Nach einem Vierteljahrhundert Öffnungspolitik zählt China heute zu den wichtigsten Exportmärkten für Europa, die USA und Japan. Doch auch der Export aus China boomt weltweit, ebenso wie Chinas Investitionen im Ausland. Die US-Konjunktur ist sogar abhängig von den chinesischen Dollar-Reserven, Tendenz steigend, und Chinas Bruttoinlandsprodukt wächst seit Jahren auf Rekordhöhe.
Auch Chinas Bedeutung für die deutsche Export- und Import-Wirtschaft nimmt ständig zu. Technologisch, so Karl Pilny, habe Europa in vielen Schlüsselindustrien schon lange den Anschluss an die USA, aber auch an Asien verloren; eine Vormachtstellung Asiens sei zukünftig möglich. Die Folgen des ökonomischen Booms seien auch für Asien gravierend - in keiner anderen Weltregion herrsche eine solche Geschwindigkeit des wirtschaftlichen und sozialen Wandels. Schließlich werden zur Jahrhundertmitte zwei Drittel der Menschheit in Asien leben.
Dem habe die Außen- und Wirtschaftspolitik der anderen Global Player Rechung zu tragen und eine positive Haltung einzunehmen, appelliert der Berliner Wirtschaftsjurist und Ostasienexperte an die Europäer. Pilnys tief greifende Analysen des Aufstiegs Japans und Chinas zu wirtschaftlicher Macht und seine abwägenden Prognosen sind geeignet, die zunehmend emotionalisierte Diskussion über die wachsende Bedeutung Asiens, deren Argumente an frühere Debatten über die "gelbe Gefahr" erinnern, zu versachlichen.
Profund schildert der Autor die gegenwärtige politische, soziale und wirtschaftliche Situation in China. Zentrales Thema des Buches ist der Vergleich zwischen China und Japan unter politischen und ökonomischen Aspekten, ausgehend von den kulturellen und historischen Hintergründen. Angesichts der ak-tuellen Spannungen zwischen beiden Nationen ist Pilnys Analyse des vielschichtigen Verhältnisses besonders wichtig.
Der kompakte Überblick über die Geschichte Chinas und Japans macht deutlich, dass der kulturelle Austausch, insbesondere der "Kulturexport" von China nach Japan seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. deren Beziehungen bis heute prägt. Pilny, der jahrelang als Jurist und Universitätsdozent in Japan gearbeitet hat, nennt es "einen verdeckten Minderwertigkeitskomplex" Japans gegenüber der chinesischen Kultur.
Überschattet wird das bilaterale Verhältnis aber vor allem von den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Japan und China, die mit dem japanisch-chinesischen Krieg 1894/95 begannen und bis 1945 andauerten. In sachlicher Kürze schildert der Autor die japanische Besetzung Chinas im 20. Jahrhundert, die blutigen Ereignisse des japanisch-chinesischen Krieges seit 1937 und das Massaker japanischer Truppen an der Bevölkerung von Nanking im Dezember 1937.
Die Weigerung aller bisherigen japanischen Regierungen, die Schuld dafür und für die Grausamkeiten der Besatzungszeit generell anzuerkennen und sich zu entschuldigen, sind Hauptstreitpunkte zwischen Japan und China.
Pessimistisch lautet Pilnys Schlussfolgerung, dass trotz aller wirtschaftlichen Zusammenarbeit Chinas und Japans letztlich ein tiefer Graben des Misstrauens eine enge politische Kooperation verhindere. Während er Japans Zukunft unter dem Druck notwendiger Reformen zurückhaltend beurteilt, sieht Pilny Chinas Entwicklung und dessen Beziehungen zum Westen optimistisch: China werde als echter Global Player eher eine passive Weltmacht sein, der an harmonischen und komplementären Beziehungen zu seinen Nachbarn und anderen Mächten liege.
Karl Pilny
Das asiatische Jahrhundert.
China und Japan auf dem Weg zur neuen Weltmacht.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005; 340 S., 24,90 Euro