Ist von einer negativen demografischen Entwick-lung die Rede, so richten sich angesichts abnehmender Einwohnerzahlen die Blicke auf das Territorium der Ex-DDR, auch noch auf einige Städte im Ruhrgebiet. Der Süden und der Südwesten der Republik hingegen gelten weithin als Wachstumsregionen, mancherorts sogar als Magnet für Zuwanderer aus dem In- und Ausland. Im Schatten dieser Debatten wurde bislang kaum wahrgenommen, dass das Saarland zu den vom Bevölkerungsminus am heftigsten betroffenen Gegenden zählt. Die Daten sprechen Klartext: Nach den Prognosen der Statistiker werden statt momentan 1,06 Millionen im Jahr 2050 nur noch 800.000 Menschen an der Saar leben - ein Schwund von sage und schreibe einem Fünftel. Nach den Vorhersagen der Arbeitskammer wird es bereits bis 2020 einen Rückgang um fast neun Prozent geben - womit der Winkel im Südwesten "mit Abstand das Schlusslicht unter den westlichen Bundesländern" bildet, so Zakrzewski.
Auch im Saarland wurden die Analysen der Statistiker lange Zeit nicht wirklich ernstgenommen. Der Streit um die Schließung von Grundschulen und die neuesten Daten haben das Thema indes auf die politische Tagesordnung gesetzt. Umweltminister Stefan Mörsdorf meint, angesichts der Tendenzen in jüngerer Zeit werde sich das Bevölkerungsminus sogar noch weiter beschleunigen. Zwar ist zwischen dem parteilosen Minister und Heinz Pötz vom Statistikamt der Hauptstadt ein Streit über die Interpretation der Zahlen im Detail ausgebrochen - ob man tatsächlich von einer aktuellen Verschärfung der Lage sprechen könne, wie Ausländerkinder mit deutschem Pass oder wie der Zeitpunkt des Wegzugs von Migranten einzuordnen sind, wie ausländische Studenten zu berücksichtigen sind. Doch eines ist offensichtlich: Der Trend weist ungebrochen nach unten.
Der entscheidende Faktor ist die Geburtenziffer. 1950 erblickten an der Saar mehr als 18.000 Babys das Licht der Welt, 1963 waren es gar 21.500. Starben 1950 noch 9.000 Menschen, so waren es 2003 bereits knapp 13.000 - denen nur 7.600 Geburten gegenüberstanden. Anfang der 70er-Jahre wurden erstmals mehr Sterbefälle als Geburten verzeichnet, und seit 1990 wird diese Lücke stetig größer. 2004 dürfte man einen neuen Tiefstand erreichen: Im ersten Halbjahr bereicherten nur noch 3.600 Babys das Land und die Statistik. Zu Beginn der 90er-Jahre wurde die Abnahme der Saar-Bevölkerung vorübergehend abgebremst, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verstärkt Osteuropäer zuwanderten, etwa Spätaussiedler oder jüdische Emigranten aus Russland.
Drastisch bietet sich die Situation in Saarbrücken dar: In der Hauptstadt verringerte sich die Einwohnerzahl von 214.000 im Jahr 1970 auf jetzt noch 182.000 - also fast 30.000 weniger. Jedes Jahr ein Minus von tausend Bürgern: Das ist happig. Die zentrale Ursache für die Problematik ist auch in Saarbrücken das massive Geburtendefizit, so Amtsleiter Pötz. Unter den 182.000 Einwohnern finden sich 24.000 Ausländer, während es 1989 lediglich 15.000 waren. Ohne Zuwanderer sähe es noch düsterer aus. Doch auch der Zustrom der Migranten hat nachgelassen, Minister Mörsdorf konstatiert für das ganze Land inzwischen sogar Abwanderungstendenzen bei Ausländern.
Die Folgen des demographischen Umbruchs liegen auf der Hand. Überall sinkt der Bedarf an Kindergärten, Schulen und damit auch Lehrern. Der Immobilienmarkt in Saarbrücken, so Pötz, "ist recht gedämpft".
Mörsdorf macht sich gegenüber den saarländischen Gemeinden dafür stark, Kindergärten, Schulen, Bäder, Bibliotheken oder Sportplätze künftig nicht mehr an jedem Ort zu unterhalten, sondern die eine Einrichtung hier und die andere da kostensparend gemeinsam zu nutzen. In Saarbrücken wollen alle Fraktionen im Kommunalparlament die Stadt familienfreundlicher gestalten - durch die Ausweisung von Bauland für Familien, durch mehr Kinder- und Schülerbetreuung.
Aber lässt sich so die Geburtenziffer steigern? Vielleicht sind Männer und Frauen zwischen 25 und 40 ja gar nicht sonderlich zeugungs- und gebärfaul, vielleicht leben einfach zu wenige dieser Leute an der Saar. Wenn Rüdiger Zakrzewski fehlende Jobs als Abwanderungsmotiv nennt, so lenkt er den Blick auf den Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Vorsitzende der Arbeitskammer: "Das Saarland verliert seit Jahrzehnten insbesondere in der mittleren, zumeist hoch qualifizierten Altersgruppe." In der Tat büßt die Region kontinuierlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ein, momentan gibt es noch etwa 345.000 reguläre Jobs (wobei viele Arbeitskräfte aus der Pfalz und aus Lothringen einpendeln): Von Herbst 1999 bis Herbst 2004 verringerte sich deren Zahl um 14.000 - und dies trotz positiver Wachstumsraten. Allein für 2004 ist mit einem Minus von rund 4.000 zu rechnen. Und wer will sich ohne verlässliche Einkommensperspektive für Kinder entscheiden? Da sucht man lieber in der Ferne sein Glück.