Es ging darum, wie der 77-Jährige in seinem Amt bestätigt wird. Es ging um den Wahlkampf, um die Kampagne, um die öffentlichen Auftritte und die öffentlichen Debatten. Ägypten hat das noch nie zuvor in seiner modernen Geschichte erlebt. Und noch nie hat sich ein amtierender Präsident des Landes derart viel öffentliche Kritik anhören und dazu Stellung nehmen müssen. Am mutigsten hat sich dabei Ayman Nour, Chef der erst im Oktober vergangenen Jahres zugelassenen liberalen Al-Ghat Partei (Der Morgen) gezeigt, der dafür mit einem Stimmenanteil von beachtlichen 7,5 Prozent belohnt worden ist.
Beinah ganz im Stil westlicher Politiker hat Husni Mubarak während des knapp dreiwöchigen Wahlkampfs gewaltige Versprechungen gemacht. In den kommenden sechs Jahren seiner fünften Amtsperiode sollen 4,5 Millionen Jobs geschaffen, eine halbe Millione Wohnungen, 3.000 neue Schulen und 1.000 neue Fabriken gebaut werden. Mubarak ist in der Oppositionspresse angesichts der schwer einzulösenden Versprechungen mit dem ägyptischen Till Eulenspiegel Goha verglichen worden. Dieser hatte dem greisen Sultan versprochen, einem Esel binnen 20 Jahren das Lesen und Schreiben beizubringen. Als die Leute wissen wollten, wie er das zu machen gedenke, sagte er schlicht: Gar nicht - entweder der Esel oder der Sultan stirbt, oder aber ich werde bis dahin tot sein.
Ob Husni Mubarak tatsächlich noch sechs Jahre im Amt bleiben wird, scheint keineswegs ausgemacht. Gerüchte wollen wissen, dass es ihm gesundheitlich nicht sehr gut geht. Andere Gerüchte sagen, er wolle in den kommenden Jahren seinem 42-jährigen Sohn Gamal, der bereits eine Spitzenposition in der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) bekleidet, den Weg ins Präsidentenamt bereiten. Im Namen des Vaters und des Sohnes weist das Präsidialamt derartige Spekulationen jedoch stets entschieden zurück.
Seit vielen Jahrhunderten werden die Bewohner Ägyptens fremdbestimmt. Mitte des vergangenen Jahrhunderts schien die Fremdbestimmung mit der Revolution der Freien Offiziere zu enden. Der König wurde gestürzt, die Briten mussten endgültig das Land verlassen. Doch der Umsturz von 1952 hat den Bürgern Ägyptens keine Freiheit und vor allem keine Mitbestimmung gebracht. Gamal Abdel Nasser, Anwar el-Sadat und auch Husni Mubarak - alle drei langjährigen Präsidenten der Republik Ägypten haben ihr Volk in politischer Unmündigkeit gelassen.
Diese politische Unmündigkeit, so die Autoren der im Auftrag der Vereinten Nationen erstellten Berichte über die Menschliche Entwicklung in der arabischen Welt (Arab Human Development Reports) ist einer der Hauptursachen für die wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit Ägyptens. Ein weiterer Grund ist die fehlende Rechenschaftspflicht für die Herrschenden, die über das Land und seine Reichtümer nach Gutdünken verfügen, ohne dafür belangt zu werden. Ein dritter Grund ist die fehlende Rechtssicherheit, die nachhaltige Investitionen verhindert und viele kluge Köpfe aus dem Land getrieben hat und weiterhin treibt.
Ägypten sieht sich heute einer Vielzahl wachsender Probleme gegenüber: Bevölkerungsexplosion, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende soziale Schieflage, vermehrte Armut, Verknappung der Ressource Land. Ägypten gleicht einem Pulverfass und die Lunte daran brennt bereits. Sie kann kontrolliert und gelöscht werden - aber nur mit aktiver Mitwirkung des Volkes. Es mag sein, dass vor allem amerikanischer Druck Husni Mubarak dazu bewogen hat, sich auf das Wagnis einer Wahl mit Gegenkandidaten einzulassen. Wobei die Wahl an sich nie eine ernste Bedrohung für sein Verbleiben im Amt gewesen ist, sondern die damit in Gang gesetzten Prozesse. Und diese Prozesse werden von wirklich reformwilligen Kräften wie der außerparlamentarischen Kefaya-Bewegung (Kefaya: Es reicht!) getragen. Politischer Druck von außen und gesellschaftlicher Druck von innen haben die in den vergangenen Wochen zu spürende sanfte demokratische Brise in Ägypten ermöglicht. Beides muss zum Wohle Ägyptens, des gesamten Nahen Ostens sowie der angrenzenden Regionen Europa und Schwarzafrika aufrecht erhalten werden. Ägypten braucht dringend politische Reformen, damit das Land wirtschaftlich vorankommt und nicht in einem Sumpf von Armut und Vernachlässigung versinkt. Ein kleiner Anfang ist mit der Mehrkandidatenwahl zumindest gemacht worden - auch wenn es Berichten unabhängiger nationaler Wahlbeobachter zufolge offensichtlich wieder zu Mogeleien und Betrügereien seitens der herrschenden NDP gekommen ist.
Für die bislang weitgehend marginalisierte ägyptische Opposition gilt jetzt: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die nächste wichtige Etappe auf dem Weg zu einer politischen Umgestaltung Ägyptens wird die Parlamentswahl im November sein. Denn dann geht es darum, die ungesunde Dominanz von Husni Mubaraks NDP zu brechen, die mehr als 90 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung einnimmt und die Regionalräte sowie die Beratende Versammlung beherrscht.
Filz, Korruption und Vetternwirtschaft haben im Ägypten des Husni Mubarak in den vergangenen 24 Regierungsjahren gewaltige Blüten getrieben. Die bes-ten Mittel dagegen sind Transparenz, Pluralismus und Mitgestaltung. Bislang hat Mubarak das seinen Landsleuten hartnäckig verweigert. Den Westen hat er vor allem mit dem Hinweis auf die drohende Gefahr islamischer Extremisten hinzuhalten vermocht. Dieser vorgeschobene Grund darf nicht länger akzeptiert werden. Und der Westen, der sich unter Führung Washingtons so vehement für mehr Demokratie im Nahen Osten ausspricht, muss lernen, sich gegebenenfalls auch mit demokratisch errungenen unbequemen Mehrheiten zu arrangieren. In Ägypten heißt das ganz konkret: Muslimbrüder und moderate Islamis-ten, die als die zweitstärkste politische Kraft nach der NDP gelten, dürfen nicht länger von der politischen Willensbildung ausgeschlossen werden. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich in den politischen Prozess einzuschalten. Ansonsten drohen Teile der moderaten Islamisten des Landes in den Extremismus abzudriften. Der weltweit geführte Krieg gegen den Terrorismus bekäme dann in Ägypten ein neues Schlachtfeld.