Die Ausschüsse
Fachlich zur Sache
Bundestag ohne Ausschüsse, das wäre so wie Schule ohne Unterricht und ohne Hausaufgaben. Jeder weiß, dass Schüler nicht nur Klausuren schreiben, sondern auch kräftig dafür arbeiten müssen. Aber nicht allen ist bekannt, dass die Plenardebatten ebenfalls nur einen winzigen Teil der Parlamentsarbeit darstellen. Dass auch der Bundestag viel hinter verschlossenen Türen arbeiten muss, damit er seine Aufgaben erfüllen kann. Und dafür hat er seine Ausschüsse. Dort geht es fachlich zur Sache.
Juristen wissen messerscharf auszudrücken, was die Parlamentsausschüsse eigentlich sind: „Vorbereitende Beschlussorgane des Bundestages“, heißt es in der Geschäftsordnung des Bundestages. Daraus ergibt sich eindeutig, dass der Bundestag ohne diese Gremien aufgeschmissen wäre. Aber es wird nicht nur ins Blaue hinein vorbesprochen, was dann am Ende im Plenum verabschiedet wird, es geht ganz gezielt und mitverantwortlich zu: Klare „Beschlussempfehlungen“ stehen am Ende der Ausschussarbeit, auf die das Plenum dann zurückgreifen kann.
Da nach dem Prinzip der Diskontinuität (1) alle Signale nach einer Bundestagswahl für das neue Parlament wieder auf Anfang gestellt werden, geht es in den ersten Wochen nach der Wahl auch darum, die ständigen Ausschüsse nicht einfach nur wiederzubeleben, sondern völlig neu entstehen zu lassen. Dabei hat der Bundestag nicht völlig freie Hand, denn einige Ausschüsse schreibt die Verfassung vor: Der Petitionsausschuss, der Verteidigungsausschuss, der Auswärtige Ausschuss und der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sind namentlich erwähnt, andere Ausschüsse ergeben sich zwangsläufig aus anderen Formulierungen. So, wenn es um die Immunität von Abgeordneten geht oder um die Überprüfung der Wahl. Mit dem Budgetrecht des Parlamentes wird natürlich ein Haushaltsausschuss fällig. Und so lassen sich viele Politikfelder durchbuchstabieren.
Da die Hauptaufgaben des Bundestages darin bestehen, für die verschiedenen Fachgebiete Gesetze zu erlassen und die Arbeit der Regierung zu kontrollieren, bietet es sich logischerweise an, sich selbst parallel zur Regierung zu organisieren. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, den einzelnen Ministerien so genannte Spiegel-Ausschüsse gegenüberzustellen. Aber dem Parlament steht es frei, einzelne Politikbereiche durch eigene Ausschüsse noch mehr zu betonen. So gibt es gegenüber dem Innenministerium auch noch einen Sportausschuss, gegenüber dem Wirtschaftsministerium auch noch einen Tourismusausschuss und gegenüber dem Finanzministerium außer dem Haushaltsausschuss auch noch einen Finanzausschuss.
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In der Regel wartet der Bundestag mit der Einsetzung der Ausschüsse, bis sich die Regierung aufgestellt hat, damit das Spiegel-Prinzip seine beste Wirkung entfalten kann. Als die Regierung Schröder jetzt den Fachbereich Arbeit dem Wirtschaftsministerium zuschlug und den Fachbereich Soziales dem Gesundheitsministerium, folgte dem auch das Parlament, indem es einen Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ins Leben rief und einen Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die vormaligen Ausschüsse für Wirtschaft und Technologie und für Arbeit und Sozialordnung wurden zusammengelegt. Und um die Angelegenheiten der neuen Länder kümmert sich nun auch der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Somit sank die Zahl der ständigen Ausschüsse gegenüber der vormaligen Wahlperiode von 23 auf 21. Es können also mal mehr oder mal weniger sein: In der ersten Wahlperiode waren es 40 Ausschüsse, in der sechsten 17.
Die Sitzungen der Ausschüsse werden vom jeweiligen Vorsitzenden vorbereitet, einberufen und geleitet. Wie die Ausschüsse zu ihren Vorsitzenden kommen, handeln die Fraktion (2) untereinander aus. Kommt es zu keiner Verständigung – wie nach der letzten Wahl –, gilt das so genannte Zugreifverfahren. Im Vorfeld wird dafür das Stärkeverhältnis der Fraktionen nach einer mathematischen Formel, der Methode von Sainte-Laguë/Schepers (3), umgelegt auf eine Zugriffsreihenfolge. Aus 251 SPD-Abgeordneten, 248 CDU/CSU-Abgeordneten, 55 Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten und 47 FDP-Abgeordneten ergibt sich dann also, dass die SPD den ersten, dritten, sechsten, neunten, elften, dreizehnten, fünfzehnten, achtzehnten und einundzwanzigsten Zugriff hat, die Union den zweiten, vierten, siebten, zehnten, zwölften, vierzehnten, sechzehnten und neunzehnten, Bündnis 90/Die Grünen den fünften und siebzehnten und die FDP den achten und zwanzigsten. Nach dieser Vorarbeit treffen sich die Parlamentarischen Geschäftsführer (4) und gehen ihre Wünsche der Reihe nach durch. Da sagt dann der SPD-Vertreter, dass er als Erstes den Vorsitz im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit für seine Fraktion haben möchte, womit dieser Ausschuss abgehakt ist. Danach meldet der CDU/CSU-Vertreter den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss für seine Fraktion an, und so geht es weiter, bis alle 21 Gremien „vergeben“ sind. In einem zweiten Durchgang werden später nach demselben Prinzip auch die Ämter der stellvertretenden Ausschussvorsitzenden vergeben. Dem Parlamentsbrauch entspricht es, dass die stellvertretenden Vorsitzenden jeweils einer anderen Fraktion angehören als der Vorsitzende.
Aus dem Umrechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ergibt sich aber auch die Möglichkeit, die Ausschüsse als verkleinerte Kopie des Plenums abzubilden: Wenn ein Ausschuss beispielsweise 30 Mitglieder hat, stellt die SPD 13, die Union zwölf, Bündnis 90/Die Grünen drei und die FDP zwei. Welcher Abgeordnete in welchem Gremium mitarbeitet, entscheiden die Fraktionsführungen. Sie bemühen sich, möglichst viele Wünsche der Abgeordneten zu erfüllen. Diese melden dafür ihre Interessen an – und eine Hauptaufgabe der Fraktionsgeschäftsführer und der Vorsitzenden der Landesgruppen (5) liegt dann darin, einen fairen Interessenausgleich zu schaffen. Hilfreich ist dabei unter anderem der Umstand, dass neben den ordentlichen Mitgliedern auch stellvertretende Mitglieder benannt werden, die jederzeit ebenfalls an den Sitzungen teilnehmen können und die ordentlichen Mitglieder vertreten, wenn diese verhindert sind.
Alle Ausschüsse bekommen einen Teil ihrer Arbeit vom Bundestagsplenum „überwiesen“. Wenn der Bundestag ein Gesetz verabschieden will oder nach dem Wunsch der Bundesregierung, des Bundesrates oder einer Fraktion ein Gesetz beschließen soll, geht die Angelegenheit nach der ersten Lesung zur eingehenden Beratung in alle Fachausschüsse, die von den Regelungen betroffen sind. Der im Einzelfall hauptsächlich zuständige Ausschuss übernimmt die Federführung, fordert die anderen beteiligten Ausschüsse aber auch zur Mitberatung auf – und sammelt deren Stellungnahmen rechtzeitig vor der Beschlussempfehlung wieder ein. Zur Meinungsbildung können sich die Ausschüsse auch Experten einladen, die von den einzelnen Fraktionen im Ausschuss benannt und vom Ausschusssekretariat dann zu einem gemeinsamen Hearing (6) eingeladen werden. Dort nehmen die Fachleute Stellung zu den Gesetzesvorhaben und stehen den Abgeordneten anschließend Rede und Antwort. Solche Anhörungen haben oft eine große Wirkung und führen dazu, dass die Ausschüsse in den Detailvorschriften teils gravierende Änderungen empfehlen.
Die Ausschüsse haben aber auch das Recht zur Selbstbefassung. Das heißt, sie können selbst Themen aus ihrem Tätigkeitsfeld auf die Tagesordnung setzen. Auf diese Weise hält sich das Fachgremium zum Beispiel über die Arbeit in „seinem“ Ministerium auf dem Laufenden oder holt sich den Sachverstand von Menschen aus der Praxis auch unabhängig von geplanten Gesetzen in das eigene Blickfeld.
Die Fraktionen bestimmen zudem einzelne Mitglieder der Ausschüsse, ihre Interessen in diesem Fachbereich herausragend zu vertreten. Diese nennen sich Obleute (7) und wirken sowohl in das Innere des Ausschusses, indem sie etwa fraktionsübergreifend nach Verständigung in der Sache und in der Behandlung suchen, als auch nach außen, indem sie in der Öffentlichkeit für „ihren“ Ausschuss die Meinung ihrer Fraktion formulieren. Daneben bestimmen die Fraktionen so genannte Berichterstatter, die sich besonders tief in die Materie einarbeiten, für einzelne gesetzliche Vorhaben.
Text: Gregor Mayntz