Der gewählte palästinensische Präsident erhob sich - überwältigt und aufgeregt. Hinter ihm ein großes Bild von Yassir Arafat, dem ewigen Führer des palästinensischen Volkes. In der ersten Reihe vor ihm, durch die starke Präsenz des ägyptischen Präsidenten voneinander getrennt, saßen seine vier Partner, die ihn auf dem letzten Teil dieser Reise begleitet hatten: der Präsident der USA, der frisch gewählte israelische Ministerpräsident und die beiden palästinensischen Oppositionsführer. Langsam und mit tönender Stimme las er den arabischen Text. Er begann mit den Worten, von denen er seit Jahren geträumt hatte, sie vorzulesen: "Im Namen Allahs, der islamischen Welt, der großen arabischen Nation und des mutigen palästinensischen Volkes erkläre ich hiermit die Gründung des unabhängigen arabischen Staates von Palästina." Die Zuhörer standen auf und applaudierten erregt. Man konnte spüren, wie sich hier Geschichte ereignete. Für viele war dies das Ende eines langen Kampfes. Für andere, darunter der neue palästinensische Präsident, war es nur der Anfang.
Ergibt diese Vision Sinn? Scheinen irgendwelche Details in diesem Szenario zum gegenwärtigen Zeitpunkt unrealistisch? Könnte eine solche Vision in dieser Generation Wirklichkeit werden? Ist der israelisch-palästinensische Konflikt lösbar, oder ist es ein Konflikt, der nur geregelt, aber in absehbarer Zukunft nicht gelöst werden kann?
Dieser Aufsatz möchte einige Analyse-Instrumente zur Beantwortung dieser Fragen anbieten. Es geht darum, die wichtigsten Einflussfaktoren im israelisch-palästinensischen System zu identifizieren, drei mögliche Richtungen vorzustellen, in die sich das System entwickeln könnte, und die jeweiligen Folgen dieser Entwicklungen aufzuzeigen. Schließlich sollen auch bestimmte strukturelle Punkte genannt werden, die das Erreichen einer friedlichen Position im israelisch-palästinensischen System wahrscheinlicher machen.
Zwei Begriffsklärungen sind vorab angebracht: Erstens ist es wichtig, zwischen "Konflikt-Lösung" (in der Regel assoziiert mit "Frieden") und "Konflikt-Management" zu unterscheiden. Nach sieben Jahren intensiver Suche nach einer "Lösung" des Konflikts (1993 - 2000), wechselte der israelisch-palästinensische Friedensprozess im September 2000 in eine spannungsgeladene Phase des "Konflikt-Managements". Um einen Konflikt zu beenden oder zu lösen, muss eine Position gefunden werden, welche die unterschwelligen Ursachen des Konflikts berücksichtigt. Im israelisch-palästinensischen Konflikt finden sich dort Begriffe wie Gerechtigkeit und Fairness. Konflikt-Management bedeutet hingegen die Kontrolle, nicht aber Lösung eines lang andauernden oder tief verwurzelten Konflikts. Das Ziel ist für gewöhnlich eine Verringerung des Ausmaßes der von den Konfliktparteien angewandten Gewalt. Dieser Ansatz wird gewählt, wenn eine vollständige Lösung unmöglich erscheint, aber eindeutiger Handlungsbedarf besteht. 1 Die Gründe für diesen Wechsel von der Konflikt-Lösung zum Konflikt-Management liegen auch ohne weitere Analyse auf der Hand: eine Kombination aus Misstrauen, der Implementierung risikoreicher Vereinbarungen, schlechten Vermittlungsbemühungen und dem Fehlen einer politischen Führung, welche die Menschen zu einem Ende des Konflikts zu führen vermag.
Zweitens benutzt dieser Ansatz den Begriff "System", um die Szenerie des israelisch-palästinensischen Konflikts zu beschreiben, weil dieser Konflikt aus einer breiteren, systemischen Perspektive betrachtet werden muss, als das gewöhnlich der Fall ist. Dieses "System" ist kein "Problem" und auch keine "Herausforderung", auf die es eine eindeutige "Antwort" oder eine einzige "Lösung" geben kann, die erreicht werden könnte, indem man eine bestimmte gemeinsame Formel findet. Es ist vielmehr eine ethnisch-demographische Wirklichkeit, die - basierend auf dem Grundkonzept zweier souveräner Nationalstaaten - bis zu einer gewissen Stufe entwickelt werden muss, um die Differenzen gewaltlos zu regeln. Diese Stufe könnte als die allgemein anerkannte Definition von "Frieden" verstanden werden. Bei einer "systemischen Sichtweise des endgültigen Status" oder der "systemischen Sicht des gegenwärtigen Konflikt-Managements" geht es in erster Linie darum, die verschiedenen Verknüpfungen zwischen den Elementen der aktuellen Realität (ethnische, demographische, Religion, Sicherheit, Wirtschaft, Infrastruktur, Umwelt usw.) zu identifizieren, zu analysieren und aufmerksam zu verfolgen.
Ich gehe diesen systemischen Weg noch einen Schritt weiter und möchte hinzufügen, dass die Komplexität des israelisch-palästinensischen Systems aus einer Dreierkonstellation von Elementen hervorgeht, die es von allen anderen Konflikten unterscheiden. Zuerst und vor allem ist der national-ethnische Faktor zu nennen. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist ein seit über 100 Jahren andauernder Konflikt zwischen zwei nationalen Bewegungen, die beide versuchen, ihre nationale Identität in einem souveränen Staat zu manifestieren und zu bewahren. Als zweites sind die religiösen Faktoren zu nennen. Unter dem ethnisch-nationalen Streit schwelt ein religiöser, der insbesondere nach dem 11. September 2001 und den Feldzügen in Afghanistan und Irak international stärker wahrgenommen wird. Das dritte Element ist die enorme wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen zwei Völkern. Israel ist ein entwickeltes Land mit einem Bruttoinlandsprodukt auf westlichem Niveau, während die Palästinenser unter Dritte-Welt-Bedingungen, einer hohen Armutsrate und Arbeitslosigkeit von über 60 Prozent leben. Diesen drei Faktoren der Dreierkonstellation sollten wir noch die soziale und politische Struktur beider Gesellschaften hinzufügen (die Faktoren politischer, wirtschaftlicher und sozialer Macht, die palästinensische und jüdische Diaspora eingeschlossen) und die externen Bezüge, die auf das System einwirken, wie etwa fundamentalistische Einflüsse.
Diese beiden Denkansätze, die Unterscheidung zwischen Konflikt-Management und Konflikt-Lösung einerseits und die systemische Herangehensweise andererseits, sind die Eckpfeiler dieses Aufsatzes. Die Betrachtung der Wirklichkeit aus diesem Blickwinkel zeigt, dass, egal ob der von Ministerpräsident Ariel Sharon initiierte einseitige Truppenrückzugsplan in vollem Umfang implementiert wird oder nicht, allein seine Einführung bereits die Dynamik des israelisch-palästinensischen Systems verändert hat. Mehr noch, die von Israel einseitig unternommenen Schritte sollten weder als Versuch der Konflikt-Lösung noch als Schachzug für ein besseres Konflikt-Management verstanden werden. Die einseitigen Schritte zielen darauf ab, das Szenario, die Lage des israelisch-palästinensischen Systems zu verändern.
Eine Analyse des israelisch-palästinensischen Systems erfordert die eindeutige Identifikation der zentralen Faktoren, die sich auf dieses System und die Gestaltung künftiger Entwicklungen im Konflikt auswirken. Der erste Faktor liegt darin, dass dieses System stärker auf politische und militärische Entwicklungen in der Region reagiert als auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Dies ist ein wichtiges Merkmal des Systems. Anders als bei Prozessen wie etwa in Nordirland und Südafrika, wo die politische Führung, die den Wandel im Konfliktverlauf herbeiführte, von der allgemeinen Öffentlichkeit und der zivilen Gesellschaft mobilisiert und unterstützt wurde ("bottom-up", also von der Basis ausgehend), ist das israelisch-palästinensische System in erster Linie ein "top-down"-System, also von der Führung nach unten wirkend. Im Unterschied zu einer öffentlichen Bewegung sind in einem solchen "top-down"-Konflikt Entscheidungen der politischen Führung die treibende Kraft hinter den Entscheidungen, die mit Rücksicht auf das jeweilige politische Programm getroffen werden. Dieses Schlüsselmerkmal ist der wichtigste, aber nicht der einzige Grund für den Fehlschlag öffentlicher "Friedens-Initiativen" wie der von Moshe Aylon und Sari Nusseibeh und des "Genfer Abkommens". 2
Die Ereignisse, die sich aus Ministerpräsident Sharons Erklärung eines einseitigen Truppenrückzugs aus dem Gaza-Streifen, der gezielten Tötung des Hamas-Führers, Scheich Ahmed Yassin, sowie seines Nachfolgers Abdel Asis Rantisi und der Erwartung einer noch gewalttätigeren Welle des Terrors ergeben, machen jegliches Gespräch über alternative Friedensinitiativen der letzten drei Jahre, die auf eine Konflikt-Lösung zielen, praktisch überflüssig. An dem Punkt, an dem wir heute stehen, folgt das israelisch-palästinensische System also nicht einer öffentlichen Bewegung, sondern organisiert sich in Reaktion auf die politische Entscheidung der israelischen Regierung, einseitig die Truppen aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen und damit eine Phase des politischen Patts zu beenden.
Der zweite Faktor, der das System bewegt, ist die von den USA angeführte Kampagne der "Greater Middle East Initiative", die darauf zielt, demokratische Institutionen in der arabischen Welt zu stärken. Diese Initiative und die ergänzenden politischen Maßnahmen wie der Arab Human Development Report der Vereinten Nationen (AHDR) 3 richten die internationale Aufmerksamkeit auf gute Regierungsführung (good governance) und Rechtsstaatlichkeit in diesem Teil der Welt, mit direktem Einfluss auf die beginnende palästinensische Staatlichkeit. Diese Initiative ist der umfassendste Versuch, eine der wichtigsten Ursachen für die bisherigen Fehlschläge bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts anzugehen: den Unterschied in der politischen Kultur auf der israelischen und der palästinensischen Seite.
Das Ausmaß, in dem diese globalen Bemühungen vorangetrieben werden können, wird das israelisch-palästinensische System direkt beeinflussen, denn diese Idee ist Teil der "Road Map" ("Fahrplan" für eine dauerhafte Zwei-Staaten-Lösung vom April 2003), die eine bessere Regierungsführung, Transparenz und mehr Rechtsstaatlichkeit von der palästinensischen Verwaltung verlangt. Der Rücktritt von Mahmud Abbas (Abu Mazen) vom Amt des palästinensischen Ministerpräsidenten bezeichnete einen Rückschritt im Reformprozess der palästinensischen Regierungsführung, der in der "Road Map" vereinbart wurde.
Der dritte globale Trend, der das System beeinflusst, sind der Terrorismus und der Kampf gegen diesen. Terrorismus als globales Phänomen ist in weltweiten Netzwerken organisiert, die Informationen, Know-how, Operationsanweisungen, finanzielle Mittel und politisch-religiöse Hetze austauschen. Der Kampf gegen den Terrorismus folgt dieser Struktur, indem er Anti-Terror-Netzwerke aufbaut und den Terror-Austausch aufspürt. Der palästinensische Terrorismus - von dem viele in der Welt die Vorstellung hegen, er werde für ein legitimes politisches Ziel eingesetzt ("freies Palästina") - "genießt" noch immer ein gewisses Maß an "Legitimität", und das unterscheidet ihn vom "Bin-Ladenismus". Diese Unterscheidung wird jedoch nicht fortbestehen, und die Fortsetzung und mögliche Eskalation der terroristischen Aktivitäten der Palästinenser werden sich auf das israelisch-palästinensische System auswirken. Einige der Maßnahmen, welche die internationale Gemeinschaft unter Führung der USA ergriffen hat, beinhalten Aktionen, welche die Entstehung von "Treibhäusern" des internationalen Terrorismus verhindern sollen. Die gegenwärtige Anarchie in den palästinensischen Gebieten könnte als ein solches Treibhaus dienen. Daher wird die internationale Gemeinschaft, geführt von den USA, gezwungen sein, im Zusammenhang mit solchen präventiven Maßnahmen eine aktive Rolle im israelisch-palästinensischen Prozess zu spielen.
Der vierte Faktor hat den stärksten Einfluss auf das israelisch-palästinensische System und betrifft die sich in der Region entfaltende Wirklichkeit und die Art und Weise, wie sie von beiden Gesellschaften wahrgenommen wird. Seit dem Ende des Prozesses zur Konflikt-Lösung, also mit dem Zusammenbruch der Camp-David-Verhandlungen im Juli 2000 und dem Ausbruch der Intifada am 29. September 2000, kursieren zwei einander widersprechende Darstellungen. Die Israelis entwickelten die Geschichte von der "palästinensischen Ablehnung". Danach hat Israel den Palästinensern in Camp David ein großzügiges Angebot gemacht, insbesondere was Gebiete und Jerusalem betrifft, aber Yassir Arafat und die palästinensische Seite lehnten dieses Offerte ab und waren nicht bereit, einen Kompromiss zu schließen. Mehr noch, die Palästinenser antworteten mit Gewalt.
Politiker des rechten Lagers in Israel benutzen diese Darstellung nun, um ihre schon immer vorgetragenen Einwände gegen den Oslo-Prozess zu untermauern. Für viele in der israelischen Öffentlichkeit wurde Arafat - die Personifizierung des palästinensischen Volkes - zum Dämon, mit dem Frieden niemals erreicht werden kann. Die politische Folge der Geschichte von der "palästinensischen Ablehnung" war der Erdrutsch-Sieg von Ariel Sharon bei den Wahlen 2001 und der Zusammenbruch des israelischen "Friedenslagers".
Ein paralleler Prozess fand auf palästinensischer Seite statt. Nach dem Fehlschlag in Camp David und dem darauf folgenden Wahlsieg von Ministerpräsident Sharon entwickelten die Palästinenser die Geschichte von "Israels Scheinangebot". Gestützt auf Karten und Zeugenaussagen von Beteiligten argumentiert diese Darstellung, "Israels Scheinangebot" sei ein geschickter Schachzug von Barak gewesen, um den Konflikt zu verlängern, Arafats Position zu untergraben und Israel in die Lage zu versetzen, seine Siedlungsaktivitäten im Westjordanland fortzusetzen. Baraks frühere Einwände gegen den Oslo-Prozess, in seiner Eigenschaft als IDF-Stabschef und später als Mitglied von Yitzhak Rabins Regierung, stärken diese palästinensische Darstellung. Der immer heftigere Kreislauf der Gewalt, die Anarchie innerhalb der palästinensischen Autonomiegebiete und der allgemeine Rechtsruck in der israelischen Politik sind die Folge dieser beiden nationalen Darstellungen.
Diese "Geschichten", verstärkt durch täglichen Terror und Gewalt, haben die derzeitige Wahrnehmung der Öffentlichkeit geprägt und dienen als Bühnenbild für die aktuellen politischen Entscheidungen. Israels Entschlossenheit, einseitige Schritte zu unternehmen, erst im Gaza-Streifen und nach Fertigstellung des Sicherheitszaunes auch im Westjordanland, hat - basierend auf dieser Wahrnehmung - in der öffentlichen Meinung in Israel erhebliche Unterstützung gewonnen, 4 und das aus zwei Gründen.
Erstens deutet der konstante demographische Trend darauf hin, dass die Juden am Ende des Jahrzehnts zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung stellen werden. Das ist eine Aussicht, welche die jüdische und demokratische Natur des Staates Israel stark bedroht. Israel und der jüdische Staat, geschaffen auf der Basis demokratischer Werte, mit dem Ziel, das Recht auf Selbstbestimmung des jüdischen Volkes zu erfüllen und sicherzustellen, kann es sich nicht leisten, an einen Punkt zu gelangen, an dem er sich entscheiden muss, ob der Staat es einer nichtjüdischen Mehrheit erlaubt, das Wesen des Staates und seiner nationalen Institutionen zu bestimmen. Der zweite Grund, warum der Plan einseitiger Aktionen die Unterstützung der israelischen Öffentlichkeit erhielt, war die Tatsache, dass die palästinensische Gesellschaft - in den Augen der Israelis - nicht in der Lage war, eine verlässliche Führung hervorzubringen, die eine auf den Prinzipien der UN-Sicherheitsratsresolution 242 basierende Vereinbarung über den Endstatus aushandeln, vereinbaren und umsetzen kann.
An diesem Punkt muss ich auf das "Genfer Abkommen" kurz eingehen. Die politische Motivation hinter diesem "Abkommen" war, der israelischen und palästinensischen Öffentlichkeit zu beweisen, dass es an der Zeit sei, die jeweiligen nationalen "Geschichten" beiseite zu legen und anzuerkennen, dass es "auf beiden Seiten einen Partner" gebe. 5 Eine Änderung der Geschichten konnte im israelisch-palästinensischen Konflikt nicht durch oppositionelle Kräfte erfolgen, die sehr wenig Unterstützung genießen. Aus israelischer Sicht bietet das "Genfer Abkommen" zwar eine "Paket-Lösung" für den israelisch-palästinensischen Konflikt, beschädigt aber sowohl nationale Interessen als auch nationale Symbole: Die Souveränität über den Tempelberg ginge an die Palästinenser, und es ist kein expliziter Verzicht der Palästinenser auf das Rückkehrrecht für Flüchtlinge enthalten; damit bleibt die Tür für künftige Ansprüche der Flüchtlinge offen, die Einfluss auf die Umsetzung der Vereinbarung hätten. Ebenso fehlt ein Bezug auf die in Israel lebende palästinensische Minderheit. Über diese substantiellen Elemente hinaus sind die Autoren des "Genfer Abkommens" noch immer in einer Welt gefangen, die von "der Vorstellung von Vertrauen" zwischen den Konfliktparteien ausgeht, in Bezug auf die Vereinbarungen selbst wie auch in Bezug auf die Mechanismen seiner Implementierung. 6 Das "Genfer Abkommen" kann jedoch - bei der Rückkehr vom Konflikt-Management zur Konflikt-Lösung - als möglicher Entwurf angesehen werden, betrachtet man eine Reihe anderer "Friedens-Vorschläge", die in den letzten drei Jahren zwischen Israelis und Palästinensern ausgetauscht wurden.
Aus palästinensischer Perspektive - auch wenn ein Israeli gewisse Schwierigkeiten haben mag, diese zu erfassen - sehen wir das Paradoxon, dass die Terrorkampagne zwar keine Ergebnisse gezeitigt hat, gleichzeitig aber die Unterstützung für die Hamas als politische Alternative zu den "Nationalisten" wächst. Die andauernde Besetzung und die verschlechterten Lebensbedingungen, die Spannungen zwischen der "alten Garde" und der "jungen Garde" 7 und die andauernde politische Anarchie schaffen eine unerträgliche, explosive soziale Mischung, die auf eine von der politischen Führung bestimmte Wirklichkeit reagiert. Diese explosive Mischung wird die israelisch-palästinensische Situation in eine der folgenden Richtungen lenken.
Der Versuch, künftige Entwicklungen im israelisch-palästinensischen System zu analysieren, eröffnet drei Optionen. Ohne in die übliche Prophezeiungsfalle zu tappen und künftige Realitäten vorherzusagen, möchte ich behaupten, dass alle drei Richtungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreffen könnten, wobei die erste, die unheilvolle, einige strukturelle Elemente aufweist, die es eher unwahrscheinlich machen, dass sie in so reiner Form auftritt.
Diese Richtung ergibt sich aus regionalen und internationalen Entwicklungen und beinhaltet schwere Gräueltaten zwischen Israel, den Palästinensern und einigen anderen arabischen Staaten. Eine von der Hamas-Führung initiierte Terror-Kampagne in Vergeltung für die gezielte Tötung von Yassin und seines Nachfolgers Rantisi, gefolgt von militärischen Aktionen der Hisbollah an der nördlichen Grenze Israels, fordert Hunderte israelischer Opfer und führt zu einer militärischen Eskalation zwischen Israel, Libanon, Syrien und den Palästinensern. Palästinenser versuchen nach Jordanien und Ägypten zu fliehen, was zu politischen Unruhen in Kairo und Amman führt und andere Terror-Gruppen zu Angriffen auf Ziele in prowestlichen arabischen Ländern und den USA ermutigt. Eine solche Entwicklung könnte innerhalb weniger Wochen eintreten und träfe auf eine unvorbereitete internationale Gemeinschaft, die - politisch wie militärisch - schlecht für ein Eingreifen gerüstet wäre. Auf Grund der engen israelisch-amerikanischen Koordination, des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2004 und des nationalen amerikanischen Interesses an regionaler Stabilität ist es jedoch unwahrscheinlich, dass diese Situation sich auf ihren tiefsten und gefährlichsten Punkt zuspitzt.
Wenn es im Ergebnis zu einem Wechsel in der politischen Führung einer der beteiligten Parteien käme oder zu einer entscheidenden Veränderung in der geostrategischen Position, so wäre dies das Zeichen für einen Wandel im gegenwärtigen israelisch-palästinensischen System. Wenn beispielsweise eines dieser Szenarios das Ende der derzeitigen palästinensischen Führung herbeiführen und die Infrastruktur der Hamas und Hisbollah in Libanon und Syrien auslöschen würde, dann könnte dies den Weg für die Wiederaufnahme einer "Konflikt-Lösung" im Nahen Osten ebnen, wenn nicht gar notwendig machen: die Schaffung des Staates Palästina und die Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen Israel, Syrien und Libanon. Jedes andere Szenario in dieser Richtung - in dem weder die Führung noch die geostrategische Position sich verändern - würde das israelisch-palästinensische System in einen eher unbeständigen Prozess des "Konflikt-Managements" führen. Eine starke internationale Präsenz wäre erforderlich, um die weitere Eskalation zu verhindern.
Will man verstehen, wie die Entwicklung von der gegenwärtigen Realität wieder auf den Weg der "Konflikt-Lösung" zurückkehren kann, muss man den Begriff der "Reife" einführen. Viele Gelehrte kennen die Bedeutung des Timings, wenn es darum geht, einen Verhandlungsprozess zum Erfolg zu führen. Der Gedanke eines wechselseitig schädlichen Patts (mutually hurting stalemate - MHS) ist der Schlüssel zum Verständnis der Erfolgsaussichten bei der Lösung internationaler Konflikte. Nach William Zartman und Saadia Touval 8 beginnt das MHS, "wenn eine Seite feststellt, dass sie ihre Ziele nicht erreichen, das Problem nicht lösen oder den Konflikt nicht allein gewinnen kann. Es ist vollständig, wenn die andere Seite zu der gleichen Erkenntnis gelangt". Dieses Stadium schafft bei den Parteien eine "Verhandlungsreife". Reife ist bei Zartman wie folgt definiert: "Ein reifer Moment ist ein wechselseitig schädliches Patt, das sich möglichst durch eine kürzliche oder bevorstehende Katastrophe (Peitsche), einen Ausweg (Zuckerbrot) und den für alle Parteien richtigen Wortführer auszeichnet."
Das israelisch-palästinensische System steht heute offensichtlich vor einem "schädlichen" Patt, das in den Jahren 1999 - 2000 nicht bestand, als es unter dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak eine Gelegenheit (einen "Ausweg") gab. Wenn nun eine unerwartete Gelegenheit auftauchte, ob als Folge eines einzigen externen Ereignisses oder infolge einer sich entwickelnden Realität, müssten beide Parteien diese Gelegenheit - mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft - wahrnehmen und die Verhandlungen wieder aufnehmen, um das System in Richtung einer Beendigung des Konflikts zu stabilisieren.
Das Ziel der "Road Map" war es, schrittweise zu dieser sich entwickelnden Realität zu gelangen, welche die Gelegenheit und "Reife" zur Lösung des Konflikts böte. Die Wiederholung der strukturellen Mängel des Osloer Prozesses, Gradualismus, Bedingtheit, formaljuristische Zweideutigkeit hinsichtlich grundlegender Komponenten und das Fehlen objektiver Kriterien zur Einschätzung der Performance haben verhindert, dass die "Road Map" zum Tragen kam oder auch nur ihre erste Stufe umgesetzt worden wäre. Dieser Fehlschlag ermutigte Ministerpräsident Sharon, einen einseitigen Abzug vorzuschlagen - eine Idee, die er noch abgelehnt hatte, als sie ihm im Sommer 2002 9 vorgestellt wurde. Damals stand dies auf dem Programm des Vorsitzenden der Arbeiterpartei, Amram Mitzna, der in den Wahlen zur Knesset 2003 gegen Ministerpräsident Sharon verlor.
Trotz der geringen Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung - "zurück zur Konflikt-Lösung" - unter den derzeitigen politischen Führungen eintritt, könnten der Abschluss des einseitigen Abzugs aus dem Gaza-Streifen und die Schaffung einer neu strukturierten palästinensischen Regierung, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, eine Gelegenheit bieten, die Verhandlungen über einen endgültigen Status wieder aufzunehmen. Dieser Weg würde sich von der Annahme des "Genfer Abkommens" unterscheiden, das einen fertigen Plan vorstellen wollte, ohne den notwendigen politischen Weg zu seiner Implementierung aufzuzeigen.
Eine Entwicklung in diese Richtung bedeutet, dass das israelisch-palästinensische System sich weiter im Kreislauf der Gewalt bewegt und auf ein äußeres Ereignis wartet, das die Waage in die ein oder andere Richtung senkt. Die nächste Stufe im Konflikt-Management bedeutet alles wie gehabt, nur auf höherem Niveau: mehr Selbstmordattentäter, gezielte Tötungen und nutzlose politische Bemühungen, die Road Map wieder zu beleben oder zu untersuchen, wie der einseitige Truppenabzug in die Disengagement-Strategie der USA im Nahen Osten passt.
Es sieht jedoch so aus, als hätte die Entschlossenheit Ministerpräsident Sharons, sich aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen, das System ein wenig erschüttert. Die Aussicht auf eine vage politische Zukunft hat bereits die Szene verändert: Die Ägypter und die Briten haben der Palästinensischen Autonomiebehörde bereits einen Mechanismus angeboten, mit dem sie nach dem vollständigen Abzug der Israelis die Kontrolle über den Gaza-Streifen wiedergewinnen kann.
Mit Blick auf die derzeit das israelisch-palästinensische System beeinflussenden Faktoren ist die Fortsetzung des Konflikt-Managements wahrscheinlicher als die anderen beiden Optionen. Die Tötung von Scheich Ahmed Yassin und Abdel Asis Rantisi sowie die ausgeweiteten israelisch-amerikanischen Verhandlungen über den einseitigen Rückzug aus dem Gaza-Streifen bieten jedoch auch stabilisierende Elemente: Sie stehen für ein größeres Engagement der internationalen Gemeinschaft und für eine Veränderung in der öffentlichen Diskussion, hinsichtlich einiger grundlegender, den Konflikt beherrschender Paradigmen.
Sowohl Israel als auch die Palästinensische Autonomiebehörde haben ein Interesse am Erfolg des Experiments im Gaza-Streifen. Israel ist daran interessiert, dass sich aus dem Rückzug eine stabile Realität entwickelt, so dass der Gaza-Streifen nicht mehr als Treibhaus für den Terror fungiert. Die Zersplitterung der politischen Struktur und die Nachfolgekämpfe in der palästinensischen Gesellschaft machen es unmöglich, ein einheitliches palästinensisches Interesse zu identifizieren. Man kann jedoch sagen, dass - hauptsächlich unter den "Nationalisten" und den Resten der Palästinensischen Autonomiebehörde - ein echtes Interesse daran besteht, die Kontrolle über den Gaza-Streifen wiederherzustellen und in einem Aussöhnungsprozess mit den Islamisten der Nach-Yassin-Ära dort einen stabilen Ministaat zu schaffen, der als Pilotprojekt für Selbstbestimmung undUnabhängigkeit im Westjordanland dienen könnte. In der gegenwärtigen Situation gegenseitigen Misstrauens, gewalttätiger Auseinandersetzung und eines gewissen politischen Vakuums im Gaza-Streifen ist jedoch klar, dass eine starke stabilisierende Präsenz erforderlich wäre, um nach dem einseitigen Abzug der Israelis die Verschlechterung der Situation in Richtung eines "Kosovo"-Szenarios zu verhindern.
Ein internationales Engagement ist außerdem wichtig, falls die Palästinenser sich ihrerseits entscheiden, einseitige Schritte zu unternehmen, wie etwa die Erklärung der Unabhängigkeit - wiederum in der Absicht, das System zu einer Lösung zu führen. Eine solche Unabhängigkeitserklärung, wie sie palästinensische und europäische Politiker Mitte 1999 diskutiert haben, würde ebenfalls starke politische wie praktische Unterstützung seitens der USA und Europas erfordern.
Ich glaube, dass das gegenwärtige Patt im israelisch-palästinensischen System von einer aktiveren Rolle der internationalen Gemeinschaft profitieren würde, egal in welche Richtung es sich entwickelt. Sollte eine unheilvolle Entwicklung eintreten und die Situation in Richtung eines hochgradigen Konflikts eskalieren, wäre die internationale Gemeinschaft aufgerufen, zu vermitteln und einen Krieg zu verhindern. Eine lineare Entwicklung aus der gegenwärtigen Situation heraus, sobald Israel entschlossen ist, den Rückzug aus dem Gaza-Streifen fortzusetzen, deutet ebenfalls darauf hin, dass alle Parteien die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft anfordern würden, um eine militärische und humanitäre Krise in Gaza zu verhindern. Europa spielt dabei eine wichtige Rolle und hat die einmalige Gelegenheit, Führungsstärke und Verantwortung zu zeigen.
Einige Begriffe, die sich durch das israelisch-palästinensische System ziehen, bieten wichtige Perspektiven zur Beobachtung des Systems und helfen, es zu analysieren oder in eine friedliche Richtung zu steuern. Im Folgenden geht es kurz um zwei der wichtigsten dieser Begriffe: Macht und Vertrauen.
Welche Seite im israelisch-palästinensischen System ist schwächer und welche stärker? Wahrscheinlich würde eine überwältigende Mehrheit antworten, Israel sei in der stärkeren und die Palästinenser in der schwächeren Position. Diese allgemeine Wahrnehmung beruht auf einer Definition von Macht, die sich aus politischer Stärke, wirtschaftlicher Leistung und militärischen Fähigkeiten ergibt. Es ist das gleiche Konzept, das die USA zur einzigen Supermacht in der Zeit nach dem Kalten Krieg macht. Die Vorstellung von Macht beinhaltet jedoch auch immer eine Wahrnehmung von asymmetrischer Machtverteilung. Eine tief greifende Untersuchung des israelisch-palästinensischen Systems könnte zu einer anderen Schlussfolgerung gelangen: Es ist möglich, die Quellen der Macht auf palästinensischer Seite zu sehen - Quellen, die sich aus dem System selbst ergeben.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das Prinzip "Land für Frieden" ausgegeben. Im Tausch für das im Krieg von 1967 besetzte Land sollte die arabische Seite Israel einen langen und dauerhaften Frieden garantieren. Diese Formel wurde in den letzten Jahren jedoch stark ausgehöhlt. Hauptsächlich seit dem Gipfel von Camp David im Jahr 2000 wurde sie durch eine Formel ersetzt, die man besser als "Flüchtlinge für ein Ende des Konflikts" bezeichnen könnte. Die Meilensteine des Friedensprozesses wie der Vertrag von Camp David 1978, die Grundsatzerklärung von 1993, das Interimsabkommen von 1995 und die offiziellen Friedensangebote, die zwischen den Parteien ausgetauscht wurden (darunter auch inoffizielle Entwürfe wie das "Genfer Abkommen"), zeigen, dass der grundsätzliche "Handel" wie folgt aussieht:
Israel zieht sich auf die Grenzen von vor 1967 zurück und ermöglicht so die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates mit dem arabischen Teil Jerusalems (Al-Quds) als Hauptstadt. Außerdem sorgt es für eine gerechte 10 und umsetzbare Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge. In Anerkennung dessen erklärt die palästinensische Seite, dass diese Regelung das Ende des Konflikts bedeutet. Die Umsetzung der Regelung beendet dann alle kommunalen und individuellen Ansprüche, die aus vergangenen Gewalttaten herrühren. 11
Die Literatur über die Verhandlungen deutet darauf hin, dass es in Verhandlungen mehrere Machtquellen gibt. Die am weitesten verbreitete ist in der Tat die wahrgenommene politische, militärische und wirtschaftliche Macht, die eine Partei hat. Es gibt jedoch noch einige andere, wie die Macht dessen, der im Besitz der besseren Alternative ist, die Macht der Zeit, die Macht, ein Veto gegen jede mögliche Lösung einzusetzen, oder die Unterstützung durch externe Akteure. 12
Hat eine Seite eine bessere Alternative zur Befriedigung der eigenen Interessen als den sich herauskristallisierenden Deal, über den sie gerade verhandelt, dann verfügt sie am Verhandlungstisch über die größere Macht. Sie könnte entweder die Verhandlungen beenden, sich ihrer besseren Alternative zuwenden und die Interessen der anderen Seite unberücksichtigt lassen, oder ihre bessere Verhandlungsposition dafür einsetzen, das Ergebnis im eigenen Interesse aufzubessern. 13
Im israelisch-palästinensischen System verbindet sich die "bessere Alternative" mit der Zeit als Quelle der Macht. Die Zeit wirkt sich dann aus, wenn eine der beiden Seiten einem internen oder externen Druck ausgesetzt ist, eine Vereinbarung zu erzielen, während die andere Seite diesen Druck nicht hat. Die dritte Quelle der Macht ist das Veto. Wenn eine Seite eine Lösung nicht erzwingen kann und die Zustimmung der anderen benötigt, beziehungsweise ohne Zugeständnisse keine Vereinbarung erzielen kann, dann kann die schwächere Seite diese Tatsache als Hebel nutzen und die Asymmetrie der Machtverteilung am Verhandlungstisch verringern.
Angewandt auf das israelisch-palästinensische System, zeigen diese Denkansätze, dass Israel so bald wie möglich auf die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates drängen muss. Dies liegt in seinem Interesse zur Wahrung der jüdischen und demokratischen Natur des Staates angesichts des demographischen Trends, der eine arabische Mehrheit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer bis Ende des Jahrzehnts vorhersagt. In Verhandlungsterminologie ausgedrückt heißt dies: Für Israel gibt es eine schlechtere Alternative zur gegenwärtigen Realität. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es für Israel, seine jüdische und demokratische Natur zu wahren, ohne sich von Millionen von Palästinensern unter seiner direkten Kontrolle zu befreien. Mit anderen Worten, die Palästinenser müssten nur zehn bis 15 Jahre warten, dann hätten sie die überwältigende Mehrheit im Land und wären international legitimiert, die jüdische Natur des Staates zu eliminieren.
Dies ist keine Phantasie. In einer der seltenen klaren politischen Äußerungen erklären Hamas-Politiker: "Wir könnten einen palästinensischen Staat im Westjordanland und Gaza akzeptieren, aber das ist natürlich nicht unser Ziel. Wir könnten ihn zeitweilig akzeptieren, und wenn wir ihn heute nicht beanspruchen können, dann liegt das an den internationalen Komplikationen und der unfairen Machtverteilung, aber wir wissen nicht, wie lange diese zeitweilige Lösung halten würde." 14 Aus diesem Blickwinkel ist leicht zu erkennen, warum Israel als jüdischer und demokratischer Staat auf eine eindeutige Verpflichtung der palästinensischen Seite auf ein "Ende des Konflikts" und die "Beendigung der Ansprüche" dringen sollte. 15
Eine der irreführendsten und am häufigsten missbrauchten Vorstellungen im israelisch-palästinensischen System ist die Vorstellung von Vertrauen. Vertrauen ist das zu allen Zeiten am meisten angestrebte Konzept. Seit der Unterzeichnung der Grundsatzerklärung von 1993 (Oslo I) haben die Öffentlichkeit und die internationale Gemeinschaft sich auf eine nutzlose Suche nach Vertrauen im feindseligen Umfeld der beiden Völker begeben und das ganze System zur Geisel dieses Konzepts gemacht. Es wurde viel geschrieben über den völligen Zusammenbruch des Vertrauens zwischen Israel und den Palästinensern auf allen Ebenen. Das jüngst unterzeichnete "Genfer Abkommen" ist der Beweis für die entscheidende Rolle dieses Konzepts von Vertrauen.
Die Grundlagen des "Genfer Abkommens" wurzeln noch im Konzept von Vertrauen, das zwischen den Parteien wachsen soll, unmittelbar nachdem sie eine Regelung dieser Art unterzeichnet haben. In der Wirklichkeit, die sich in den letzten drei Jahren so tief in das Bewusstsein der Parteien eingegraben hat, sind die meisten Artikel und Regelungen des Genfer Dokuments nicht einmal eine "Vision für die Zukunft".
Die Absicht der Autoren dieser Initiative war es, die öffentliche Meinung in Israel davon zu überzeugen, dass man eine Einigung mit "der anderen Seite" erzielen könne. Aber die vorgeschlagenen Regelungen fußen auf einer Realität, die es nicht gibt. Und es ist zweifelhaft, ob es sie in Zukunft geben wird. Selbst wenn die gesamte israelische Öffentlichkeit aufstünde und ihre Regierung "um des Friedens willen" zu "schmerzhaften Zugeständnissen" zwänge - in der wirklichen Welt, in der es bestimmte Akteure mit bösen Absichten und "der Fähigkeit zur Planung von Unheil" gibt, wäre es notwendig, Vorkehrungen zu treffen, anstatt auf Vertrauen und guten Willen zu bauen. Trotz der Tatsache, dass der Osloer Prozess in einer Phase, die Vertrauen bilden sollte, eine Dynamik des Misstrauens hervorbrachte, hängt das "Genfer Abkommen" nach dem Vorbild des Osloer Vertrags noch immer von der Bereitschaft der Parteien ab.
Der Zusammenbruch des Vertrauens zwischen den Parteien erfordert aber eine Veränderung dieses Paradigmas, von Regelungen, die auf Vertrauen beruhen, hin zu Regelungen, die auf Interessen basieren, mit anderen Worten: die Schaffung eines Systems von Arrangements, die beiden Seiten einen Anreiz bieten, an der Stabilisierung der vereinbarten Arrangements zu arbeiten, anstatt sie zu unterwandern. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen ein ausgewogenes System von Interessen geschaffen wurde, wie bei der Entwicklung der Handelszone Elkana-Bidiya (1996 - 1997), die palästinensische Wirtschaftsinteressen bei einer gleichzeitigen Ausweitung präventiver Sicherheitsnachrichtendienste in der Region C mit den Interessen israelischer Konsumenten verband.
Mit diesen Ausführungen habe ich versucht, eine komplexere Perspektive des israelisch-palästinensischen Konflikts aufzuzeigen, wie dies der Lage angemessener erscheint. Es ist ein lösbarer Konflikt, und er könnte in unserer Zeit gelöst werden.
1 'Vgl. hierzu
(http://www.beyondintractability.org/m/meaning_resolution.jsp).'
2 'Für eine umfassende Bewertung
der aktuellen Genfer Initiative und ihren Vergleich mit
alternativen Friedensinitiativen vgl. Moty Cristal, The Geneva
Accord - A step forward in the wrong direction?, in: Strategic
Assessment, 6 (2004) 4, The Jaffee Center for Strategic Studies,
Tel Aviv University
(http://www.tau.ac.il/jcss/sa/v6n4p3Cri.html).'
3 'Vgl. Arabischer Bericht über die
menschliche Entwicklung
(www.miftah.org/Doc/Reports/Englishcomplete2003.pdf).'
4 '56 Prozent unterstützen den
Abzugsplan, während 80 Prozent den Sicherheitszaun
unterstützen, in: Haaretz vom 15. 3. 2004.'
5 'Vgl. (www.heskem.com).'
6 'Vgl. M. Cristal (Anm. 2).'
7 'Khalil Shikaki, Palestinan Divided,
in: Foreign Affairs, (January/February 2002).'
8 'William I. Zartman/Saadia Touval,
International Mediation in the Post-Cold War Era, in: Managing
Global Chaos, hrsg. von Chester Crocker/Fen Osler Hampson,
Washington, D. C. 1996.'
9 'Vgl.
(www.vanleer.org.il/hebrew/7publications/policy_
paper_english.pdf).'
10 'In diesem Aufsatz geht es nicht um
die Analyse des Konzepts von `Gerechtigkeit` im
israelisch-palästinensischen System, wie Vertrauen und Macht
spielt es jedoch eine Schlüsselrolle bei der Positionierung
des Systems in einer friedlichen und stabilen Wirklichkeit.
Für Denkmodelle zu diesem Thema vgl. Cecilia Albin, Justice
and Fairness in International Negotiations, Cambridge 2001.'
11 'Dies ist eine der Stärken, die
der Autor im Genfer Abkommen sieht, da es zur internationalen
Klärung hinsichtlich des `Wesens der Vereinbarung` zwischen
Israel und den Palästinensern bei der endgültigen
Vereinbarung beiträgt, wobei die Formel `Land für
Frieden` durch die Bedingung ersetzt wurde, `zur Beendigung des
Konflikts das Flüchtlingsproblem zu beenden`.'
12 'Vgl. William I. Zartman/Jeffrey Z.
Rubin (Hrsg.), Power and Negotiation, Ann Arbor 2000.'
13 'Vgl. Roger Fisher/Uri William/Bruce
Patton, Getting To Yes, New York, N.Y. 1991.'
14 'Too late for two states, in: The
Guardian vom 24.1. 2004.'
15 'In dieser Hinsicht kann das `Genfer
Abkommen` Israel diese entscheidende Verpflichtung nicht
garantieren, vgl. M. Cristal (Anm. 2).'