Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe ein Anliegen ...
Eugenie Ruppert leitet eines von vier
Eingabereferaten des Petitionsausschusses des Deutschen
Bundestages. Das Leben und die Sorgen, die manche mit dem Leben
haben, landen jeden Tag auf ihrem Tisch.
Es mag verrückt klingen, aber in der Registratur der
Unterabteilung „Petitionen und Eingaben“ ist man
plötzlich mitten im Leben gelandet. Dabei ist es ruhig in dem
lang gestreckten Raum voller Aktenschränke, die bis obenhin
mit Hängeregistraturen gefüllt sind. Tausende Akten
lagern hier, jede mit einer Nummer versehen, die je nach
Wahlperiode eine unterschiedliche Farbe hat.
Jede Akte eine Sorge, ein Kummer, eine Wut, eine Frage, eine
Bitte, ein Anliegen, eine Hoffnung. Eugenie Ruppert streicht mit
dem Zeigefinger über eine Reihe Ordner, die ganz leise
aneinander klacken. Viele Akten haben, bevor sie hier in die
Registratur kamen, auf dem Schreibtisch der 54-jährigen
Referatsleiterin gelegen, sind von ihr gelesen und bearbeitet oder
weitergeleitet worden. Manche haben sie sehr lange
beschäftigt, auch dann noch, wenn sie als Vorgang erledigt
waren. Es gibt Dinge, die vergisst man nicht.
Wo ist der Anfang? 1975 wurde in das Grundgesetz aufgenommen,
dass der Bundestag einen Petitionsausschuss zu bestellen habe. Da
war schon längst verankert, dass jeder Mensch das Recht hat,
Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu richten. Ein Recht, das
mühelos in Anspruch genommen werden kann. Es gibt keine
Formvorschriften, nur eine Unterschrift gehört unter die
Eingabe. Es sei, sagt Eugenie Ruppert, auch schon vorgekommen, dass
eine Beschwerde auf einen Bierdeckel geschrieben wurde oder auf
eine Tapetenrolle.
Das sind die Geschichten, die man gern hört. Man stellt
sich eine politisierende abendliche Skatrunde vor, die
beschließt, sich gemeinsam mit einer Beschwerde an den
Bundestag zu wenden. Und der Bundestag, namentlich sein
Petitionsausschuss, kümmert sich um diese Beschwerde weil sie
– Bierdeckel hin oder her – ihre Berechtigung hat.
Meist geht es etwas prosaischer zu. Menschen schreiben Briefe,
erläutern ihr Anliegen, stellen eine Forderung oder nur eine
Frage, äußern eine Bitte. Rund 80 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Unterabteilung Petitionen und Eingaben – kurz
„Pet“ genannt – prüfen die Petitionen und
bereiten die Angelegenheiten für die parlamentarische Beratung
und Erledigung durch den Ausschuss vor. Im vergangenen Jahr kamen
rund 14.000 Petitionen, das sind etwa 55 an jedem Werktag. 13.000
Nachträge von Petentinnen und Petenten – so werden die
Absender der Schreiben genannt – kamen 2002 dazu, ebenso wie
rund 10.000 Schreiben von Behörden, Abgeordneten sowie
Berichte der Bundesregierung. Rund 300 Briefe verlassen
täglich die Unterabteilung, rund 65.000 Schreiben im Jahr.
Inzwischen gibt es eine elektronische Datenbank, in die alles
eingegeben wird und die jederzeit abrufbar ist.
Allein die Zahlen vermitteln einen ersten Eindruck von der
Spannbreite der Themen. Alles ist denkbar. Fehlende
Kindergärten, Schulschließungen, Mobbing am Arbeitsplatz,
Preissteigerungen, Lärmschutz, Arbeitslosengeld und
Sozialhilfe, ein möglicher Krieg im Irak, Umweltverschmutzung,
Zuzahlungen für Medizin, das Handeln oder Nichthandeln von
Behörden, Haftbedingungen im Strafvollzug, ja manchmal sogar
der unerträgliche Nachbar – in den unterschiedlichsten
Situationen nehmen hier zu Lande Menschen ihr Recht wahr, sich zu
beschweren und Unterstützung einzufordern.
Eugenie Ruppert ist ein wenig süchtig nach Informationen
und Nachrichten, denn die sagen ihr meist, was in den kommenden
Tagen und Wochen alles auf ihrem Tisch landen wird. Wer also wissen
will, was die Menschen beschäftigt und umtreibt, was ihnen
Sorgen macht, findet im Petitionsausschuss mit seinen 25
Abgeordneten und in der zuarbeitenden Unterabteilung die
kompetentesten Gesprächspartnerinnen und -partner. Sie sind
mehr als ein Kummerkasten, obwohl sie auch das oft sein
müssen. Sie können auch darüber berichten, wie
groß das Vertrauen der Menschen in Parlament und in Regierung
ist. Wer sich beschwert, vertraut darauf, dass geholfen werden kann
und wird. Natürlich wollen manche auch einfach nur ihren Zorn
artikulieren, schimpfen, Luft ablassen. Das ist manchmal
beschwerlich, schlimm aber wäre, der Posteingangskorb bliebe
leer.
Stellt sich die Frage, wie in dieses vermeintliche Chaos Ordnung
gebracht werden kann, wer für was zuständig ist. Nicht
jeder weiß auf jede Frage eine Antwort. Also müssen
Kompetenzen verteilt werden. „Unsere Unterabteilung besteht
aus einem Ausschusssekretariat und vier Eingabereferaten“,
erklärt Eugenie Ruppert. „Im Sekretariat werden die
Sitzungen des Petitionsausschusses vor- und nachbereitet, vor allem
aber alle Eingaben einer ersten Prüfung unterzogen, und es
wird die Registratur mit den rund 200.000 Akten gepflegt. Die
Aufgabenbereiche der vier Eingabenreferate entsprechen der
Ressortverteilung innerhalb der Bundesregierung. Das Referat Pet 4
beispielsweise, dem ich vorstehe, ist zuständig für alle
Eingaben, die das Auswärtige Amt, die Bundesministerien der
Justiz, für Wirtschaft und Arbeit (hier allerdings nur der
Arbeitsbereich), für Bildung und Forschung und für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreffen.
Fällt eine Eingabe in die Zuständigkeit des
Petitionsausschusses, muss zuerst geklärt werden, was der
Petent erreichen will. Das ist nicht immer einfach. Manchmal
müssen wir nachfragen. Auf jeden Fall aber bekommen die, die
sich an uns wenden, neben der Eingangsbestätigung
regelmäßig Auskunft über den Fortgang der
Dinge.“
Der Fortgang der Dinge kann und muss oft einige Zeit dauern.
Ministerien müssen um Auskunft gebeten, die erteilten
Auskünfte auf ihre Richtigkeit überprüft, in
Einzelfällen Berichterstattergespräche geführt
werden. Alles dient einer möglichst umfassenden Klärung
des Sachverhalts. Und wie sieht das Ende aus? „Rund 15
Prozent der Petitionen lassen sich bereits im Vorfeld und mit Hilfe
der eingeschalteten Behörden positiv erledigen. Ergibt die
Prüfung, dass die Petition keine Aussicht auf Erfolg hat, wird
dies dem Petenten mitgeteilt und – sein Einverständnis
vorausgesetzt – das Verfahren abgeschlossen. Für die
Petitionen, die so weit erledigt werden können, bereitet der
Ausschussdienst für die parlamentarische Behandlung eine
Beschlussempfehlung vor.“ Höchste Form einer solchen
Empfehlung: eine Überweisung an die Regierung zur
Berücksichtigung, wenn das Anliegen begründet und Abhilfe
nötig ist.
Eugenie Ruppert, Juristin und seit 1996 im Ausschusssekretariat,
ist eine zurückhaltende und nachdenkliche Frau, die lieber
über die Arbeit redet anstatt über sich. Erst vor
anderthalb Jahren kam die gebürtige Rheinland-Pfälzerin
aus Bonn nach Berlin. Noch pendelt sie zwischen hier und dort, aber
Ende des Jahres will sie sich in der Mitte der Stadt niederlassen.
Ihr Berliner Büro verrät, dass hier jemand mit System
arbeitet, ohne es zur Priorität zu erheben. Die Entdeckung
dreier Reste von Zimmerpflanzen – einem ernst gemeinten
Wiederbelebungsversuch in Glasvasen unterworfen –
entlässt Eugenie Ruppert für einen Moment aus der Rolle
der professionellen Leiterin. Sie habe, gesteht sie, vor dem
letzten Urlaub vergessen, jemanden zu bitten, ihre Pflanzen zu
gießen. Nun sei Wiedergutmachung angesagt, vielleicht
schlüge das überlebende Grün ja neue Wurzeln. Das
tut es sicher.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier