Der Sudan. Bereits gegen sieben Uhr morgens ist das Thermometer auf 30 Grad gestiegen. Bis zum Mittag werden es locker 45 sein. Dazu weht ein scharfer Wind, der einem die Sandkörner in die Poren fräst. Doch richtig schlimm wird es am späten Nachmittag. Wenn es wieder kühler wird. Dann, wenn neben den Skorpionen und den Schlangen auch die Mücken aus ihren Verstecken kommen. Zu Tausenden - auf der Suche nach Blut - legen sie sich wie ein schwerer, schwarzer Umhang über das Camp. Jetzt das Zelt zu verlassen wäre nicht nur leichtsinnig, sondern lebensmüde. Jedes Insekt könnte die Nothelfer mit Malaria infizieren. Das nächste Krankenhaus ist Tausende Kilometer entfernt. Wenn es denn einen Flug dorthin gibt. "Ich muss halt vorsichtig sein. Hier kann jeder meiner Schritte fatale Konsequenzen mit sich bringen", sagt die junge Frau mit den langen, gelockten, braunen Haaren.
Ihr Name ist Kathryn Taetzsch, Jahrgang 1974, studierte Soziologin, verheiratet, ein Kind ist in der späteren Lebensplanung vorgesehen. "Wenn die Zeit dafür reif ist", sagt Taetzsch, während sie sich den Sand aus den Ohren kratzt. Seit neun Monaten arbeitet sie im Sudan. Frühere Einsatzorte waren nicht weniger anspruchsvoll. Simbabwe, ein totalitärer Überwachunsstaat, die indonisische Inselgruppe der Molukken, von wo aus sie wegen der ethnischen Spannungen evakuiert wurde, dann kam der Tschad.
"Die Situation dort war unglaublich. Hunderttausende von Menschen auf der Flucht. Es gab kaum Wasser und Lebensmittel. Seuchen bedrohten das Leben der Flüchtlinge", erzählt sie. Heute ist ihr Einsatzort der Sudan. 20 Jahre Bürgerkrieg haben Afrikas größtes Land geprägt. Armut, Hunger, Vertreibung und Rechtlosigkeit bestimmen das Bild. "Dazu kommt Aids. Auch davon ist der Sudan nicht verschont geblieben", sagt Taetzsch, die zwischen Nairobi in Kenia und dem Sudan pendelt. Die kenianische Hauptstadt ist ihr Zuhause. Von hier aus plant sie ihre Einsätze, aquiriert Gelder, mailt ihre Kollegen in Brüssel oder Deutschland an, bittet immer wieder um mehr finanzielle Unterstützung für den Sudan. Ein harter Job, für den Taetzsch einen immer längeren Atem braucht. Überall auf der Welt gibt es Krisen. Überall wird Geld gebraucht. Tsunami. Das Erdbeben in Pakistan. Andere afrikanische Krisenherde wie der Kongo. Die Liste scheint endlos.
Nairobi heißt aber auch Entspannung, mit ihrem Mann Matthias, der dort an der Uni arbeitet. Kochen, einkaufen gehen oder Freunde sehen, so sieht ihr Alltag dann aus. "Ohne ein liebevolles Privatleben könnte ich meinen Job nicht machen. Schließlich sehe ich die Not ja täglich mit meinen Augen. Und ich will den Menschen helfen. Ich wollte das schon immer machen. Nicht irgendwo in einem Büro sitzen", sagt sie im Hinblick auf ihre frühere Arbeit am Institut für Friedensforschung in Hamburg.
Aus dem bequemen Büro in der Hansestadt heraus bewarb sie sich vor vier Jahren bei World Vision. Das Kinderhilfswerk bildet Nothelfer in einem dualen Ausbildungssystem aus. Teils Theorie im Büro, teils Arbeit im Einsatzort. 18 Monate lang. Unter den Traumberufen deutscher Schulabgänger steht die humanitäre Hilfe ganz oben. Abenteuerlust. Raus aus Deutschland. Die Welt sehen. Helfen. Eine Mischung aus Indiana Jones und Mutter Theresa? Ein Traum? Oder harte Knochenarbeit?
"Traumhaft, oft. Aber der Verzicht, die Anstrengungen und die Gefahren sind nicht zu unterschätzen. Dazu kommt ein gewaltiges Maß an Verantwortung. Von meinen Kollegen bei World Vision bin ich aber gut drauf vorbereitet worden", erklärt Taetzsch. Denn neben dem Organisationstalent, das sie jeden Tag neu unter Beweis stellen muss, ist sie auch noch für ein Millionenbudget verantwortlich - am Ende muss jeder Euro ordentlich abgerechnet werden, dann zählen nur harte Fakten.
Da spielt es keine Rolle, wer der Auftraggeber ist: das Katastrophenbündnis "Aktion Deutschland Hilft", das Amt für Humanitäre Hilfe der Europäischen Union (ECHO) oder das Auswärtige Amt in Berlin. "Fehler würden unsere Seriosität in Frage stellen. Das darf nicht sein. Unsere Spender haben ein Recht darauf zu erfahren, wo ihr Geld geblieben ist", sagt Taetzsch, die, wie andere den Bus zur Arbeit nehmen, in den Hubschrauber oder das Einpropellerflugzeug steigt. Wie immer zu Wochenanfang.
Während der Pilot sie über die unendlichen Weiten Kenias fliegt, hin zur sudanesischen Grenze, geht Kathryn nochmals ihre Lieferlisten durch. Decken, Lebensmittel, Moskitonetze. Am Grenzflughafen von Lokichokio angekommen, geht sie zunächst zum UN-Büro. Sicherheitstreffen. Der Sicherheitsoffizier erklärt ihr die momentane Lage, zeigt ihr auf einer Karte die Evakuierungspunkte, von wo aus sie im Falle eines Notfalls aufgesammelt und ausgeflogen würde. Pflichtprogramm für alle Nothelfer.
"Zum Treffpunkt bräuchte ich zu Fuß sechs Stunden. Machbar", sagt sie und fügt hinzu: "Hier kommt es auf jedes Detail an. Im Notfall kann dir ein Streichholz das Leben retten." Anschließend klärt sie mit ihrem Team den Einsatzort ab: "Von unserem Basislager aus erreichen wir mehrere Tausend Menschen. Wir verteilen fünf Tage lang." Fünf Tage Schwerstarbeit. Wie war das mit Indiana Jones und Mutter Teresa? "Letztendlich zählt die getane Arbeit", sagt Taetzsch auf dem Weg ins nächste Flugzeug.
Weit und breit ist nichts zu sehen. Stundenlang fliegt die Chesna über die Savanne. Dann tauchen irgendwann kleine Strohhütten am Horizont auf. Von oben sehen sie aus wie kleine, braune Tupfer. Auf einer staubigen, verflixt kurzen Piste landet die Maschine. Ihre Kollegen, allesamt Sudanesen, holen sie ab. "Hello, Kathryn. Good to see you. Finally you are back", begrüßen sie sie. "Dabei war ich nur einige Tage weg", sagt sie.
Mit dem Jeep geht es dann einige Kilometer weiter zum Basislager. Die holprigen Pisten ähneln einer Achterbahnfahrt. Ein starkes Kreuz ist Arbeitsvoraussetzung. In wenigen Minuten koordiniert Kathryn dann die Verteilung für die kommenden Tage. "Alles kommt über dem Luftweg rein. Straßen, auf denen Laster fahren könnten, gibt es nicht", erklärt Taetzsch. Gegen 16 Uhr setzen sich die ersten Moskitos auf ihre Arme. Zeit für den Rückzug.
Schnell bereitet sie sich im Camp auf die Nacht vor, schlägt ihr Zelt auf, schlüpft in bequeme Kleidung. Das Clo ist ein Loch im Boden, das bei jedem Gang zunächst einmal mit einer Taschenlampe nach Skorpionen oder Schlangen ausgeleuchtet werden muss. Die Dusche ist ein Eimer mit Wasser. Gegessen werden mitgebrachte Konserven. Getrunken wird mitgebrachtes Wasser. Im Sudan gibt es keine Geschäfte, keine Restaurants, keine Cafés.
"Ungefähr so muss es auf dem Mond sein", sagt Taetzsch mit einem Lächeln. Schnell ist klar, wer die Situation nicht mit Humor nimmt, hat schnell verloren. Optimismus ist das Schlüsselwort. "Wenn du nicht wirklich liebst, was du machst, gibst du hier nach einem Tag auf", weiß Taetzsch. Spätestens um 17 Uhr sind alle in ihren Zelten verschwunden, liegen auf ihren Strohmatten, lesen, dösen und warten auf den kommenden Morgen. Der beginnt, bei Sonnenaufgang, so gegen halb sechs.
Taetzsch und ihre Kollegen schleppen die Hilfsgüter zu einem Verteilungsplatz. Bereits am Tag zuvor wurden die Dorfältesten über die Verteilung informiert. Gegen sieben Uhr stehen Hunderte von Frauen, Kindern und Männer an, um sich die Dinge zu holen, die sie zum Überleben brauchen. Kinder spielen im Sand. Babys weinen. Niemand, aber auch wirklich niemand, hat ein Kleidungsstück an, das nicht zerfetzt ist. Viele der Kinder sind unterernährt, husten sich ihre kleinen Lungen aus den aufgblähten Leibern.
Schnell ist alles verteilt. Die Menschen kehren zu ihren Hütten zurück. Zurück bleiben Taetzsch und ihr Team. Erschöpft, aber zufrieden. Sie haben ihren Job für heute erledigt. Ihnen bleiben noch wenige Stunden, um sich auf den kommenden Tag vorzubereiten. Eine weitere Gemeinde, einige Stunden zu Fuß entfernt, erwartet die Nothelfer. Taetzsch: "Wenn ich sehe, wie wenig hier ein Mensch braucht und dass wir helfen, dann weiß ich, dass ich etwas im Leben richtig mache."