Im milliardenschweren Textilstreit zwischen den EU-Staaten und der Volksrepublik China können nicht alle aufatmem, aber einige. Auch Raven Karalus vom Verband der Fertigwarenexporteure in Hamburg fiel "ein Stein vom Herzen". Nachdem die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten den Kompromiss gebilligt haben, den Handelskommissar Peter Mandelson im Textilstreit mit China ausgehandelt hat, sind die Importeure zuversichtlich. Rund 80 Millionen Hosen, Pullover, Büstenhalter und andere Textilien, die sie schon bezahlt haben, können nun hoffentlich in die Regale kommen und verkauft werden. In den nächsten Tagen sollen sie den Zoll passieren. Die Kleidungsstücke "Made in China" stapeln sich seit Juli in den Häfen der EU. Damals war eine Vereinbarung in Kraft getreten, die EU-Handelskommissar Peter Mandelson mit dem chinesischen Handelsminister Bo Xilei einen Monat zuvor in Schanghai erzielt hatte. Danach wird der Anstieg der chinesischen Textilexporte in diesem und in den kommenden beiden Jahren auf jeweils zehn Prozent begrenzt.
Das Schanghai-Abkommen stellt einen Kompromiss in doppelter Hinsicht dar. Denn unterschiedliche Interessen gibt es nicht nur innerhalb der Gemeinschaft, sondern auch zwischen der EU und China. Das Abkommen soll innerhalb der EU die Interessen der Textilerzeuger und die der Importeure miteinander vereinbaren. Länder mit einer großen Bekleidungsindustrie wie Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Portugal und Griechenland drängten die Kommission schon seit Monaten, die Importflut aus China einzudämmen. Deutsche, Briten, Holländer und Skandinavier sind dagegen an einem möglichst freien Handel mit der billigen Ware aus China interessiert.
Zwischen allen Stühlen sitzt die Kommission. Denn sie möchte die Beziehungen zu Peking noch weiter ausbauen. Daher will Mandelson auf keinen Fall einseitige Massnahmen ergreifen, die die Chinesen verärgern könnten. Das Schanghai-Abkommen bindet die Chinesen in das europäische Krisenmanagement ein.
Wie es dennoch zu der Warenblockade kommen konnte, sorgte zwischen Experten und Verbänden, Politikern in den EU-Staaten sowie der Kommission in Brüssel monatelang für Streit. Fest steht, dass bereits zwei Wochen nachdem die Vereinbarung in Kraft trat, die ersten dort festgelegten Importkontingente erschöpft waren. In den europäischen Häfen wurden die Textilien aus China nicht mehr abgefertigt. Den Importeuren, die ihre chinesischen Lieferanten bereits bezahlt hatten, drohten Verluste in Millionenhöhe.
Und wen trifft nun die Schuld? Die Importeure, die weiter in China einkauften, als das Quotenabkommen schon absehbar war? Die Kommission in Brüssel, die offenbar den Überblick über die Entwicklung verloren hat? Oder den Handelskommissar, der den Druck auf die Protektionisten im Rat erhöhen und das Quotenregime als unpraktikabel vorführen will? Klar ist: am Interessenausgleich von Schanghai wird jetzt zu Lasten der Textilproduzenten in der EU gerüttelt, denn de facto dürfen die Chinesen in diesem Jahr deutlich mehr Textilien in die EU einführen als in Schanghai vereinbart wurde. Ihre Kontingente für das nächste Jahr werden dagegen nur leicht gekürzt. Der liberale Fraktionschef im Europaparlament Graham Watson hält das Quotenabkommen mit Peking für eine "Heuchelei". Die Europäer könnten nicht gegenüber Peking den freien Handel predigen und den eigenen Markt durch Kontingente abschotten.
Die Mehrheit der Abgeordneten in Strasburg will jedoch den Druck auf die Chinesen aufrechterhalten. Um ihren Kostenvorteil einzuebnen, müssten sie sich "den internationalen Standards annähern", sagt die SPD-Abgeordnete Erika Mann. Gemeinsam mit den Unternehmen und den Sozialpartnern soll die Kommission einen "europaeischen Textilplan" aufstellen. Damit soll die Branche auf das Jahr 2008 vorbereitet werden, in dem die Importquoten für das Gewebte und Gewirkte aus China definitiv auslaufen.