Der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York hat die Verteidigung der Menschenrechte erheblich erschwert. Nicht nur in den USA stehen seitdem Sicherheitsfragen im Vordergrund. Die Bereitschaft, den Terrorismus in erster Linie militärisch zu bekämpfen und eine Verletzung des Völkerrechts billigend in Kauf zu nehmen, hat jedoch nicht zu greifbaren Erfolgen geführt. Wie im Jahrbuch nachzulesen, fühlt sich die Mehrheit der Bürger in fast allen Ländern jetzt weniger sicher. Seit dem 11.9. hat Al Qaida doppelt so viele Anschläge verübt wie in den fünf Jahren davor.
Die achte Ausgabe des "Jahrbuchs für Menschenrechte" beschäftigt sich deshalb sehr ausführlich mit Ereignissen in den USA. Das Land, in dem bestimmte Nicht-Staatsbürger ohne Anklage in Haft genommen werden können, in dem der neue CIA-Direktor Folterformen als "legitime Verhörtechnik" rechtfertigt und die US-Regierung Militärpolizisten anweist, die Genfer Konvention zu verletzen, befindet sich, so ein Fazit der Autoren, im "Ausnahmezustand".
Die Misshandlungen von Gefangenen im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib und auf Guantánamo Bay haben zu einem "horrenden Zyklus von Rassismus, Gewalt, Erniedrigung und mörderischer Rache" geführt, wie Rami Khouri, Chefredakteur der libanesischen Tageszeitung "The Daily Star", verbittert feststellt. In der arabischen Welt seien die Misshandlungen der Amerikaner als Fortsetzung für die jahrhundertelange Unterdrückung ihrer Länder durch den Westen empfunden worden. Im Übrigen, auch das wird im Jahrbuch nicht verschwiegen, wurden auch britischen und dänischen Soldaten Folterungen nachgewiesen.
Schwere Menschenrechtsverletzungen gibt es nach wie vor in vielen anderen Ländern. In Honduras sterben Straßenkinder fast täglich, regelrecht hingerichtet von Todesschwadronen, die im Auftrag von Geschäftsleuten und polizeilich geduldet von 1998 bis 2005 über 2.700 Kinder und Jugendliche ermordet haben. In Westafrika gehören Vergewaltigung, Kriegsgräuel und Repression zur Tagesordnung. Besonders grassieren Gewalt und Rechtlosigkeit in Liberia und der Elfenbeinküste. Meist gehen die Täter straffrei aus. Berichten über Nord- und Südkorea ist zu entnehmen, dass hier Menschenrechte ebenfalls mit Füßen getreten werden; im Süden hat der Einzug kapitalistischer Wirtschaftsmethoden keine Besserung gebracht.
In keiner Weise nachvollziehbar ist, dass die "School of the Americas" (SOA) im US-Staat Georgia nach wie vor lateinamerikanische Sicherheitskäfte darin ausbildet, wie Verhörmethoden vorgenommen, Aufstände niedergeschlagen und Oppositionelle gezielt getötet werden. Ihre Aufgabe besteht darin, später im Auftrag korrupter Regierungen gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Nach Schätzungen der Menschenrechtsgruppe "School of the Americas Watch" sind bis jetzt Hunderttausende von Lateinamerikanern durch Absolventen der SOA gefoltert und massakriert worden und oft spurlos verschwunden.
So bestürzend die genannten Menschenrechtsverletzungen sind, so geht aus den Berichten doch auch hervor, dass der Widerstand gegen korrupte Regierungen und brutale Mörderbanden weltweit allmählich wächst. Beispielsweise protestierten im November 2004 16.000 Menschen vor den Toren von Fort Benning, um die Schließung der SOA zu erreichen. Resolutionen des Europarats und des Bundestags veranlassten vor zwei Jahren den Präsidenten von Honduras, eine kleine Spezialeinheit der Polizei zur Ermittlung der Mörder von Straßenkindern einzurichten.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat unlängst erste Ermittlungen in Uganda und im Kongo gegen die dort erfolgten Verbrechen eingeleitet. Nach zweijährigen Vorarbeiten wurden vom Rat der Welternährungsorganisation FAO angesichts der Millionen, die jährlich verhungern, endlich "Leitlinien zum Recht auf Nahrung" aufgelegt.
Aufgrund solcher und einer Vielzahl anderer Initiativen ist Christopher Sidoti, Direktor des International Service for Human Rights in Genf überzeugt, dass die weltweite Menschenrechtsbewegung keine "lahme Ente" ist, eher ein "lauernder Tiger, ein wildes Tier voller Macht und Kraft, bereit zum Sprung, zum Handeln". Die achte Ausgabe des Jahrbuchs enthält entsprechend eine Vielzahl von Hinweisen, Adressen und Anregungen zum Mitmachen.
Deutsches Institut für Menschenrechte
(Hrsg.)
Jahrbuch Menschenrechte. Gefahr für Freiheit - Strategien für Menschenrechte.
Suhrkamp Taschenbuch 3733, Frankfurt /M. 2005; 380 S., 12,- Euro