Der Name passt zum Ziel: Die Nachdenkseiten "sollen eine Anlaufstelle werden für alle, die sich über gesellschaftliche, ökonomische und politische Probleme unserer Zeit noch eigene Gedanken machen". So steht es in der Selbstbeschreibung des Blogs. Eine aufklärerische Aufgabe also, die sich die beiden Macher, Albrecht Müller und Wolfgang Lieb, da gesteckt haben. Warum das Ganze? "Je schlechter die Qualität der politischen Meinungsbildung ist, desto schlechter ist die Qualität der politischen Entscheidung", sagt Müller. Und für ihn gibt es da eine Menge zu verbessern.
Müller, Nationalökonom und Buchautor, und Lieb, promovierter Jurist, haben sich unter Bundeskanzler Helmut Schmidt kennengelernt. Beide haben sie unter seiner Regierung in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramts gearbeitet. Müller war von 1987 an sieben Jahre lang selbst Abgeordneter des Bundestags für die SPD. Beide Sozialdemokraten verstehen also etwas von Politik. Und genau darin unterscheidet sich ihr Blog von vielen anderen, die zwar auch Meinung machen, aber nicht unbedingt fundiert.
Wer auf die Nachdenkseiten klickt, findet dort unter "Kritisches Tagebuch" das Herzstück der Seite: Eine tagesaktuelle Auswahl an Medienberichten, die Müller und Lieb, mal kurz oder mal ausführlich, kommentieren. Lässt der Autor wichtige Argumente außen vor? Schwimmt der Beitrag mit auf einer Welle, die Müller und Lieb wahlweise "Meinungsmache" oder "Manipulation" nennen? Oder wird sogar ein Schreckensbild aufgebaut, dass sich aus Sicht der Autoren nur allzu leicht nachplappern lässt - beispielsweise die Geschichte der "Schrumpfrente", mit der die "Bild"-Zeitung die Angst vor sinkenden Renten schürte oder die Mär von den kinderlosen Akademikerinnen, die durch verschiedene Medien ging.
"Wir bürsten konsequent gegen den Strich von gemachten Meinungen", sagt Müller. Insofern bilden die Nachdenkseiten ein Gegengewicht zu den Mainstream-Medien, wenn auch nur ein kleines. Und sie sind das, was man einen "Media-Watchdog" nennt. Sie nehmen Publiziertes unter die Lupe und nutzen das freie Medium Internet, um Kritik zu üben und auf Fehler aufmerksam zu machen.
Die Themen der Seite reichen von Konjunkturpolitik, der demografischen Frage und den Studiengebühren bis zu Privatisierung, Föderalismusreform, Friedenspolitik und der BND-Affäre. Der Schwerpunkt liegt aber bei wirtschaftspolitischen und sozialdemokratischen Fragen wie der Rolle der Gewerkschaften, die Frage der Lohnhöhe oder den sozialen Sicherungssystemen.
Müllers und Liebs Perspektive auf die politischen Debatten ist klar, und sie machen sie auf ihrer Seite transparent. - Ein weiterer Unterschied zu vielen anderen Blogs: Mit Kritik sparen die beiden nicht. Auch nicht, wenn es um die eigene Partei geht: "SPD-Werbebroschüre für die Rente mit 67: Statt Fakten und Argumente mal wieder Mythen und falsche Behauptungen", heißt es auf der Seite. Gibt es aber etwas zu loben, einen guten Artikel, weisen sie darauf ebenfalls hin: "Von Heiner Flassbeck - einem der verlässlichsten guten Ökonomen - vier Beiträge aus der letzten Zeit."
Immer wird zur Quelle, dem Original-Beitrag, verlinkt. Eine kritische Presseschau könnte man die Seite auch nennen. "Wer will, kann also bei uns den Überblick über interessante Artikel bekommen", sagt Müller. Und darüber hinaus Hinweise zu interessanten Büchern, Filmen, Veranstaltungen und wissenschaftlichen Publikationen. Rund vier Stunden steckt Müller täglich in diese Arbeit. Geld bekommt er dafür nicht. Nur der Webmaster wird derzeit aus einem neu gegründeten Förderverein bezahlt. Doch die Arbeit lohnt sich in anderer Hinsicht: Der Blog, den es mittlerweile seit gut zwei Jahren im Netz gibt, wird pro Tag rund 1.600 mal aufgerufen. Rund 300 Mails mit Hinweisen gehen täglich von Lesern ein. Das ist eine gute Bilanz, wenn man bedenkt, dass es keinen Etat für Werbemittel gibt. Für die Qualität der Seite spricht außerdem, dass Zeitungen aus Beiträgen des Blogs zitieren oder ganze Artikel der Autoren abdrucken. Die Kritik der Nachdenkseiten wird also gehört. Nur als Miesmacher wollen Müller und Lieb nicht genannt werden. Müller betont: "Unsere Grundeinstellung zu dem Modell und der ökonomischen Lage unseres Landes ist ja positiv!" Man muss eben nur mehr nachdenken und es dann besser machen.
Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.
www.nachdenkseiten.de