Ein Grundrecht geht online" - "Fortschritt für mehr Demokratie": Solche Überschriften verdeutlichen, dass die Modernisierung des Petitionsrechts des Deutschen Bundestages Fortschritte macht. Wer ein Problem mit Bundesbehörden hat oder möchte, dass ein Bundesgesetz geändert wird, kann sich seit September 2005 nicht nur per Post, sondern via Netz mit Bitten und Beschwerden an Abgeordnete beziehungsweise den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Die Themen sind breit gestreut. Das zeigt ein Blick in die aktuelle Liste der öffentlichen Petitionen. Es sind Anliegen aus allen Politikfeldern: Unterhaltsrecht, Grundgesetz, Wahlrecht für Deutsche im Ausland, Arbeitslosengeld II, Flugsicherung, Straßenverkehrsrecht, Kindererziehungszeiten, Wehrerfassung, Umweltpolitik. Die Resonanz ist gut. Der Anteil der Email-Petitionen an der Gesamteingabezahl seit September 2005 liegt bei rund zehn Prozent. Die Altersangaben im Web-Formular zeigen, dass der Anteil der 40- bis 65-Jährigen an den elektronischen Eingaben mit rund 44 Prozent der Petenten mit am höchsten ist. Die Befürchtung einiger Skeptiker, dass der Ausschuss mit E-Mail-Petitionen überschwemmt wird, hat sich nicht bewahrheitet.
Mit dem Petitionsrecht steht für alle Menschen in Deutschland ein direkter Weg zum Parlament offen. Die digitale Übermittlung ist sicher der schnellste und unkomplizierteste Weg. Doch muss der Petent - also der, der ein Anliegen vorbringt - auch Regeln beachten, damit seine Eingabe angenommen wird. Der Bundestag erläutert auf seiner Homepage, worauf es ankommt.
Der zunächst auf zwei Jahre angelegte Modellversuch brachte zwei Neuerungen: Zum einen können öffentliche Petitionen per E-Mail eingereicht werden. Zum anderen ist es möglich, dass Interessierte mitunterzeichnen oder in Diskussionsforen debattieren. Die öffentliche Petition ist, wie es Gabriele Lösekrug-Möller, Obfrau der SPD-Bundestagsfraktion im Petitionsausschuss, formuliert, technisch und inhaltlich neu. Erstmalig bietet der Bundestag öffentliche Erörterungen im Verfahrensverlauf an. "Damit sind wir - nach einer ersten Einschätzung des Büros für Technikfolgenabschätzung - weltweit Vorreiter in Sachen E-Petition", unterstrich die Bundestagsabgeordnete Anfang April 2006 auf einer Tagung der Petitionsausschüsse des Bundes und der Länder mit den Bürgerbeauftragten der Bundesrepublik Deutschland auf Einladung des Bundestagspräsidenten. Ein aktuelles Beispiel, das live im Netz mitverfolgt werden kann, liefert unter anderem Christina Kremer aus Bergheim. Ihr brennt das Thema Tierschutz unter den Nägeln. Sie will, dass das Tierschutzgesetz geändert wird. In der Tabelle der öffentlichen Petitionen Nr. 95 ist als Stichwort "Tierschutzgerechtes Töten: Pflege von Brauchtum oder Tradition" vermerkt. Am 3. April waren tagsüber 19 Diskussionsbeiträge zu ihrer Eingabe zu finden, 495 Mitzeichner verrät die Statistik. Am 4. April hatte sie schon 541 Mitzeichner. Wer einreicht, muss begründen können: "Mit der Petition wird gefordert, dass § 17 Absatz 1 TschG insoweit ergänzt und spezifiziert wird, dass das Töten von Tieren keinen vernünftigen Grund darstellt, wenn die Tiere vordergründig zur Pflege von Brauchtum oder aus Tradition getötet werden..." Die Mitzeichnung läuft noch bis zum 9. Mai.
Es ist unbestritten, dass das neue System zu mehr direkter Demokratie beitragen kann. Im Gegensatz zu anderen Internet-Foren fließen die Ergebnisse hier unmittelbar in die parlamentarische Arbeit ein. Und es entsteht ein weiteres öffentliches Diskussionsforum im parlamentarischen Raum, bei dem der Bürger selber die Themen vorgibt. Immer mehr Bürger klicken die Homepage des Petitionsausschusses an. Im Januar 2006 waren es mehr als 45.000.
Das deutsche E-Petitionssystem hat ein schottisches Vorbild. Das International Teledemocracy Centre der Napier University Edinburgh hat sowohl das schottische als auch das deutsche System mitentwickelt. Zwar laufe die Software hier und da noch nicht rund, berichtete Lösekrug-Möller auf der Tagung der Petitionsausschüsse. Doch würden die Petenten die Web-Formulare als benutzerfreundlich einstufen. Bis 28. März 2006 seien, so die Parlamentarierin, 255 öffentliche Petitionen eingereicht worden. 101 habe man zugelassen. Das Ausschusssekretariat hat dabei mehrfach im Diskussionsforum Politikverdrossenheit in Form von verbalen Attacken erlebt nach dem Motto: "Jetzt zeigen wir es denen." Das Forum musste sogar zeitweise geschlossen werden. SSo verwundert es nicht, dass es bei den Richtlinien für die öffentliche Petition einen umfangreichen Katalog mit Ausschlusskriterien gibt. Nicht zugelassen werden Petitionen, wenn sie gegen die Menschenwürde verstoßen, falsche, entstellende oder beleidigende Meinungsäußerungen enthalten, unsachlich sind oder der Verfasser sich einer nicht angemessenen Sprache bedient.
DDie Petitionsausschüsse im Bund und in den Ländern nähmen eine ureigene Parlamentsaufgabe wahr, deren Bürgernähe sie von allen anderen Fachausschüssen unterscheide, unterstrich die Petitionsausschussvorsitzende Kersten Naumann (Die Linke) vor der Presse in Berlin. Keine andere Ombudseinrichtung habe eine so unmittelbare Möglichkeit, Gesetzesänderungen herbeizuführen. Es könne ihrer Auffassung nach dreierlei erreicht werden, wenn die Positionierung im Konzert der Ombudseinrichtungen gelinge: Das aufgrund von Bürgereingaben bei den Parlamentariern angehäufte Wissen werde effektiv genutzt und Gesetze könnten bürgerfreundlicher ausgestaltet werden. Außerdem werde ein wichtiger Beitrag geleistet, den Parlamentarismus zu stärken.
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