Die Diskussion über Nutzen und Risiken der Bio- und Gentechnik beherrschte die Jahre von 1998 bis 2001. Die "grüne Gentechnik" kämpfte auch 1997 gegen wachsende Widerstände. Erst als sich im Jahr 2001 die Medien mit der "roten" Gentechnik befassten, sank der Anteil kritischer Vorbehalte und stieg die Akzeptanz gegenüber gentechnisch herstellten Medikamenten in der Bevölkerung. Die Entschlüsselung der menschlichen Erbanlage und die Diskussion um das Klonen von Menschen sowie die Forschung mit embryonalen Stammzellen führte neue Aspekte in die öffentliche Diskussion ein. Die Debatte findet seither auf allen politischen Ebenen statt. Im Zusammenhang mit der Genforschung werden in den Medien immer häufiger Moral und Ökonomie gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen. In diesem Wirrwarr von unterschiedlichen und häufig auch widerstreitenden Interessen ist es nicht einfach, sich zurechtzufinden und schließlich zu einer eigenen Position zu gelangen. Umso wichtiger ist daher eine nüchterne Darstellung der Sachverhalte.
Gentechnik wird definiert als die Gesamtheit der Methoden, die zur Bildung neuer Kombinationen vererbbaren Materials führt. Die Technik besteht im Einfügen von Nukleinsäuremolekülen, die außerhalb der Zelle hergestellt werden, in einen neuen Organismus, in dem diese DNA normalerweise nicht vorkommt. Die neue DNA kann sich dort stabil vermehren. Dadurch entstehen Organismen mit neuem Erbmaterial, die nicht in der Natur anzutreffen sind; sie werden als Gentechnisch Veränderte Organismen (GVO) bezeichnet. Das Ausgangsmaterial für diese neue Konstruktion ist das Erbmaterial, das als DNA (Desoxyribonukleinsäure) bezeichnet wird. Daneben werden weitere Werkzeuge benötigt wie "Molekulare Scheren" (Restriktionsenzyme), um DNA-Fragmente in geeigneter Größe zu schneiden, und Transportsysteme (Vektoren), welche die neue Erbinformation in einen neuen Wirt einschleusen und zur Entfaltung bringen. Im Falle der Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel müssen wir uns bewusst sein, dass die DNA überall ist, sie ist ausgesprochen stabil, der Mensch "isst" immer Gene: Beim Verzehr z.B. von Tomaten werden unzählige einzelne Tomatenzellen aufgenommen, und jede Zelle enthält einen Satz des kompletten Genoms, d.h. alle Gene, die eine Tomate hat. Das trifft natürlich genauso auf jedes andere Gemüse, Obst und auch Fleisch zu.
Beim Zubereiten der Lebensmittel, z.B. durch Kochen, werden die Gene nicht zerstört, nur die DNA wird denaturiert, d.h., die Doppelhelixstruktur der DNA löst sich in die beiden Einzelstränge auf. So enthalten auch zubereitete Speisen allesamt DNA. Bier oder Wein enthalten ebenfalls DNA, da neben Resten des pflanzlichen Erbmaterials auch die DNA der verwendeten Mikroorganismen enthalten sind. Eines der wenigen Lebensmittel, das keine DNA mehr enthält, ist Zucker. Die mit der Nahrung aufgenommenen Gene werden im Magen-Darm-Trakt auf chemischem Wege mit Hilfe von Enzymen (Eiweißmoleküle/Proteine) verdaut und bis zu den kleinsten Einheiten, einzelnen Nukleotiden (Grundbaustein der Nukleinsäure), abgebaut. Anschließend werden die DNA-Stücke zusammen mit allen anderen verdauten Nahrungsbestandteilen über die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf aufgenommen und zur Leber transportiert. Dort wird schließlich entschieden, was zur Weiterleitung im Körper zugelassen wird.
Was würde sich ändern, wenn die aufgenommenen Lebensmittel gentechnisch verändert worden wären? Nehmen wir als Beispiel die "Gentomate" (die Flavr Savr1 Tomate), die als erstes "gentechnisch verändertes" Lebensmittel 1994 in den USA auf den Markt kam. Die "Gentomate" wurde in langjährigen Analysen auf jedes denkbare Risiko hin geprüft. Die amerikanische Zulassungsbehörde hat ihr völlige Unbedenklichkeit bescheinigt: "Diese Tomate ist genauso unbedenklich wie alle anderen auf dem Markt befindlichen Tomaten." Bei herkömmlich gezüchteten Tomaten werden viele der Sicherheitsüberprüfungen gar nicht durchgeführt, obwohl die theoretischen Risiken hier genauso vorhanden sind. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Anwender einer Technologie deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu berücksichtigen hat. Ein neuer Zweig der Gentechnik, die Risikoforschung, beschäftigt sich mit dieser Fragestellung. Mit welchen Risiken haben wir es zu tun?
Das am häufigsten diskutierte Risiko sind die sogenannten "Positionseffekte". Was versteht man darunter? Alle Lebewesen produzieren Enzyme (Proteine) entsprechend ihrer genetischen Information auf der DNA. Bei den Genen, die "aktiv" sind, wird zunächst von der DNA eine Kopie (mRNA, MessengerRNA) gemacht, die dann in das Eiweißmolekül übersetzt wird. Eine Möglichkeit, Gene auszuschalten, besteht darin, eine Negativkopie des Gens in den Organismus einzubringen (Antisense-Gen), welche die mRNA auslöscht. Damit kann das Eiweißmolekül nicht hergestellt werden. Diese Methode wurde bei der Gentomate angewandt, um ein bestimmtes Gen - die Polygalacturonase - auszuschalten. Durch Einführung eines Gens können an der eingeführten Stelle Veränderungen in der DNA auftreten, die man als "Positionseffekte" bezeichnet. Im Fall der Tomate könnte z.B. ein anderes Tomaten-Gen beeinflusst werden, das in der Nähe der Einführungsstelle liegt: Das entsprechende Tomaten-Eiweißmolekül würde dann in niedrigeren oder höheren Konzentrationen gebildet, und in der Tomatenpflanze können Inhaltsstoffe entstehen, ausfallen oder in anderen Konzentrationen auftreten. Nur durch das zusätzlich in umgekehrter Orientierung eingebrachte tomateneigene Gen entsteht kein neues Protein. Stattdessen wird das Protein Polygalacturonase, das für den schnellen Verderb verantwortlich ist, nur noch in sehr geringen Mengen gebildet. Bei dem Positionseffekt handelt es sich aber nicht um einen Risikofaktor, der gentechnischspezifisch ist: Jede neue Tomate sowie andere Gemüse oder Fruchtsorten, die "klassisch" gezüchtet werden, bergen dieselben Risiken und sogar höhere, da diese die erwähnten Prüfverfahren nicht durchlaufen.
Ein gentechnikspezifisches Risiko ist dagegen die Verbreitung des zusätzlich als Erkennungszeichen in die Gentomate eingebrachte Marker-Gen. Diese Marker-Gene enthalten den Bauplan für ein Enzym, welches für die Antibiotika-Resistenz verantwortlich ist. Die Marker-Gene sind notwendig für das Auffinden der Tomatenzellen, welche die gewünschten Neueigenschaften tragen. Es ist ein Marker für den Erfolg des Gentransfers und gleichzeitig eine Selektion, da nur die Tomatenzellen, die diese Antibiotika-Resistenz tragen, auf Antibiotika enthaltenden Nährböden wachsen können. Im Fall der Gentomaten wurde Kanamycin als Antibiotikum verwendet. Falls aber Bakterien im Darmtrakt von Menschen, welche die neuen Tomaten verzehrt haben, ein solches Antibiotika-Resistenz-Gen aufnehmen und tatsächlich das entsprechende Resistenzprotein bilden würden, gibt es mehrere Ansätze, die zur Risikominimierung führen: Heute ist es technisch bereits möglich, in der Züchtung als Marker benötigte Antibiotika-Resistenz-Gene durch Rückkreuzung wieder zu entfernen. Der zweitsicherste Weg ist die Verwendung der Resistenz-Gene für Antibiotika, die nicht mehr therapeutisch eingesetzt werden, wie es bei Kanamycin der Fall ist. Die Resistenzübertragung ist aber sehr unwahrscheinlich, da die natürliche Aufnahme von Fremd-DNA durch die Bakterien sehr gering ist, zumal das Resistenz-Gen in der Gentomate in das Erbmaterial der Tomate eingebaut ist. Man schätzt, dass wir mit der täglichen Nahrung mindestens 1,5 Millionen Mikroorganismen aufnehmen, die natürlicherweise Antibiotika-Resistenz-Gene tragen. Es gibt bis heute aber keinerlei Hinweise darauf, dass eines dieser Gene jemals auf unsere Darmflora übertragen worden wäre. Die Ziele der Anwendung der Gentechnik im Lebensmittelbereich sind heute nichts anderes als die Anwendung der klassischen Züchtungsverfahren: geschmacklich einwandfreie, ertragreiche und widerstandsfähige Lebensmittel zu erzeugen. Die Gentechnik geht sogar noch weiter, indem sie zum Umweltschutz beiträgt, da weniger Pestizide verwendet werden müssen.
Die Chancen und der Nutzen der Gentechnik werden aber besonders bei der Anwendung dieser Technologie in der Medizin deutlich. Zurzeit werden schon eine ganze Reihe von Medikamenten gentechnisch produziert wie das Humaninsulin, das menschliche Wachstumshormon, der Tumor-Nekrose-Faktor, ein Protein des menschlichen Immunsystems, das in der Krebstherapie zur Abtötung der Krebszellen verwendet wird, um nur einige zu nennen. Somit werden die Produktionskosten verringert, dies führt unter anderem aufgrund der explodierenden Gesundheitskosten zu einer höheren Akzeptanz der Gentechnik. Nur bei der Anwendung der Gentechnik in der Gentherapie ist eine politische Debatte legitim, denn, um Jens Reich zu zitieren: "Ein Eingriff in die Freiheit der Forschung ist dann geboten und nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um die Wahrung oder die Verletzung von Grundrechten dreht."
Mit Hilfe der Gentherapie werden überwiegend auf der Basis gentechnischer Methoden Therapien zur Heilung genetisch bedingter Defekte des Menschen durchgeführt wie z.B. die Sichelzellanämie oder Defekte im menschlichen Wachstumshormon. Heute beschäftigt sich immerhin die Hälfte aller gentherapeutischen klinischen Studien mit Krebserkrankungen. Hier werden wie in der "grünen Gentechnik" dieselben Werkzeuge eingesetzt, aber als Träger (Vektor) werden meist virale Vektoren aus Retroviren verwendet, da diese sehr effizient Gene in neue Wirte einschleusen können. Im Gegensatz zur "Grünen Gentechnik" ist die Gentherapie sehr teuer, die Risiken sind aufgrund der viralen Gene schwer abzuschätzen, da die Retroviren Sequenzen (Teile der DNA) mit anderen Retroviren austauschen können. Das Risiko ist jedoch dann sehr gering, wenn beispielsweise Retroviren von Mäusen verwendet werden, weil die Viren im normalen Fall stark wirtsspezifisch sind, d.h., Pflanzenviren befallen nur Pflanzen, Bakterienviren nur Bakterien etc. Die Gentherapie wird erst dann angewandt, wenn es keine weitere Therapiemöglichkeit mehr gibt.
Eigentlich lassen sich die komplexen Zusammenhänge der Akzeptanz oder Ablehnung der Gentechnik nicht allein auf Risiko- und Nutzenabschätzungen reduzieren. Die Entwicklung auf dem Gebiet der Gentechnik, insbesondere im medizinischen Bereich, hat die Notwendigkeit einer Bioethik hervorgerufen. Diese neue Disziplin wirft kritische Fragen über Chancen und Risiken der Gentechnik für Mensch und Natur auf. Aber diese junge Disziplin kann zurzeit keine einheitliche und allgemein verbindliche Lösung für die Bewältigung der Probleme geben, welche durch die Anwendung der Gentechnik unter anderem in der Gentherapie hervorgerufen werden. Man unterscheidet zwei unterschiedliche Einstellungen zur Entwicklung der Gentechnologie: Die eine ist gekennzeichnet durch die Bedenken hinsichtlich der angestrebten Ziele, die andere durch eine unbedenkliche Zweck-Mittel-Relation. Die Reaktionen sind aber länderspezifisch, wie eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1993 zeigt. Deutschland und Dänemark sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders skeptisch und zurückhaltend, was die Anwendung der Gentechnik anbelangt. Die Studie zeigt aber noch einen anderen Befund: Je größer das Wissen über die Gentechnologie ist, desto höher ist ihre Akzeptanz.
Um die bioethische Diskussion einzudämmen, wird bisher die Gentherapie nur auf somatische Zellen angewandt, sodass nur die behandelte Person davon betroffen ist. Die Anwendung der Gentherapie auf Stammzellen wird heute intensiv und kontrovers diskutiert, da die Auswirkungen auf die Nachkommen übertragen werden. In diesem Zusammenhang muss man sich die Frage stellen: Wer würde es wagen, zu sagen, welche Behinderung geheilt werden soll und welche nicht? Wer soll den Maßstab dafür setzen, welche Behinderung verhindert werden soll und welche nicht? Bei diesen Entscheidungen muss man sich bewusst sein, dass ein Eingriff in die Forschungsfreiheit tief greifende Konsequenzen haben kann. Wann und mit welcher Begründung wird ein kategorisches moralisches Verbot der Anwendung der Gentherapie an Stammzellen gerechtfertigt? Ich stimme der Forderung von Dagmar Schipanski aus dem Spiegel vom 12. Januar 2004 zu: "Wir brauchen einen Durchbruch und keine Denkverbote, die Medizin muss neue Wege gehen." Damit Deutschland im Wissenschaftswettbewerb mithalten kann, sollte es keine Restriktionen in der Forschung geben, so wie es das Humboldt'sche Ideal vorsieht.