Den Alltagstest bestehen die Tabloids, die kleinformatigen Zeitungen, mit Bravour. Schnell-Leser des mobilen Lifestyles können sich in Bahn, Zug oder Flugzeug ihrer Informationsleidenschaft ungezwungen hingeben, ohne den Nachbarn zu stören. Die "Minis" sind handlich, günstig und inhaltlich kompakt und sie heißen auch so: "Welt Kompakt", "20 Cent" oder Kölner Stadtanzeiger "Direkt". Das Tabloid war 2004 das Trendthema in der Zeitungsbranche. 2005 haben die Light-Versionen noch mehr Zuwachs bekommen, soeben mit "20 Cent Saar". Doch ob der Formatwechsel, der teilweise als Revolution in der europäischen Zeitungsbranche beschrieben wurde, auch ein Siegeszug wird, steht noch aus. Denn Leser und Leserinnen zu binden und Gelegenheitsleser in schnelllebigen Zeiten zu gewinnen, ist ein schwieriges Geschäft und bleibt eine Gratwanderung für die Macher.
Der Abschied vom Broadsheet, vom Großformat, war ein Regelbruch. Weniger Papier heißt weniger Platz für Text und somit weniger Information. Allerdings mussten die Verlage reagieren, wenn sie die Leser der TV- und Internetgeneration überhaupt halten wollten. Und jenseits des Geldes gilt: Weniger zu lesen ist besser als gar nicht.
Die erste Regionalzeitung, die Anfang Mai 2004 mit "20 Cent", Deutschlands preiswerteste Tageszeitung, auf den Markt kam, war die "Lausitzer Rundschau". Sie gehört zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Inhalte und Optik von "20 Cent" wurden in einer Projektredaktion entwickelt. Am Layout des komplett vierfarbigen, 32-seitigen Produktes wirkte auch der Zeitungsdesigner Mario Garcia mit, der für Holtzbrinck bereits "Die Zeit", "Saarbrücker Zeitung" und "Lausitzer Rundschau" relauncht hat. Neben einem komprimierten Überblick über die wichtigsten Nachrichten aus der Lausitz, Deutschland und der Welt wird das Produkt vor allem durch junge Inhalte wie eine tägliche Single-Börse und Trend-, Musik- und Lifestyleseiten geprägt. "Jung, frisch und anders", lautet der Verkaufsslogan. Frisch und anders darf dabei auch ruhig mit boulevardesker übersetzt werden. Das Rot im Blatt, vor dem sich auch der Schriftzug "20 Cent" abhebt, löst die Assoziation Boulevardblatt aus.
Jedenfalls ist die Themenmischung bunter, so wie man es aus Illustrierten kennt. Medien, Karriere, Geld & Markt-Seiten schließen das nicht aus. Der Verlag glaubt an die Zukunft von "20 Cent" und hat am 31. März 2005 im Saarland "20 Cent Saar" auf den Markt gebracht, Startauflage 50.000. "Neue Produkte für interessante Zielgruppen sind ein wichtiger und richtiger Schritt für die Unternehmensgruppe Saarbrücker Zeitung", unterstreicht Michael Grabner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Alle Zeitungsverlage müssen nicht ausgeschöpfte Potenziale in Leser- und Anzeigenmärkten aufspüren. Werbende Kunden sollen über die Tabloids schlechthin eine junge und Konsum orientierte Zielgruppe ansprechen können. Der Kampf ist härter geworden.
In Berlin startete Springer im Mai 2004 mit der "Welt Kompakt", einen Tag nach der Wahl des Bundespräsidenten. Das Titelbild stand fest. Mittlerweile ist Deutschlands erste überregionale Qualitäts-tageszeitung in über 20 deutschen Großstädten erhältlich. In Berlin kann sie seit Februar 2005 sogar im Abonnement gekauft werden. Der Redaktionsschluss ist Mitternacht. So können späte Ereignisse wie Live-Übertragungen im Fernsehen, Entwicklungen aus Übersee oder Sportveranstaltungen, die erst spät abends enden, noch redaktionell bearbeitet werden. Der Titel drückt es aus: die Texte sind knapp und aktuell. Es fehlen ausführliche Analysen, Reportagen und Hintergründe. Aber die bietet schließlich das Mutterblatt "Welt".
Immer mehr Leser wollen Fotos und Farben. Damit arbeitet auch "Direkt", die Kompaktzeitung aus dem Hause DuMont Schauberg in Köln, die im Oktober 2004 mit einer Auflage von 10.000 Stück auf den Markt kam. Die 40 Seiten erscheinen im halben Berliner Format. Damit ist "Direkt" noch kleiner und handlicher als die Konkurrenz. Charakteristisch für die Tabloids ist die Aufhebung der Bücher, also die Einzelteile der Zeitung. Politische Themen erscheinen sozusagen gut verpackt zwischen attraktiven Fotos. "Wir greifen auf ganz anderes Bildmaterial auf diesen Seiten zurück", sagt Redaktionsleiter Wolfgang Brüser. Statt langweiliger Fotos von Politikern, die sich Hände schütteln, kämen die besten Bilder des Tages ins Blatt.
Das Tabloid-Fieber, das in England 2003 begann - der "Independent" ist relativ schnell 2004 komplett auf das kleinere Format umgestellt worden und verzeichnet bemerkenswerte Auflagenzuwächse - hat deutsche Verleger angesteckt. In vielen europäischen Nachbarländern wie Belgien, den Niederlanden und Skandinavien hat sich die geschrumpfte Tageszeitung bereits als das dominierende Format durchgesetzt.
Doch einfach nur das Format umzustellen, würde nicht ausreichen, um neue Leserschichten anzusprechen. Deshalb testen Verlage unterschiedliche Konzepte. So wird die "Leine-Zeitung" als kleine Lokalzeitung im halben Format der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" oder der "Hannoverschen Neuen Presse" beigelegt. "Boulevard Würzburg" ist ein wöchentliches Special für 50 Cent allein mit einem zehnseitigen Terminkalender, das sich vornehmlich an Jugendliche wendet. Die "News am Abend" des Handelsblatts ist eine kostenlose aktuelle Infozeitung für "Premium-Kunden" der Bahn und Lufthansa mit den wichtigsten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft.
Die Light-Ausgaben umfassender Lokal- und überregionaler Tageszeitungen haben eines verdeutlicht: Die Zielgruppen lassen sich immer detaillierter von einander abgrenzen. So entstehen neue Zeitungstypen mit geringeren Auflagen. Die Tabloids sind eine Reaktion von Zeitungsmachern auf den Lebensstil von Menschen. Wie viel Leser sie dauerhaft anziehen, ist die offene Frage. Aber genau das interessiert die Werbung treibende Wirtschaft.