ihren Bildern mit einem großen roten Kreis. Das macht die Boulevardpresse gern und sie fragt nicht danach, ob es dem Eingekreisten gefällt, so gezeichnet zu werden.
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Jetzt, wo die Schlagzeilen wieder ein anderes Eigenleben führen, kann Dirk Kunze lächeln, sich ein wenig entspannen und seine Arbeit so gut wie vorher tun.
Plenarassistenten, Saaldiener werden sie oft genannt, haben neben vielen anderen Aufgaben auch darauf zu achten, dass die Hausordnung eingehalten wird. Manch einer wird vielleicht gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Hier steht auch nicht drin, dass die Mittagsruhe einzuhalten ist, Umbauten nur nach Absprache mit dem Vermieter vorgenommen werden dürfen und nach 22 Uhr alle Aktivitäten auf Zimmerlautstärke runtergefahren werden müssen. Die Hausordnung des Deutschen Bundestages hat Arbeitsfähigkeit zu garantieren und bestimmt, dass der Arbeit des Parlaments ausreichend Respekt entgegengebracht wird.
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"Da gibt es Abgeordnete und die brauchen Leute, die ihnen zuarbeiten. Das klingt doch interessant."
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Dirk Kunze ist Plenarsekretär, das heißt, mit vier weiteren Kollegen ist er für die Führung der Plenarassistenten zuständig. Er und seine Kolleginnen und Kollegen wissen also, was sie zu tun haben, sollte jemand gegen die Vorschriften verstoßen. Sie sind durch die Hausordnung legitimiert, den Störer oder die Störerin höflich auf die Zuwiderhandlung aufmerksam zu machen. Sollte sich dann aber jemand resistent gegen solcherart Höflichkeit erweisen, müssen den Aufforderungen Handlungen folgen. Könnte also sein, dass man von der Besuchertribüne verwiesen wird, wenn man meint, jede Rede lauthals kommentieren zu müssen. Und es ist so, dass Transparente oder Plakate aus dem Plenarsaal entfernt werden, weil sie da nicht hingehören – weder auf die Tribünen, noch ins Plenum.
Aber nun zu Dirk Kunze. Auch ohne Schlagzeilen eine auffallende Erscheinung. Groß, sportlich, sehr kurze Haare, markante Brille, Bartlänge, die auf sorgsame Pflege schließen lässt, und ein naturgegebenes Lächeln. Zahnärzte bieten so etwas für viel Geld an.
Anzug und Frack stehen dem 26-Jährigen gut. Da steckt auch eigene Arbeit drin, denn Dirk Kunze hat lange Sport getrieben. Leistungsschwimmen. Das Delta im Kreuz ist also keine Gottesgabe. Wenn er redet, tut er dies mit Freundlichkeit und Souveränität. Manchmal denkt er einige Sekunden über seine nächste Antwort nach. Dann guckt er in die Luft und sieht für diesen Moment jünger aus, als er ist.
Dirk Kunze kommt aus Leipzig, dort geboren, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach der Schule ließ er sich zum Landesbeamten ausbilden, er besuchte eine Verwaltungsschule in Chemnitz und machte seine praktische Ausbildung im Regierungspräsidium Leipzig. Irgendwann in dieser Zeit tauchte ein unscheinbares DIN-A4-Blatt auf: Man könne sich im Deutschen Bundestag bewerben. Das interessierte ihn. Er dachte sich: "Da gibt es Abgeordnete und die brauchen Leute, die ihnen zuarbeiten. Das klingt doch interessant."
An einem Sitzungsdonnerstag fuhr er also zum Vorstellungsgespräch nach Bonn. Was ihm dort über den Plenar-assistenzdienst erzählt wurde, fand seinen Zuspruch. Vor allem auch deshalb, weil mit dem Beschluss, nach Berlin umzuziehen, klar war, dass schnell Leute ausgebildet werden müssen, die in der neuen Hauptstadt den Dienst versehen. Denn nicht alle wollten fort von Bonn – in die Zukunft geschaut gab es seinerzeit ein kleines Personalproblem in diesem Bereich.
Oder anders ausgedrückt: Quereinsteiger waren willkommen. "Im Regierungspräsidium in Leipzig musste ich sehr viel im Büro sitzen, klassische Schreibtischarbeit also. Als Plenarsekretär bin ich unterwegs, habe verschiedenste Tätigkeiten und Aufgabenbereiche. Mir gefällt das sehr."
Von seinem ersten Arbeitstag hat Dirk Kunze nicht mehr viel in Erinnerung. Vielleicht war er doch zu aufgeregt. "Ich weiß nur noch, dass zu diesem Silvester 1994 alle meine Freunde nach Prag fuhren, nur ich blieb zu Hause, weil ich am 2. Januar 1995 meinen Dienst antreten musste."
Aber alles wurde gut: Die Kollegen waren nett, die Arbeit machte Spaß, der spätere Umzug nach Berlin war eine tolle Erfahrung, die Aufgaben wurden größer und interessanter.
Heute kümmert sich Dirk Kunze hauptsächlich darum, in seinem Bereich Groß- und Sonderveranstaltungen im Deutschen Bundestag vorzubereiten. Der Besuch von George W. Bush beispielsweise gehörte dazu. "Leider", sagt Dirk Kunze an dieser Stelle, "habe ich die Akte Bush nicht mehr hier." Diesem etwas sonderbaren Satz lässt er ein Lächeln folgen. Die "Akte Bush" klingt wie ein Filmtitel. Aber es ist schon so, dass jede Vorbereitung eines solchen Ereignisses mindestens einen Ordner füllt. Viel muss bedacht sein: Wer wird wann wo eingesetzt, wo steht der Protokolltisch für das Gästebuch, welche Gäste werden durch welchen Eingang wohin geführt, wann kommt das Gefolge des hohen Besuchs...
Was Dirk Kunze bei seiner Arbeit wichtig ist: Er möchte, dass alles, was er tut, für andere nachvollziehbar ist. "Es soll für jeden und jede erklärbar sein. Dann ist es auch nicht mehr wichtig, dass viele meiner Mitarbeiter, denen ich die Anweisungen gebe, weitaus älter sind als ich."
Nachvollziehbarkeit ist ein Wunsch und ein Schlüsselwort bei Dirk Kunze. Wer etwas tut, muss anderen die Möglichkeit geben zu wissen, warum das jetzt so und nicht anders getan wird. Dazu braucht man eine Ordnung im Denken und Planung im Handeln. In den meisten Fällen hat Dirk Kunze damit Erfolg. Manchmal kann auch er über seinen Hang zum Planen und Organisieren lächeln. Die Einweihungsparty in seiner neuen Wohnung in Berlin zum Beispiel fand wirklich erst statt, als alles fertig und so war, wie er es haben wollte. Demzufolge etwas spät. Nur keine halben Sachen.
Nun ist er seit sieben Jahren, mit einer großen Unterbrechung, im Bundestag. Über die Unterbrechung sollte vielleicht noch ein Wort gesagt werden. Dirk Kunze war ein Jahr lang in den USA, arbeitete dort unter anderem für das Parlamentarische Patenschaftsprogramm, das jungen Menschen die sprichwörtlich durch Reisen erworbene Bildung ermöglicht. New York also, ein ganz anderes Leben, das ihm heute manchmal eine kleine Sehnsucht in den Kopf schickt, ob seiner Eigenartigkeit und Ferne. Jetzt aber ist das Leben hier angesagt. Mitten in Berlin, in einer neuen Wohnung, mit neuen Aufgaben. Und Zeit hat ein Mann mit 26 genug. Oder anders gesagt: Noch eine Menge Zukunft vor sich.