Im dritten Anlauf hat die Slowakei es geschafft: Am 10. Oktober wurde sie von 185 der 191 UN-Mitgliedstaaten als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt. Die Slowakei wird dem Gremium damit in den Jahren 2006 und 2007 angehören; ab 1. Dezember nimmt sie an dessen beratenden Sitzungen teil. Für Außenminister Eduard Kukan geht ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Bei den vorherigen Bewerbungen war das mitteleuropäische Land in der Abstimmung gegen Bulgarien und die Ukraine deutlich unterlegen. Diesmal war die Slowakei einziger Kandidat für den für osteuropäische Länder vorgesehenen Sitz.
Die Freude der slowakischen Medien über den jüngsten diplomatischen Erfolg wurde dadurch nicht getrübt. Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat sei für die Slowakei eine kaum zu überschätzende Möglichkeit, sich in der Weltöffentlichkeit einen Namen zu machen und darüber hinaus konstruktiv an der Lösung weltpolitischer Probleme mitzuwirken, schlossen sich die Journalisten fast einhellig Staatspräsident Ivan Gasparovic an.
Sich weltweit einen Namen zu machen, scheint momentan wichtiger zu sein als sich außenpolitisch tatkräftig zu engagieren, wenngleich die Slowakei seit ihrer Eigenständigkeit im Jahre 1993 weltweit an mehr als 20 Friedensmissionen beteiligt war und sich nicht zuletzt als einer der entschiedensten Verbündeten der USA im Irak und in Afghanistan erwiesen hat. Darüber hinaus gelten die ausgezeichneten Beziehungen der Slowakei zu Serbien und in die arabische Welt als Schlüssel zu friedlichem Engagement in zwei weiteren Krisenherden.
Dennoch kämpft der Staat im Herzen Europas noch mit Imageproblemen. Die Zeiten, in denen die Slowakei nicht als eigener Staat wahrgenommen oder nahezu unvermeidlich gleichgesetzt wurde mit Slowenien sind zwar vorbei; doch nicht nur die slowakische Regierung würde den Schwung des anhaltenden Wirtschaftsbooms gerne dafür nutzen, dass das Land mit seinen rund 5,5 Millionen Einwohnern im Ausland nicht mehr auf das Bild eines sich dynamisch entwick-elnden Wirtschaftsstandorts mit sehr günstigen Lohnkosten reduziert wird.
Allerdings scheinen sich die Slowaken auch zwölf Jahre nach der friedlichen Abspaltung von der früheren Tschechoslowakei gewissermaßen noch selbst im Weg zu stehen, wenn es um die Verbesserung ihres internationalen Images geht. So ist es bis heute nicht gelungen, eine tragfähige touristische Werbekampagne aus der Taufe zu heben, und das, obwohl beispielsweise die Ostslowakei einen Reichtum an mittelalterlichen Kirchenschätzen aufweist, der auf dem Kontinent seinesgleichen sucht. Offiziell wird dies gerne mit Geldmangel begründet; tatsächlich aber scheinen ständige Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Außenministerium und zwischenzeitlich beauftragten Agenturen der Grund dafür zu sein.
Es wäre jedoch zu einfach, nur bestimmten Institutionen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Vielmehr scheinen sich die meisten Slowaken bisher nicht so recht darüber im Klaren zu sein, was ihre Identität ausmacht. Bezeichnenderweise hat die führende Tageszeitung "Sme" gerade erst eine Serie "Wer sind wir?" gestartet. Verwunderlich ist dies nicht, haben die Slowaken doch in der relativ kurzen Zeit gerade eines guten Jahrzehnts drei gewichtige Veränderungen verdauen müssen: Sie sind nicht nur eigenständig, sondern auch Mitglied der Europäischen Union sowie der NATO geworden. Dem außenstehenden Betrachter mag dies vielleicht nicht als allzu schwieriges Unterfangen erscheinen; es sollte aber nie vergessen werden, dass es bis 1993 kaum so etwas wie eine eigene slowakische Geschichtsschreibung gab.
Die meisten Slowaken leben in dem Bewusstsein, einem der ältesten Völker Europas anzugehören; tatsächlich aber ist ihr Geschichtsbewusstsein vor allem durch den Terminus "Fremdherrschaft" geprägt: Jahrhundertelang wurden die Slowaken von den Ungarn regiert; ab 1918 wiederum hatten sie sich mit einer gewissen Art von Hassliebe in einem Staat mit den Tschechen zu arrangieren. Darüber hinaus reagieren Slowaken zumeist etwas zögernd, wenn es darum geht, ihre Ursprünge darzulegen. Die meisten von ihnen könnten sich nämlich zu mehreren der über zehn Minderheiten des Landes rechnen, was die Suche nach der eigenen Identität nicht erleichtert. Bemerkenswerterweise hat sich im vergangenen Jahr ein slowakischer Politiker als Kämpfer für eine slowakische Identität erwiesen, der von seinem Ressort her nicht geradezu prädestiniert dafür erscheint: Ivan Miklo¨, Urheber einer von etlichen internationalen Wirtschaftsexperten als "genial" gepriesenen Steuerreform, durch die den Slowaken zum 1. Januar 2004 ein Einheitssteuersatz von 19 Prozent beschert wurde und die immer noch viele Auslandsinvestoren anlockt.
Kritik vor allem aus Deutschland und Frankreich, die Slowakei betreibe Steuerdumping, parierte Miklo¨ geradezu schöngeistig. "Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft gleichberechtigter souveräner Staaten. Also muss es in bestimmten Bereichen wie der Steuer- und Sozialpolitik möglich sein, eigenständig zu verfahren", betonte er ausdrücklich in seinem Grußwort für die international vielbeachtete Kampagne "Slowakei - Europa im Kleinen", mit der sich das Land nach dem EU-Beitritt sehr erfolgreich nicht nur als Steuerparadies, sondern auch als aufstrebende Kulturoase beispielsweise in Berlin präsentierte.
Miklo¨ war wohl der erste slowakische Politiker, der auf internationaler Ebene derart deutlich wurde. Im eigenen Land hat seither gewissermaßen ein Aufwachen stattgefunden; viele Spitzenpolitiker trauen sich nunmehr, einen landesspezifischen Standpunkt zu beziehen. Vor dem EU-Beitritt waren solche Äußerungen noch mehr oder weniger tabuisiert, wohl vor allem aus Angst, die Aufnahme in den stärksten Wirtschaftsblock der Welt gefährden zu können.
Der Hauptstadt Bratislava kommt Schlüsselrolle bei der Ausformung eines slowakischen Images zu. Vor allem der Bürgermeister der Altstadt, Peter Ciernik, setzt fast alles daran, Bratislava in ein kulturelles und historisches Licht von europäischem Format zu stellen. Inzwischen ist Bratislava Sitz der Europäischen Musikakademie und veranstaltet viele Musik- und Theater-Festivals. In diesem Jahr wurde darüber hinaus eine Aktiengesellschaft gegründet, die künftig für die Ausrichtung des sicher aufwändigsten Spektakels des Jahres, der "Krönungsfeierlichkeiten", verantwortlich zeichnet: Seit 2003 wird im Martinsdom am ersten Septemberwochenende der Krönung von 19 Habsburgern zu ungarischen Königen gedacht. In diesem Jahr wurden die Feiern zum Gedenken an die Inauguration von Rudolf II., dem Initiator des Prager Hradschins, auch auf die Westslowakei ausgedehnt: Der gekrönte Rudolf zog sich schließlich auf die Burg von Trencín zurück. Für Ciernik ist damit jedoch längst nicht Schluss: Sein Wunschtraum wäre es, wenn in nicht allzu ferner Zukunft einmal alle Krönungsstädte in Europa ein großes gemeinsames Fest feiern würden.