Die Idee der multikulturellen Gesellschaft ist in Verruf geraten. Dazu hat unter anderem die im vergangenen Jahr in den Medien geführte Diskussion um "Parallelgesellschaften" beigetragen. "Zwangsheiraten", "Ehrenmorde" und andere, auch terroristische Gewaltverbrechen, in die Migranten involviert waren, lieferten den Anlass dafür. Es ging und geht dabei vor allem um die größte, die türkisch dominierte muslimische Minderheitengruppe in Deutschland.
Mit "Parallelgesellschaften" wird in der öffentlichen Debatte die Vorstellung von ethnisch homogenen Bevölkerungsgruppen verbunden, die sich räumlich, sozial und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft abschotten. Der Begriff impliziert zugleich massive Kritik an der Lebensweise von Migrantinnen und Migranten und enthält die Forderung nach kultureller Assimilation. Ausgeblendet wird, dass Parallel- oder Subgesellschaften häufig das Produkt sozialer und kultureller Ausgrenzung sind, dass folglich die Mehrheitsgesellschaft einen nicht unbedeutenden Anteil an der Herausbildung autonomer Strukturen hat und, dass es einen Zusammenhang von Integration und Segregation gibt. Unberücksichtigt bleibt schließlich, dass eine Abschottung, wie sie manchen Teilgruppen der türkisch-muslimischen Minderheit unterstellt wird, auch für Bevölkerungsgruppen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft kennzeichnend ist.
Die Ursache für den freiwilligen oder unfreiwilligen Rückzug aus der Mehrheitsgesellschaft liegt nach Ergebnissen der Migrationsforschung in einer mangelhaften oder verfehlten Integrationspolitik. Welche verheerenden gesellschaftlichen Folgen Desintegrationsprozesse haben können, hat sich kürzlich in den brennenden französischen Vorstädten gezeigt.