Besonders erfolgreich war im Bundestagswahlkampf 2005 die Form der kurzfristigen Rekrutierung von Wahlkampfhelfern. Die freiwilligen Unterstützer wurden online registriert, mit Material und Argumentationshilfen versorgt und regionalen Wahlkampfteams zugeordnet. So dienten Zehntausende von Nicht-Mitgliedern den Parteien als nützliche Mitarbeiter und Multiplikatoren. Allein die CDU mobilisierte bundesweit 30.000 Anhänger unter dem Namen "teAM Zukunft". Bei den Grünen warben "Botschafter" mit Bild und Profil für die Partei. Die SPD scharte eine "rote Wahlmannschaft" hinter sich und stellte den Wahlhelfern gleich ein eigenes Forum und kostenlose Weblogs zur Verfügung. Unter www.roteblogs.de schrieben diese dann Wahlkampftagebücher, tauschten Erfahrungen aus und ließen Dampf ab.
"Die Partei hat sich da nicht eingemischt", sagt Jochen Wiemken aus der Onlineredaktion. Bei der SPD ist man stolz auf diesen basisdemokratischen Ansatz. Noch immer beanspruchen die Sozialdemokraten für sich eine Vorreiterrolle im Internet. Kern ihres Online-Wahlkampfes 2005 bildete ein Kampagnenportal, das der SPD-Homepage vorgeschaltet war. Es diente als Plattform, um zentrale Wahlbotschaften auszusenden und Mitglieder schnell flächendeckend mit Informationen zu versorgen. Ob Funktionäre, Parteifreunde, Prominente, Wahlhelfer, Verbände: Jeder war mit jedem verlinkt "und Teil der großen Familie", so Wiemken.
SPD und CDU setzten außerdem innovative Akzente mit Podcasts, den Video- und Audiobotschaften zum Downloaden, die als I-Kauder oder I-Münti durchs Netz flirrten. Die Kampagne der FDP zielte dagegen direkt auf Inhalte. Auf dem "portal liberal" durften interessierte Besucher am "Deutschlandprogramm" mitdiskutieren. "Wir setzen auf Interaktivität und wollen den direkten Dialog mit dem Bürger", betont der technische Leiter der FDP-Onlineabteilung Harald Ruppe. Die Resonanz übertraf die Erwartungen der Redaktion. 124.000 Seitenaufrufe und 40.000 aktive Diskussionsteilnehmer wurden am Ende gezählt. Der FDP-Bundesvorstand hatte dann die Aufgabe, die Anregungen und Kritik in das endgültige Wahlprogramm einzuarbeiten.
"Wenn man interaktive Angebote macht, muss man die Ergebnisse ernst nehmen", bestätigt auch Grünen-Kommunikationschef Michael Scharfschwerdt. Er hält nichts davon, beliebige Chats und Foren zu eröffnen. Seine Partei ließ die Bürger nach dem Vorbild des Netzlexikons Wikipedia an einem Teil des Grünen-Wahlprogramms mitschreiben. Überraschend war für ihn, "wie gut die Selbstkontrolle der User funktionierte. Es gab wenig Störer und die Qualität war hoch". Deshalb wollen die Grünen auch in Zukunft auf ihrer Homepage die Angebote zum Bloggen ausbauen.
Nach Ansicht von Nico Lumma sind die Parteien jedoch noch lange nicht in der Welt des Bloggens angekommen. Er ist IT-Leiter der New Media Management GmbH und Blog-Spezialist. 2005 eröffnete er einen unabhängigen Wahlblog unter Beteiligung von Politikern. "Die Sprache des Bloggens ist kurz, knapp und direkt. Politiker schreiben oft Pamphlete, lange Aufsätze oder lassen schreiben". Das Selbstverständnis von Parteien widerspreche grundsätzlich dem Prinzip von Weblogs. "Parteien nutzen das Internet als digitale Hochglanzbroschüre. Sie bilden dort ihre Kampagnen ab und wollen die Kommunikation einseitig von oben nach unten kontrollieren", so der IT-Profi. Um Meinungsbildungsprozesse im Web zuzulassen, müssten sie ihren Kommunikations- und Führungsstil ändern.
Stefan Hennewig, Leiter der CDU-Kommunikationsabteilung glaubt aber nicht daran, dass das Internet sich zu einer politischen Agora entwickelt. "Der Online-Diskurs wird nicht die Offline-Strukturen, also die realen Systeme verändern und die Parteiendemokatie revolutionieren". Die Partei wolle sich zwar zum Bürger hin öffnen, wie der Beschluss der CDU zur "Bürgerpartei" gezeigt hat, das Internet habe dabei aber nicht oberste Priorität. "Es ist nicht mehr als ein Kommunikationsinstrument." Hennewig hält auch den Wunsch der Bürger nach interaktiver Beteiligung für überschätzt. Eine Umfrage auf der CDU-Hompage habe ergeben, dass die meisten Besucher sich nur informieren wollten. Und für alle, die mitreden möchten, hält die CDU ein Forum vor, das mit rund 700 Beiträgen pro Tag der Partei ständig ein öffentliches Stimmungsbild liefere.
Wesentlich höher schätzt er den Nutzen für die parteiinterne Kommunikation ein. Im Netz gingen Informations- und Entscheidungsprozesse schneller vonstatten. Außerdem könnten sich Mitglieder individuell informieren und Fachgruppen bilden, die unabhängig von Orts- oder Kreisverbänden agieren. "Das einzelne Parteimitglied kann direkter als früher auf Diskussionen Einfluss nehmen, das belebt die innerparteiliche Debatte", so Hennewig. Die CDU wird deshalb für ihre kommende Grundsatzprogramm-Diskussion erstmals virtuelle Arbeitskreise einrichten. Hennewig betont aber: "Der inhaltliche Rahmen wird durch Leitfragen bestimmt, die im Vorfeld von der Programm-Kommission - also wieder offline - erarbeitet werden.
Vorreiter für virtuelle Parteitage sind die baden-württembergischen Grünen. Schon 2000 führten sie einen Landesparteitag online durch, mit überwiegend positiven Ergebnissen. Eine Auswertung ergab, dass zwar manche die persönliche Begegnung und das Parteitagsgefühl vermisst haben, dass sich andererseits viele Mitglieder beteiligen konnten, die sonst aus räumlichen oder zeitlichen Gründen nicht teilgenommen hätten. Die Erfahrungen mit dem virtuellen Parteitag haben die Internet-Arbeit der Grünen bundesweit beflügelt. Es werden ständig neue Netzprojekte entwickelt, erklärt Michael Scharfschwerdt, schließlich "haben wir das Klientel mit der höchsten Internet-Affinität".
In der SPD-Zentrale kreisen derweil alle Überlegungen um "Web 2.0" und "social-software", die Schlagworte für die neue soziale Komponente im Netz. "Für eine Partei kommt es künftig darauf an, dass sie gleichermaßen die Beziehung zu Mitgliedern und Nichtmitgliedern pflegt und immer neu gestaltet", sagt Jochen Wiemken. Die roten Blogs seien ein Anfang. Auf diesem Netzwerk wolle die Partei aufbauen. Sie benötigt, so heißt es auf ihrer Homepage, zunehmend "Bündnispartner außerhalb der sozialdemokratischen Familie" und bietet diesen neue Formen der Mitarbeit in Foren und Arbeitsgemeinschaften an. Wer aber kein Parteibuch besitzt, steht bei www.spd.de immer noch vor der sympbolischen Türklinke, die deutlich den Weg in das exklusive Innere der SPD-Organisation versperrt.
Die FDP ist die einzige Partei, die seit August 2005 eine Kommunikationsplattform unterhält, in der sich Mitglieder und Nicht-Mitglieder begegnen und auseinandersetzen. Die neue Community von my.FDP umfasst bereits 25.000 politisch Interessierte, und es werden nach Auskunft der Onlineredaktion jeden Tag mehr. Die FDP sieht sich mit ihrem offenen Angebot als Trendsetter unter den Parteien. "Wir sehen einfach, dass Nutzer im allgemeinen verstärkt über das Internet kommunizieren wollen", so der technische Leiter Harald Ruppe. Und er ist sich sicher, dass diese Entwicklung in naher Zukunft noch explodieren wird.
Die Autorin ist freie Journalistin in Hannover.