Am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, ist Angelika Krüger-Leißner mit der Delegation des Bundespräsidenten vor Ort in Auschwitz. Das ist kein Zufall. Die Thematik Gedenkstätten sind ein Spezialgebiet der Sozialdemokratin aus Brandenburg. "Gedenken braucht Orte und Tage", sagt sie. "Es ist wichtig, dass es einen solchen staatlichen Gedenktag gibt, dass auch der zeitliche Raum für die Erinnerung eingerichtet wurde. In diesem Jahr, in dem wir den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begehen, ist dieses Datum ganz besonders relevant", hebt sie im Gespräch mit "Das Parlament" hervor.
Sie ist Mitglied des Internationalen Förderkreises Ravensbrück. Dort begleitet die Bundestagsabgeordnete Projekte, in denen es um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit geht. Dabei kommt die Kunst- und Geschichtslehrerin, die zudem ein Studium für Jugendhilfe abschloss und zuvor nach dem Abitur einen Eisenbahnfacharbeiterabschluss machte, oft mit jungen Leuten ins Gespräch. Vor allem aber liegt ihr der Kontakt mit überlebenden Frauen am Herzen. Auf ihre Initiative geht eine Begegnung von 30 Überlebenden in Warschau im vergangenen November zurück, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr nach Ravensbrück kommen konnten. "Viele mussten pseudomedizinische Versuche über sich ergehen lassen. Manche hatten sich auch über Jahre nicht gesehen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dann diese Begegnung ermöglicht, und das finde ich ein wichtiges Zeichen", unterstreicht die Politikerin. 2006 soll wieder ein Treffen stattfinden - auch mit polnischen Abgeordneten.
Umsichtig mit der Vergangenheit umzugehen, gehört zum Selbstverständnis der Politikerin bei diesem schwierigen Thema. "Es geht darum, ein möglichst breites Gedenken zu erhalten und den Gedenkstätten ihre unabhängige Arbeit zu ermöglichen. Das ist bei Orten, die besonders große Bedeutung für unsere Geschichte haben - ich nenne nur als Beispiele Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen, die Normannenstraße oder die Gedenkstätte Berliner Mauer - eine bundespolitische Aufgabe. Wir müssen darauf achten, dass die zugrunde liegenden Konzepte dem Auftrag entsprechen. Inhaltlich einmischen soll und darf sich die Politik nicht. Gedenken darf nicht instrumentalisiert werden."
Angelika Krüger-Leißner gehört zu den Parlamentarierinnen, die nach der friedlichen Revolution das politische Engagement in einer demokratischen Partei reizte. Vor 1989 war sie nicht politisch aktiv, aber ehrenamtlich. Sie galt als nicht linientreue Lehrerin. Ihre Arbeit machte das zu Zeiten der DDR nicht leichter. Sie stellte sich nach dem Fall der Mauer den Herausforderungen in ihrer Heimatregion, wollte mitarbeiten am Aufbau demokratischer Strukturen. "Dabei ist die SPD meine politische Heimat geworden." Mit Gleichgesinnten hat sie damals den Ortsverband der SPD in Schönwalde gegründet.
Und es ging schnell bergauf mit ihrer politischen Karriere: 1990 Beigeordnete und Dezernentin für Soziales, Jugend, Kultur, Sport und Gesundheit im Landkreis Nauen, 1992 stellvertretende Landrätin, 1994 Dezernentin für Soziales, Jugend, Kultur, Sport und Gesundheit im Landkreis Havelland. Dem Kreistag Havelland gehört die 53-Jährige seit 1998 an, ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und leitet den Sozialausschuss.
Nach neun Jahren Kommunalpolitik gelang ihr der Sprung in den Bundestag. 2002 holte Krüger-Leißner das Direktmandat mit 45 Prozent. Was das Mandat für sie bedeutet, beschreibt sie so: "Ich bin stolz und glücklich darüber. Das möchte ich nicht verschweigen. Und das vor allem, weil mein Direktmandat das Vertrauen der Bürger in meinem Wahlkreis spiegelt. Vertrauen motiviert mich in meiner Arbeit. Und es tröstet über den notwendigen hohen zeitlichen Aufwand hinweg, bei dem manches Persönliche auf der Strecke bleibt."
Krüger-Leißner arbeitet im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, sie ist Berichterstatterin für den Aufbau Ost und Arbeitsmigration. Im Ausschuss für Kultur und Medien beschäftigt sie sich mit den Gedenkstätten und die soziale Absicherung von Künstlern und Publizisten. Als Diplomlehrerin für Kunsterziehung und Geschichte fühlt sie sich natürlich in der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" gut aufgehoben. Dort geht es eben nicht um direkte Gesetzesarbeit. Enqueten wie die für Kultur sind Beratungsgremien für den Bundestag, haben eine grundlegende und längerfristig angelegte Aufgabenstellung. "Gerade die unmittelbare Auseinandersetzung mit Experten macht die Enquete so interessant", sagt sie. Man könne in der Zusammenarbeit viel tiefgründiger und nachhaltiger nach gemeinsamen Lösungen für die jeweilige Problemstellung suchen.
"Ich bin sehr neugierig", sagt die Mutter zweier Töchter. "Man findet mich oft im Theater, in der Oper, in Museen und Galerien. Und das, soweit es möglich ist, auch mehr als einmal die Woche." Auch die Entwicklung junger Künstler verfolgt sie mit großem Interesse - bei aller Ehrfurcht vor großen Meistern. "Gerade die Entwicklung einer neuen Leipziger Malergilde finde ich spannend und habe sie mir in Leipzig im neuen Museum angeschaut. Das ist auch eine gute Grundlage für meine Arbeit im Kunstbeirat des Bundestages." Außerdem organisiert sie im Wahlkreis Künstlerstammtische zu verschiedenen Themen.
Angelika Krüger-Leißner punktet mit Offenheit. Nicht minder wichtig sei ihr Ehrlichkeit, sagt sie. Außerdem brauche man als MdB Kommunikationsfähigkeit und Entscheidungsstärke. "Man darf vor Auseinandersetzungen oder Kritik keine Angst haben. Ich muss mich dazu nicht überwinden, denn ich habe das schon in meiner Zeit als Kommunalpolitikerin gelernt. Ich bemühe mich ständig um ehrliches, offenes Verhalten und nehme Kritik zunächst als etwas Positives. In der Regel hilft es auch, seine Arbeit zu verbessern." Nahe bei den Menschen bleiben, ihnen zuhören. Das sei zudem unabdingbar für sie.
Doch will Angelika Krüger-Leißner mal den Kopf frei haben, greift sie sich in ihrem tierlieben Haushalt Hund Leo. Der läuft und schwimmt gern. "Wir tun uns gegenseitig einen Gefallen." Die Brandenburgerin macht sich aber auch gerne auf den Weg in andere Länder. Sie ist als stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipei über die Demokratieentwicklung Taiwans bestens informiert. In ihrer - wenigen - Freizeit fotografiert oder malt sie. Ihr Mandat nimmt sie sehr ernst. Es sei die Chance, Nachwendeerfahrungen einzubringen in die Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. "Da ist in den letzten Jahren auch viel erreicht worden. Aber wir könnten schon weiter sein. Manches braucht immer noch zu lang, um auf den Weg gebracht zu werden."