Die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg, die 1996 an der brandenburgischen Bevölkerung scheiterte, bleibt weiter auf der politischen Tagesordnung. Aber die mehr als fünf Millionen Bürger in den beiden Bundesländern haben es mit dem Zusammenschluss nicht besonders eilig. So trauern zumindest die Brandenburger der Absage ihrer SPD/CDU-Landesregierung nicht nach, bereits im Jahr 2006 eine neue Volksabstimmung anzusetzen. Sie wollen zunächst einmal wissen, was sie von einer Fusion überhaupt haben.
Die Wissenschaftler Richard Stöss und Oskar Niedermayer von der Freien Universität (FU) Berlin haben zusammen mit dem demoskopischen Institut FORSA knapp 2.000 Wahlberechtigte in beiden Ländern nach ihrer Meinung zur Fusion befragt. Die Wissenschaftler sind sich nach der Auswertung der neuen Umfrage, die in der zweiten Oktoberhälfte 2004 durchgeführt wurde, einig, dass der geplante Zusammenschluss der beiden Länder nur dann Erfolg haben wird, wenn er zu einer "Herzensangelegenheit der Menschen" wird. Doch davon ist man gegenwärtig noch entfernt.
Zur Erinnerung: Vor der brandenburgischen Landtagswahl im September waren sich SPD und CDU einig, dass 2006 eine erneute Volksabstimmung stattfinden solle. Würde diese positiv verlaufen, sollte die Fusion im Jahr 2009 in Kraft treten. Dann wäre Berlin zu einer Stadt im Land Berlin-Brandenburg geworden mit einem Oberbürgermeister an der Spitze. Potsdam sollte Landeshauptstadt werden, wobei die Ministerien gleichmäßig auf Berlin und Potsdam verteilt werden sollten. Das sollte auch für andere Landeseinrichtungen gelten. Doch im Wahlkampf spürten die Verantwortlichen in Brandenburg, dass die Bevölkerung gegenwärtig noch erhebliche Vorbehalte gegen eine Fusion hat und dass dadurch die Gefahr eines erneuten Scheiterns ziemlich groß war. Kurzerhand wurde der Fusionstermin aus der neuen Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU gestrichen, dafür das Bekenntnis zum Zusammenschluss aufgenommen. In Berlin reagierte man verschnupft. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert, zumal die Brandenburger darauf bestehen, dass Berlin erst seinen Schuldenberg von mehr als 50 Milliarden Euro abbaut. Umgekehrt verweist Berlin darauf, dass auch Brandenburg mit knapp 20 Milliarden Euro zu den hochverschuldeten Ländern zählt.
Die neue Umfrage zeigt, dass 36 Prozent der Berliner "möglichst schnell" für eine Fusion sind, aber nur 22 Prozent der Brandenburger. 39 Prozent der Berliner sprechen sich für einen Zusammenschluss innerhalb der nächsten sieben bis zehn Jahre aus, aber nur 36 Prozent der Brandenburger. Wie viele möchten, dass alles so bleibt, also Berlin und Brandenburg selbstständig bleiben? Unter den Berlinern sind das 21 Prozent, unter den Brandenburgern aber immerhin 37 Prozent. Keine Meinung zum Thema Fusion haben vier Prozent der Berliner und fünf Prozent der Brandenburger.
Zählt man die Stimmen für eine "möglichst schnelle" Fusion und eine in den nächsten sieben bis zehn Jahren zusammen, dann ergibt sich sowohl in Berlin als auch in Brandenburg eine Mehrheit für den Zusammenschluss. Schlüsselt man die Befragten nach ihrer Zugehörigkeit oder Sympathie für eine Partei auf, dann zeigt sich, dass die Anhänger der großen Parteien in Berlin für die Fusion sind (bis zu 80 Prozent), aber selbst die PDS noch auf 74 Prozent kommt. In Brandenburg hingegen sind nur 43 Prozent der PDS-Anhänger für eine Fusion, während die Grünen dort zu 77 Prozent für einen Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg eintreten.
Interessant ist auch, dass sich 82 Prozent der Berliner und 83 Prozent der Brandenburger mit ihrem Land identifizieren. Das aber bedeutet nicht automatisch eine Ablehnung eines Zusammenschlusses beider Länder, der ausdrücklich nach der Grundgesetzänderung in Folge der deutschen Einheit ermöglicht worden ist. Wichtiger ist für die Fusions-Haltung des Einzelnen die Frage, wie stark er sich mit dem jeweils anderen Land verbunden fühlt. Hier zeigt sich, dass die gemeinsamen preußischen Wurzeln doch noch sehr stark sind. Freilich haben die Brandenburger auch die Sorge, vom großen Berlin geschluckt zu werden. Das zeigt sich auch bei der Frage, ob die Unterschiede zwischen Berlin und Brandenburg überwiegen. Das meinen 62 Prozent der Brandenburger und 53 Prozent der Berliner. Im Jahr 2000 waren das noch 57 und 49 Prozent. Seitdem ist dieser Prozentsatz in beiden Ländern kontinuierlich gestiegen.
Nun ist aus Berlin zu hören, die Brandenburger hätten sich ohne Not vorzeitig aus einer baldigen Fusion verabschiedet, da ja die Mehrheit für einen Zusammenschluss sei. Doch der Zug ist vorerst abgefahren. Das Thema Fusion hat in Brandenburg keinen konkreten Termin mehr und ist deshalb für dieses Jahrzehnt nicht mehr aktuell. Um so mehr kommt es nun darauf an, gemeinsame Projekte zügig in Angriff zu nehmen (wie etwa den Großflughafen Berlin Brandenburg International) und bei der Stadt- und Landschaftsplanung die jeweiligen Interessen des anderen zu berück-sichtigen. Auch in der Frage Wirtschaftsansiedlung will man künftig mehr mit- als gegeneinander arbeiten. Schließlich wissen sowohl Berlin als auch Brandenburg, dass sie aufeinander angewiesen sind und dass sich falsche Konkurrenz nicht auszahlt. Im Gegenteil.