Menschen im Bundestag
Immer Anschluss unter dieser Nummer
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Edelgard Bahr leitet den Bereich Telekommunikation im Deutschen Bundestag. Der Weg dahin war keinesfalls die kürzeste Verbindung. Dafür aber spannend.
Edelgard Bahr hat so eine Art, die es einfach macht, ins Gespräch zu kommen. Man kann sich vorstellen, in einem Café zufällig mit ihr an einem Tisch zu sitzen und irgendwann über Gott und die Welt zu reden, ein bisschen die Zeit und die Tatsache vergessend, dass man sich noch nie zuvor begegnet ist. Solche Menschen gibt es. Zum Glück. Und wenn sie eine Arbeit verrichten, bei der diese besondere Art von Freundlichkeit geradezu unabdingbar ist, können auch die von Glück reden, die eine Frau wie Edelgard Bahr beschäftigen.
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Die 58-Jährige ist Leiterin des Telekommunikationsdienstes im Deutschen Bundestag, ein Bereich, zu dem die Telefonvermittlung und die Fernschreibstelle gehören. Alles in allem elf Leute, die für die richtigen Verbindungen im Hause und mit der Außenwelt sorgen, zugeordnet dem Organisations-Technischen Parlamentsdienst, ZT 4. Seit kurzem sitzen die Vermittlerinnen und Vermittler im Jakob-Kaiser-Haus, ebenerdig mit Blick auf die Dorotheenstraße in einem kleinen, aber doch Großraumbüro. Es gibt in diesem Büro zwei Auskunftsplätze, die unter der Nummer 118 ausschließlich für die hausinterne Telefonvermittlung und -auskunft zuständig sind und sieben Vermittlungsplätze, bei denen alle Anrufe ankommen, die über die zentrale Einwahl 2270 gehen. Dann heißt es ?Deutscher Bundestag, Guten Tag“ und am anderen Ende wird eine mehr oder weniger schwierige Frage gestellt oder Bitte geäußert.
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Solange man das kleine Großraumbüro noch nicht gesehen hat, drängen sich natürlich alle Bilder auf, die man bei dem Wort Telefonistin im Kopf hat. Die nette und hübsche Dame vom Amt mit den großen Kopfhörern, einer Stecktafel vor der Nase, in die scheinbar wahllos Kabel gestöpselt werden. Vielleicht haben wir zu viele alte Filme gesehen, vielleicht ist es auch einfach romantisch, zumindest für die, die nicht vor der Stecktafel sitzen. Wenn man sich allerdings das Ganze hochgerechnet auf vielleicht 2.000 oder in Sitzungswochen gar 3.000 eingehende Anrufe am Tag vorstellt, verfliegt die Romantik und macht pragmatischem Denken Platz. Computer scheinen auch an dieser Stelle nicht schlecht zu sein.
So sitzt auch Edelgard Bahr in ihrem kleinen Büro gleich neben der Vermittlung an einem Computer und aktualisiert gegenwärtig die Datenbanken. In diesen Zeiten, da eine neue Legislaturperiode beginnt, verbunden mit zahlreichen Umzügen alter und Einzügen neuer Abgeordneter, eine Zeit raubende Aufgabe. Was Frau Bahr Sorgen macht, sind manche noch nicht gelöste Schwierigkeiten bei der internen Auskunft. ?Wir arbeiten mit Click-Tell, einer CD-ROM, die regelmäßig aktualisiert wird. Allerdings ist es immer noch häufig Zeit raubend, eine gewünschte Nummer zu finden, und viele Nummern finden wir gar nicht auf dieser CD-ROM. Das ist für uns ärgerlich und oft natürlich für die Fragenden, die dann schnell ungeduldig werden.“
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Edelgard Bahr hat einen Ehrenkodex für ihren Bereich und der ist ihr wichtig. ?Wir sind sozusagen für viele der allererste Eindruck, den sie vom Deutschen Bundestag haben. Ich will, dass es der beste Eindruck ist; meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso. Nie die Ruhe verlieren, immer freundlich sein, schnell und präzise arbeiten, im Zweifelsfall das Unmögliche möglich machen.“ Das klingt nicht nur nicht einfach, es ist auch nicht einfach. Obwohl die Technik halt vieles leichter macht. Jemand ruft an, bittet um eine Verbindung, auf der Tastatur werden die ersten Buchstaben des zu vermittelnden Gesprächspartners getippt, auf dem Bildschirm erscheint in Sekunden der Name, dann die Enter-Taste gedrückt und die Verbindung ist hergestellt. Nimmt am anderen Ende niemand ab, kommt das Gespräch zurück. Musik gibt es in der Warteschleife nicht. Obwohl Edelgard Bahr in kühnsten Momenten die nette Vorstellung hat, dass Hildegard Knef die ersten Takte des Liedes ?Für mich soll’s rote Rosen regnen“ singen könnte. Wieso Hildegard Knef?
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Das ist so eine Geschichte. Eine von vielen, die Edelgard Bahr erzählen kann. Ihr Traumberuf war mal Hebamme. Sicher wäre sie auch eine tolle Hebamme geworden, aber damals kamen die eigenen Kinder, erst ein Junge und einige Jahre später gleich zwei auf einmal. Die Zwillinge und der Große haben also erst einmal einen Lebensrhythmus vorgegeben, der sich mit dem Traumberuf nicht vereinbaren ließ. Also hat Edelgard Bahr mit verschiedensten Arbeiten Geld verdient. Unter anderem war sie auch Haushaltshilfe bei einer britischen Offiziersfamilie in Berlin-Gatow. Von der bekam sie, kurz vor deren Abzug, ein ausgezeichnetes Zeugnis, mit dem sie sich beim Arbeitsamt meldete. Und die hatten wirklich einen Job. Einen ganz besonderen. Die Schauspielerin Hildegard Knef suchte damals jemanden zur Unterstützung in ihrem Künstlerhaushalt. Das klang ein bisschen wie im Märchen, und ein wenig war es manchmal auch wie im Märchen. Fünf Jahre arbeitete Edelgard Bahr für die Knef. Wunderbare fünf Jahre, wie sie heute noch sagt. Die Trennung 1980 fiel beiden schwer, aber die Künstlerin verließ in diesem Jahr die Stadt, und Edelgard Bahr konnte nicht mit Kind und Kegel hinterher.
Zu dieser Zeit suchte die Verwaltung des Deutschen Bundestages jemanden für die Garderobe im Reichstagsgebäude. Das war kein Traumjob, aber ein neuer Anfang für Edelgard Bahr. Komische Sachen sind da manchmal passiert. Zum Beispiel fragte mal ein Besucher die nette Garderobiere, ob sie wisse, warum der Reichstag so ungünstig dicht an der Mauer gebaut worden sei. Nun, zu dieser Zeit hatte Edelgard Bahr schon ausreichend sonderbare Dinge erlebt, trotzdem ist ihr die komische Frage im Gedächtnis geblieben.
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Fünf Jahre hat sie in der Garderobe gearbeitet, dann gab es 1985 eine Stelle in der Fernsprechvermittlung im Reichstagsgebäude. Die hat sie genommen, obwohl sie immer ganz allein in einem großen Raum sitzen und arbeiten musste. Damals gab es noch große Schaltpulte, mit Knöpfchen zum Drücken und einer Tafel an der Wand, auf der es für jeden Apparat ein Lämpchen gab, das leuchtete, wenn die Nummer besetzt war. Vier Jahre lang saß Edelgard Bahr fast am Ende der westlichen Welt im Reichstagsgebäude, dann fiel die Mauer, später kam die Vereinigung beider deutscher Staaten, der Umzugsbeschluss und Bonn kam nach Berlin. Dieser Umzug – das wäre dann wieder eine eigene und nicht kurze Geschichte.
Aber eine andere muss noch erzählt werden: Einmal hat Edelgard Bahr einer alten Frau das Leben gerettet. Die landete, wie auch immer das möglich war, bei ihr auf der Einwahl des Bundestages und schrie: ?Schwester, du musst kommen.“ Sie war gestürzt und schaffte es nicht mehr zur Tür. Edelgard Bahr gelang es, den Namen der Frau zu erfahren, dann riss die Verbindung ab. Frau Bahr rief die Polizei an, die die Frau auch fand und ins Krankenhaus brachte. Zwei Tage später kam ein großer Blumenstrauß für die Lebensretterin.
Irgendwie sind das Geschichten, die passen zum ersten, zweiten und dritten Eindruck, den man von Edelgard Bahr hat: eine Frau Ende Fünfzig, mit blonden, hochgesteckten Haaren, gut geschminkt, in warmen Braun- und Beigetönen gekleidet, Lippenstift und Nagellack aufeinander abgestimmt, Schmuck passend zum Teint und ein entwaffnend freundliches Lächeln. Man hätte nicht übel Lust, ihr auch ein paar Geschichten zu erzählen. Im Austausch gegen eine weitere gute Geschichte von ihr.
Text: Kathrin Gerlof/Fotos: Studio Kohlmeier