Die politische Wahrnehmung unseres Themas ist gemeinhin so: Konventionelle Wahlen gelten als sicher, Internet-Wahlen hingegen als bedenklich. Dabei ist es eher umgekehrt: Herkömmliche Wahlen sind leicht angreifbar und funktionieren weniger durch Verfahren als durch Idealismus, Loyalität und Gesetzestreue der Wähler und Wahlhelfer. Schwachpunkt Nummer eins: die Briefwahl. Sie ist unsicher und leicht fälschbar. Internet-Wahlen hingegen sind nahezu unangreifbar. Sie sind so konzipiert, dass Angriffe in heutigen Zeit- und Mittelrelationen sinnlos sind. Ihre Sicherheit beruht auf nachprüfbaren Verfahren. Die Mittel der modernen Kryptologie reichen zusammen mit einer auf Gewaltenteilung beruhenden Wahlinfrastruktur aus, um den Anforderungen einer freien, gleichen und geheimen Wahl zu genügen. Voraussetzung ist natürlich, die Technologien werden auf hohem Niveau eingesetzt, was Verschlüsselungstiefe, Serversicherheit, Verfügbarkeit und Betriebssysteme betrifft.
Eine solide konzipierte und programmierte InternetWahl ist manuellen Verfahren in erster Linie aber nicht sicherheitstechnisch überlegen. Sie ist eine Revolution der Wahlabwicklung: Das Internet macht die ganze Welt zum Wahllokal. Der Bedienungskomfort steigt: Wähler und Wählerinnen, insbesondere ältere, wie Studien zeigen, können problemlos damit umgehen - selbst beim Panaschieren und Kumulieren. Unbeabsichtigte Fehler unterbleiben, mit Absicht ungültig wählen ist möglich. Drastisch verändert sich die Wahlorganisation: Ein Vollsystem mit Online-Plattform für die Wahlvor- und nachbereitung nimmt Wahlvorständen bis auf die Eingabe der Rahmendaten alle Arbeiten komplett ab. Die Auszählung der Stimmen und die Berechnung von Listenplätzen geschieht auf Knopfdruck fehlerfrei. Und: Ab einer bestimmten Menge kostet alles weniger als einen Euro pro Wahlberechtigtem - also nur noch Bruchteile dessen, was zum Beispiel die Briefwahl kostet.
Deshalb denken viele bei unserem Thema an Bundestagswahlen, wo man die Internet-Wahl zumindest als Alternative zur Briefwahl ins Spiel bringen könnte. Jedoch verlangt das Sicherheitsniveau der Bundestagswahl eine qualifizierte Volkssignatur mit Chipkarte. Die gibt es aber nicht und ist auch nicht in Sicht. Hier steckt die Internet-Technologie immer noch in den Kinderschuhen und es besteht wenig Hoffnung, dass sich das bald ändert. Bye-Bye InternetWahlen? Nein! Die Blickrichtung der Fachleute konzentriert sich längst auf etwas Anderes. Jenseits der Parlamente und Gemeinderäte, in der Zivilgesellschaft, wird in Deutschland jeden Tag gewählt und abgestimmt: Sozialwahlen, Synodalwahlen, Wahlen von Betriebs- und Personalräten, Wahlen in Vereinen, Parteien, Hochschulen, Urabstimmungen, Bürgerbegehren, und - nach dem Vorbild von Italiens Mitte-Links-Bündnis - womöglich bald auch von Vorwahlen für Kandidaten von Parteien. Millionen Menschen sind hier wahlberechtigt. Aber die Wahlbeteiligung ist oft gering. Organisiert wird meist von Laien. Vor allem kosten die Wahlen sehr viel Geld. Hier nun schlägt die Stunde der Internet-Wahl mit unabhängig zugänglichen Signaturen. Alle Vorteile des Internets kommen zum Tragen: Stimmabgabe von überall, Entlastung der Laien-Akteure, wählerfreundliche Technik, rasante Abwicklung, drastische Senkung der Kosten. Die Wahlbeteiligung steigt ebenso wie die Lust am Wählen. Bei manchem Bürgerbegehren, das aus Kostengründen eingeschränkt werden soll, könnte sich die Internet-Wahl als Retterin der Demokratie entpuppen. Deshalb wird die Internet-Wahl nicht als Diktat von oben kommen, sondern als Graswurzelrevolution aus der Zivilgesellschaft.
Der Autor ist Leiter der Forschungsgruppe Internet-Wahlen an der Universität Osnabrück.
www.internetwahlen.de