Selten war eine politische Botschaft so unglaubwürdig, ihre Lancierung so chaotisch und die Marketing-Verpackung so albern wie der Appell der SPD-Spitze Anfang dieses Jahres, Deutschland brauche Spitzenuniversitäten, die sich mit Harvard und Stanford messen können. Heute, ein halbes Jahr später, muss man anfügen: Kaum eine Botschaft war zugleich so richtig und hilfreich.
Als führende Sozialdemokraten die Öffentlichkeit zu Jahresbeginn mit der Forderung nach deutschen Elitehochschulen überraschten, erinnerte man sich, dass es die sozialdemokratisch geführte Regierung gewesen war, die kurz zuvor die Mittel für die Forschungsförderung gekürzt hatte. Man wunderte sich darüber, dass die eigentlich Verantwortliche, Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, in die PR-Aktion nicht eingeweiht war, und machte sich lustig über den nachgeschobenen Slogan "Brain up. Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten." Doch schnell meldeten sich erste Kandidaten für den Titel, und es dauert nicht lange, bis sich eine Debatte über Anspruch und Qualität der Hochschulen entspann, wie sie Deutschland lange nicht mehr erlebt hatte.
Das Plädoyer an sich war schon bemerkenswert, aus dem Munde von Sozialdemokraten geradezu sensationell. Fordert die SPD doch, was die Kultusminister - allen voran die sozialdemokratischen - und Dutzende von Paragraphen bis heute verhindern: einen wirklichen Wettbewerb zwischen den Universitäten und die Herausbildung eines differenzierten Hochschulsystems. Zwar feiert man hierzulande die Helden aus Sport, Kultur oder Wirtschaft, wo die Bestenauslese mit Hingabe gepflegt wird. In der Ausbildung der Geisteselite hatte Spitzenförderung aber bislang nur wenige Anhänger. An den Universitäten regiert die Gleichmacherei mit Beamtengesetzen, Bundesangestelltentarif und Kapazitätsverordnungen.
Das Gleichmaß hat Vorteile. Ein Studienabschluss in Flensburg ist offiziell genauso viel wert wie einer in Konstanz. Jeder deutsche Universitätsprofessor darf sich als Spitzenforscher fühlen - und jede Hochschule die heilige Einheit von Lehre und Forschung beschwören. Im internationalen Vergleich jedoch ebnete die verordnete Egalität den Universitäten den Weg in die Mittelmäßigkeit. Insofern ist die Analyse der selbst ernannten Bildungsvordenker der SPD richtig: Keine einzige deutsche Hochschule kann im Wettbewerb mit den amerikanischen Spitzenuniversitäten von Berkeley bis Yale bestehen. Auch wenn einzelne Professoren oder Fachbereiche international zur Champions League gehören: Selbst innerhalb Europas gehören die deutschen Universitäten kaum noch zur Spitze. Als die renommierte Jiao-Tong-Universität in Shanghai kürzlich anhand der Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften eine Weltrangliste der Universitäten erstellte, da tauchte die erste deutsche Hochschule - die Ludwig-Maximilians-Universität München - im europäischen Vergleich erst auf Platz zehn auf, im internationalen Ranking reichte es gerade für Position 48. Angesichts dieser Realitäten gleicht die Idee, ein deutsches Harvard zu errichten, dem Vorschlag, einen volkseigenen Betrieb in ein multinationales Hightech-Unternehmen zu verwandeln.
Dennoch sollte man die Absichtserklärungen nicht gleich als vollmundig abtun. Vielmehr bieten sie einen Anlass, um darüber nachzudenken, wie deutsche Universitäten näher an die Weltspitze geführt werden können. Bei null muss man nicht anfangen. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit haben sich Politiker, Rektoren und Professoren darangemacht, der deutschen Wissenschaft ein modernes Gesicht zu geben. Sie nutzen das erweiterte Recht, ihre Studenten selbst auszusuchen. Sie lassen Seminare und Vorlesungen bewerten und bezahlen ihre Hochschullehrer verstärkt nach Leistung. Vergleicht man die wichtigsten Schauplätze der Großbaustelle Deutschland - Bildung, Gesundheitswesen, Rentensysteme -, dann zeichnen sich die Hochschulen als der reformfreudigste Sektor aus. Ein Indikator dafür ist die zunehmende Autonomie der Universität. Alle Bundesländer sind dabei, neue Hochschulgesetze zu erlassen, und jeder Wissenschaftsminister wirbt damit, dass gerade seine Regelung den Hochschulen die größte Freiheit zugesteht.
Allerdings sind noch längst nicht alle Neuerungen akademisches Allgemeingut. Sie beschränken sich auf einzelne Universitäten oder Fachbereiche. Oft sind es nur Modellversuche und Experimentierklauseln, welche die erstarrten Strukturen aufbrechen. Andere Spielräume wiederum werden von den Universitäten nur zögerlich genutzt. Denn die große Koalition der Reformgegner existiert noch: Professoren, welche die Freiheit der Wissenschaft verwechseln mit der lebenslangen Garantie, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen; Politiker, die meinen, alles müsse sich ändern, nur dürfe es keinen Cent kosten; Studenten, die mit der Ressource Bildung so unbekümmert umgehen, als wäre sie Salz im Meer.
Sie alle verkennen, dass sich die Aufgaben der Hochschulen geändert haben. Aus Universitäten für eine kleine Wissenselite wie noch in den sechziger Jahren sind Bildungsfabriken entstanden, aus kleinen überschaubaren Apparaten aufgeblasene Verwaltungen. Und Wissenschaft ist teurer geworden, globaler, kompetitiver und schneller als früher. Möchten die deutschen Universitäten indieSpitzengruppe aufschließen, muss Deutschland Abschied nehmen von lieb gewonnenen Illusionen.
Die Illusion der Selbstverwaltung: Ein 40 000-Mann-Betrieb kann nicht mehr von Verwaltungslaien mit einem Frühstücksdirektor an der Spitze geführt werden. Die Selbststeuerung der Hochschulen nach innen und außen hat versagt. Die Hochschulen brauchen eine professionelle Steuerung mit klaren Kompetenzen und persönlicher Rechenschaftspflicht - vom Uni-Präsidenten bis zum Professor. Amerikanische Hochschulen arbeiten, was Verwaltung, Personalentwicklung, Finanzierung und Erfolgskontrolle betrifft, ähnlich wie Unternehmen. Das muss - anders als in Deutschland stets befürchtet - nicht bedeuten, alle universitären Aktivitäten auf eine ökonomische Verwertbarkeit zu trimmen. Im Gegenteil: An gut gemanagten Spitzenuniversitäten genießen Wissenschaftler mehr Freiraum in der Forschung als an deutschen Hochschulen, die vielerorts noch immer wie eine Mischung aus Behörde und selbst verwalteter Wohngemeinschaft funktionieren. Gemeinsam ermöglichen die weitgehende Freiheit von staatlichen Einflüssen und eine gute Führung nach innen den Hochschulen, schnell auf Forschungstrends zu reagieren und ihre Strukturen neuen wissenschaftlichen Erfordernissen anzupassen.
Die Illusion der Kostenfreiheit: Wissenschaft ist ein kostbares Gut. Wer Spitzenforscher nach Deutschland locken will, muss ihnen Spitzengehälter zahlen. Eine amerikanische Staatsuniversität wie die Pennsylvania State University darf allein für die Forschung jedes Jahr 430 Millionen US-Dollar ausgeben. Das ist fast so viel, wie der in der Größe vergleichbaren Berliner Humboldt-Universität als Gesamtbudget zur Verfügung steht. Auch gute Lehre und Betreuung sind teuer. In Deutschland jedoch zahlt (fast) nur der Staat für die höhere Bildung - und muss sparen. Wenn die deutschen Hochschulen konkurrenzfähig werden wollen, müssen deshalb in Zukunft auch Studenten wie private Sponsoren ihren Beitrag leisten.
Es ist jedoch eine Illusion zu glauben, die nun in der Diskussion stehenden Studentenbeiträge würden an der Finanznot der Hochschulen viel ändern. Verlangten die Universitäten 1 000 Euro Gebühren pro Semester, kämen - Verwaltungskosten und Stipendien für Bedürftige abgezogen - eine Milliarde Euro im Jahr zusammen. Das ist zu wenig, um das System zu sanieren oder gar den finanzstarken Privatuniversitäten im Ausland Konkurrenz zu machen. Ganz abgesehen von der Gefahr, dass der Staat die Gebühren einzieht, um anderswo Löcher im Etat zu stopfen. Solche Beträge erhöhen in erster Linie den Wert des Studiums bei den Studenten, sie vergrößern das Interesse an der Lehre und verkürzen die Studienzeiten.
Zudem müssen die deutschen Hochschulen zunehmend andere private Finanzquellen erschließen: etwa bei Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen und ehemaligen Studenten. In den USA sind die Alumni Teil der Hochschule, als Berater und Mitglieder im Hochschulrat (Board of Trustees), als Zielgruppe für Veranstaltungen und wichtigste private Geldgeber. Deutsche Universitäten dagegen beginnen nun sehr langsam und ohne nennenswerte Mittel gerade damit, die Namen und Adressen ihrer Ehemaligen zu erfassen. So aber wird es Jahre dauern, bis sie über die Professionalität und den Apparat verfügen, mit denen amerikanische Universitäten um die Sympathie und das Geld ihrer Alumni buhlen. Immerhin - auch auf diesem Feld bewegt sich etwas.
Die Illusion des freien Zugangs: Deutsche Hochschulen dürfen nur einen Teil ihrer Bewerber selbst aussuchen, und viele nehmen dieses Recht noch nicht einmal wahr. Das Verhältnis zwischen Universität und Student ist deshalb von Beginn an durch Gleichgültigkeit und Anonymität gekennzeichnet. So bezeichnet sich nach Befragungen desHIS Hochschul-Informations-Systems nur ein Drittel der Studienanfänger über ihr zukünftiges Fach als "mindestens gut informiert". Ein Drittel weiß dagegen so gut wie gar nichts darüber, wie das Studium organisiert ist und welche Fähigkeiten sie dafür mitbringen müssen.
Ohne ein vollständiges Auswahlrecht der Hochschulen wird sich an diesem Nicht-Verhältnis zwischen Hochschule und Student nichts ändern, wird niemals ein echter Wettbewerb um die besten Abiturienten stattfinden. Bislang verhindert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine solche Selbstauswahl durch die Universitäten. Abgeleitet von der Berufsfreiheit sprach es 1972 praktisch allen Bürgern mit Abitur Anspruch auf einen Studienplatz eigener Wahl zu. Da der Staat bei der Hochschulbildung ein Monopol besitzt, muss er dafür sorgen, dass der Einzelne diesen Anspruch auch einlösen kann. Er tut dies, indem er die Universitäten verpflichtet, eine vorgegebene Zahl von Studenten aufzunehmen - auch wenn die Kapazitäten fehlen. Seit den siebziger Jahren haben sich die Bedingungen des Studiums jedoch grundlegend gewandelt: 1972 machten gerade einmal 13 Prozent der Schüler Abitur, heute sind es dreimal so viele; das Abitur hat heute nicht mehr denselben Wert wie damals und vor allem nicht mehr dieselbe Verlässlichkeit, wie die Pisa-Studie gezeigt hat. Deshalb ist das Urteil des Verfassungsgerichts überholt.
Illusion der Gleichheit: Bislang beruht das deutsche Hochschulwesen noch immer weitgehend auf egalitären Prinzipien. Die Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten ist die einzige bedeutende Differenzierung, die das Hochschulrecht zulässt. Wettbewerb jedoch lebt von Unterschieden. Die Vorstellung, zwei Millionen Studenten eine ähnlich geartete Ausbildung zukommen zu lassen, ist nicht mehr zeitgemäß. Dies gilt auch für das Prinzip, dass jeder Professor so gut lehren und forschen kann wie sein Kollege. Wenn Deutschland also Universitäten will, die international konkurrenzfähig sind, dann sollte es sich zur Ungleichheit bekennen: Ungleichheit zwischen Hochschulen, Fakultäten, Professoren und Studenten. So müssen nicht alle Studenten die Einheit von Forschung und Lehre genießen, wie sie Humboldt einst als Idealbild formulierte. Weder ist es unbedingt sinnvoll, dass alle Universitäten ein Studium in jedem Fach anbieten, noch muss jeder Professor ein großer Forscher sein. Ein guter Lehrer tut es auch, und er sollte entsprechend mehr Stunden unterrichten.
Gebraucht werden unterschiedliche Angebote, die miteinander im Wettbewerb stehen: Universitäten, an denen Studenten und Professoren auf höchstem Niveau forschen, und andere, die sich stärker auf Ausbildung und Lehre konzentrieren; Hochschulen, die auf dem Weltmarkt konkurrieren, und solche, die ihre Region bedienen.
Insofern war der Grundgedanke der Bundesregierung richtig: in einem Wettbewerb die besten Konzepte auszumachen, wie deutsche Hochschulen an die Weltspitze gelangen wollen, und diese mit zusätzlichem Geld auszustatten. Ebenso sinnvoll war der Vorschlag der Länder, nicht nur einzelne Hochschulen, sondern auch hervorragende Fachbereiche und "Kompetenzcluster" zu belohnen. Beide Ideen können sich nun ergänzen. Mehr als ein Anfang sind sie jedoch nicht.