Es gab blaue und rote Halstücher, Ausweise, einen Pioniergruß, Fahnenappelle und eine Pionierrepublik - die lag am Werbellinsee. Und es glich einer Auszeichnung, dorthin delegiert zu werden. Die Pionierorganisation war in der DDR über vier Jahrzehnte so eng mit der Schule verzahnt, dass fast jeder, der im Osten aufgewachsen ist, persönliche Erinnerungen an "die Pioniere" hat.
Die Strukturen der Schule wurden genutzt, um die Organisation fest zu installieren und die Mitgliedschaft als selbstverständlich erscheinen zu lassen. Pionierveranstaltungen waren so oft auch Klassenveranstaltungen, von denen die wenigen Nichtmitglieder dann automatisch ausgeschlossen waren. Die Meinungen über die Pioniere gehen auseinander: Die einen vergleichen sie mit der Hitlerjugend, andere sehen viele positive Seiten. Erinnerungen an Pionierlieder, Klassenfahrten und erste Liebe kreuzen sich mit denen an erzwungene Mitgliedschaft und militärische Rituale.
Wann immer das Thema Pioniere zur Sprache kam, erlebte die Journalistin Barbara Feldmann starkes Interesse bei Gesprächspartnern in Ost und West. So begann sie auch schon kurz nach Wende, persönliche Erinnerungen zu sammeln. In ihrem Buch kommen so beispielsweise die Brüder Karl und Paul Maercker zu Wort, die sie schon 1991 interviewt hatte. Damals waren die beiden zwölf und zehn Jahre alt; ihre Erinnerungen sind noch unverbraucht und entsprechend detailliert.
17 solche Gespräche mit ganz unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen Generationen, die in unterschiedlichen Phasen der DDR selbst einmal Pionier oder eben kein Pionier gewesen sind, ergeben zusammen ein vielschichtiges Bild. Es kommen nicht nur ehemalige Schüler zu Wort, sondern auch die Lehrerin und der Schuldirektor, Pionierleiter und mit Wilfried Poßner auch ein führender Pionierfunktionär, dessen Textbeitrag sich über weite Strecken wie ein Rechtfertigungsversuch für seine frühere Funktion liest. Ein interessanter Anhang mit zahlreichen Wort- und Bilddokumenten liefert dazu Hintergrundinformationen zur Geschichte der Pionierbewegung.
Aufschlussreich ist beispielsweise die Geschichte des titelgebenden Liedes vom kleinen Trompeter, an das sich wohl jeder ehemalige Pionier erinnern kann. Das Lied ist im Ursprung auf ein Soldatenlied des Ersten Weltkriegs zurückzuführen und gehörte leicht abgewandelt seit den 20er-Jahren ebenso zum Liedgut der kommunistischen Arbeiterbewegung, wie es in einer ähnlichen Version im Liederbuch der SA stand.
Die Dokumente und Materialien sprechen weitgehend für sich, wie der fiktive Brief eines elfjährigen Schülers "an den Bundeskanzler Dr. Adenauer" (1951) belegt. Die militärische Kommandosprache der Appellordnung, die Gebote und Gesetze der Pioniere sowie Auszüge aus einem Pioniergruppentagebuch einer 4. Klasse von 1974/75 ergänzen und illustrieren darüber hinaus die Berichte der Interviewpartner aus ihrer DDR-Schulzeit.
Inwieweit der Titel glücklich gewählt ist, mag eine Geschmacksfrage sein. Auch hinterlässt die Zusammenstellung der Gespräche und Dokumente den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Dennoch vermitteln die unterschiedlichen Stimmen, die hier zu Wort kommen, ein umfassendes Bild der Organisation, die für die meisten Menschen in den neuen Ländern ein Stück Lebensgeschichte bedeutete.
Barbara Feldmann
Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint.
Kindheit in der DDR - Erinnerungen an die Jungen Pioniere.
Lukas Verlag, Berlin 2004; 375 S., 19,80 Euro