Musik ist eine universelle Sprache. Musik kann Identifikation und Orientierung bieten. Die 68er-Generation fand sich in Songs wie "Street fighting man" der Stones wieder, in der Beat- und Rockmusik, die etwas völlig neues war. Als Professor Diethart Kerbs 1964 das erste Festival "Chanson Folklore International" auf der Burg Waldeck im Hunsrück eröffnete, schuf er auch damit einen Raum für etwas Neues, eine neue Musikkultur in Deutschland - die des Liedermachers.
Kerbs war damals als Student in verschiedenen Arbeitskreisen der Universität organisiert. Zusammen mit anderen hatte er sich überlegt, dass hierzulande etwas fehle: In den USA gab es das "Free Speech Movement", in Frankreich die Chansons, in Deutschland nichts dergleichen, so die Überlegungen. "Der Liedermacher, mit eigenen Liedern und politischen Inhalten, war damals eine Leitfigur", sagte Kerbs im Rahmen einer Ausstellungseröffnung. Auf dem Waldeck-Festival, das bis 1969 jährlich stattfand, traten die Größen wie Wolf Biermann und Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Reinhard Mey, Walter Moßmann und auch Konstantin Wecker auf - Namen, mit denen Jugendliche heute wohl kaum noch etwas verbinden können.
"Es war eine kurze Blütezeit des politischen Lieds", erklärt der Kulturhistoriker. Doch das Waldeck-Festival sei kein intellektueller Vorläufer der 68er-Bewegung gewesen - die Musik habe im Mittelpunkt gestanden. Mit der Forderung der immer radikaler auftretenden Studenten, die lieber diskutieren statt singen wollten ("Stellt die Gitarren in die Ecke und diskutiert!"), und weil die Infrastruktur die letztlich 6.000 Besucher nicht mehr verkraften konnte, entschlossen Kerbs und seine Mitstreiter sich nach sechs Jahren, das Festival zu beenden.
Aber wo finden die Liedermacher von damals ihre Nachfolger? Wecker erklärte während einer Diskussionsrunde zu diesem Thema, dass er in jüngster Zeit Kontakt zu Nachwuchskünstlern habe, die für sich den altmodischen Ausdruck "Liedermacher" wieder verwendeten. Doch der Singer-Songwriter mit der Gitarre ist heute eher eine musikalische Randerscheinung.
Politischer Content findet sich in vielen anderen Musikrichtungen und -Stilen: Rock und Pop, Hip-Hop und Rap, Punk, Jazz und Reggae - überall lassen sich Beispiele finden. Das Projekt "Brothers Keepers", eine Band junger Migranten, landete einen Hit mit Kampfansagen gegen Rechts und dem Text "unser Rückschlag ist längst in Planung, wir fall'n dort ein, wo ihr auffallt, gebieten eurer braunen Scheisse endlich Aufhalt". Die Beginner und Blumfeld sind weitere Beispiele, für erfolgreichen deutschen Pop mit politischen Texten.
Weniger bekannt und beim Festival und der Diskussion dabei war Mellow Mark, Straßenmusiker, Hip-Hopper und Mitglied bei Kulturattac. In seinem Song "Weltweit" heißt es: "Weltweit US-Amerikanisches Fastfood / Weltweit amerikanisches Gedankengut / Weltweit US-Amerikanische Sprachflut / Weltweit US-Am-Arsch-Kult". Seine Wortwahl sei nicht sachlich ,sondern emotional - das polarisiere und das sei gut, meint der 28-Jährige. Erst im Jahr 2001, mit den Ereignissen in Genua und dem 11. September, habe er politische Songs geschrieben. In erster Linie sehe er sich als Musiker, nicht als politischer Liedermacher, sagte er. Trotzdem wurde sein Song von einem Teilnehmer an anderer Stelle als platter Antiamerikanismus kritisiert.
Aber wer ist überhaupt als politischer Liedermacher zu bezeichnen und was ist eigentlich ein politisches Lied? Wecker erklärte, als politischen Sänger könne man schon jeden bezeichnen, der sich der Musikindustrie verweigere. Auch ein Liebeslied könne politisch sein, wenn es die Liebe neu betrachte und mit den gängigen Vorurteilen aufräume.
Hans-Eckardt Wenzel, dem 2002 und 2003 der Preis der Deutschen Schallplattenkritik verliehen wurde, erläuterte am Rande der Veranstaltung: "Das Gegenteil von politischem Lied wäre ja ein unpolitisches Lied und so etwas gibt es nicht." Selbst ein Volkslied könne in einem bestimmten Kontext politisch sein, es komme eben auf den Gebrauchszusammenhang an.
Schon seit Jahrzehnten setzen sich die aus dem Punk kommenden "Goldenen Zitronen" mit der Frage nach politischen Inhalten und musikalischer Form auseinander. Ihnen sei es immer wichtig gewesen, so Ted Gaier bei einer weiteren Diskussion des Festivals, eigene Formen zu finden, nicht kopier- und benutzbar zu sein - weder von der Musikindustrie noch von der rechten Szene. In Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit und den Ereignissen in Hoyerswerda habe man sich wieder eindeutiger positionieren wollen. Entstanden sind Songs wie "80 Millionen Hooligans/die Bürger von Hoyerswerda" oder auch "Das bisschen Totschlag".
Die Möglichkeit, mit dieser politischen Haltung kommerziell erfolgreich zu sein, ist für die "Goldenen Zitronen" begrenzt: Die Band steht wie viele andere Künstler vor dem Widerspruch, sich Gehör zu verschaffen, ohne sich von der Musikindustrie den Weg weisen zu lassen. Mellow Mark, der Hip-Hopper, sieht da ähnliche Schwierigkeiten wie die "Zitronen" und versucht durch Mundpropaganda und Straßenkonzerte bekannter zu werden. Die "Zitronen" arbeiten vorwiegend mit Freunden aus dem musikalischen Umfeld und haben sich nie einer großen Plattenfirma anvertraut.
Bezüge zu den deutschen Liedermachern sehen die "Goldenen Zitronen" für sich nicht: Degenhardt sei da eine Ausnahme, "total wichtig", "ein Genre für sich" - Wecker und Biermann hingegen seien "katastrophal", so Gaier. "Das männliche Selbstmitleid, der Weltschmerz und dieser Quatsch interessiert mich nicht", sagte der Hamburger Musiker über Wecker. Biermann hingegen sei jemand, der immer Recht habe, schon vom Lebenslauf her, das finde er genauso schlimm. "Absichten zu erklären ist heute total out. Das ist auch das Problem bei politischen Botschaften - man will nicht belehrt werden".
Hier würden ihm die Liedermacher der alten Garde vielleicht zustimmen. "Ich habe nie geglaubt, dass man mit Liedern die Welt verändern könne", sagte Wecker. Zorn sei der Beginn seiner Kunst, berichtete Wenzel. Musik könne Probleme auf die Spitze treiben, Erkenntnisprozesse in Gang setzen - mehr nicht. Die Liedermacher selbst kamen zu dem Schluss, dass man sich in Zukunft mehr vernetzen müsse und sich gegenseitig ein Forum schaffen sollte, um "die Bewegung in Gang zu halten", wie Wecker es ausdrückte. Der Musikjournalist Michael Kleff plädierte dafür, die Vernetzung über die Genres hinaus auszuweiten und auch Weltmusik und Folkmusik mit einzubeziehen. Er beklagte, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ganze Programme und auch die "Liederbestenliste", eine Liste der besten deutschen Lieder, eingestellt haben. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, ebenfalls zu Gast bei der Diskussion, nahm sich dieser Kritik an: Im Rundfunkrat gebe es zu viele Leisetreter, sagte er. Dabei lohne es sich, für den öffentlichen Auftrag und die Vielfalt des kulturellen Programms zu streiten. Ob die "Goldenen Zitronen" sich Gedanken über die Zukunft ihrer Fangemeinde machen müssen, sei dahingestellt - ihr Konzert ist im Gegensatz zu dem der Liedermacher hauptsächlich von jungen Leuten besucht worden. Auch wenn man den Text nicht verstand - die Musik und die Videoprojektionen sprachen für sich.